Der Mikromotor hat es in sich

Ein junges Unternehmen in Schweden hat einen völlig neuen Motor entwickelt, der wandert.

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Elektromotoren gibt es in allen Größen und Formen. Piezo Motor, ein kleines Unternehmen außerhalb der schwedischen Stadt Uppsala, hat sich den piezoelektrischen Effekt zu Nutze gemacht, um den kleinsten und präzisesten Linearmotor oder Mikrohubzylinder der Welt zu bauen.

Das neueste Produkt, Piezo LEGS, hat die Größe eines Zuckerwürfels und eine Präzision im Nanometerbereich – ein Zuckerwürfel, der es in sich hat.

Piezo stammt von dem griechischen Wort piezin und bedeutet „drücken“. Piezoelektrizität ist jenes Phänomen, bei dem bestimmte Kristalle einen elektrischen Strom erzeugen, wenn sie durch physischen Druck von außen verformt werden. Dieser piezoelektrische Effekt ist auch umkehrbar. Die Kristalle ändern ihre Form, wenn ein elektrischer Strom durch sie hindurchgeleitet wird.

Auf Wanderschaft
Piezo Motor nutzt diese Eigenschaften, um aus dem Strom einer 9-V-Batterie eine Pleuelstange durch ein Edelstahlgehäuse „wandern“ zu lassen. Die Piezokeramik dehnt sich, zieht sich zusammen, hebt sich und drückt sich ab. Ihre Bewegung ähnelt einer Gehbewegung. Piezo LEGS ist ein Motor ohne bewegliche Teile im herkömmlichen Sinne und deshalb wartungsfrei.   

Auf Piezo Motors Website wird die Größe des Minimotors LEGS mit der einer Ameise verglichen, aber LEGS ist circa 1.000 Mal stärker. Natürlich hat dieses Produkt so gut wie nichts mehr mit einem gewöhnlichen elektromagnetischen Antrieb zu tun.

„Unser Linearmotor gleicht einem laufenden Hund“, erklärt der Geschäftsführer von Piezo Motor, Per Oskar Lithell. „Jedes unserer piezoelektrischen Elemente hat vier Beine, die sich paarweise fortbewegen, wenn elektrischer Strom angelegt wird. Und sie können ganz winzige Schritte machen. Das ist das Interessante daran.“

Herkömmliche Linearmotoren arbeiten mit einem Schraubmechanismus, um eine Drehbewegung in eine lineare Bewegung umzuwandeln, das heißt, um eine Zug- oder Druckbewegung auszuführen. Für Anwendungsbereiche mit starker räumlicher Begrenzung ist diese Konstruktion jedoch zu sperrig, weil sie Getriebe- und Kupplungsmechanismen erfordert. Die Menge an beweglichen Teilen schafft außerdem Präzisionsprobleme, insbesondere bei geringer Ausschlagweite.

Marktnische
Beim piezoelektrischen Linearmotor gibt es keine Drehbewegung, und die Zug- und Druckpräzision der Pleuelstange lässt sich in Nanometer angeben. Bei Piezo Motors jüngstem Vorführmodell ist die Bewegung der Aluminiumoxid-Pleuelstange im unteren Einstellbereich mit bloßem Auge nicht zu erkennen. Bei niedrigster Einstellung benötigt die Pleuelstange eine ganze Stunde, um sich 0,7 Millimeter fortzubewegen.

Bei höheren Frequenzen kann die Pleuelstange mit einer Geschwindigkeit von 20 Millimetern pro Sekunde davonsausen und dabei einen Druck von acht Newton erreichen. Der Motor kann also trotz seines Gewichts von nur 20 Gramm eine Druck- oder Zugkraft ausüben, die dem Heben von 800 Gramm Gewicht entspricht.

„Wir wollen eine Ergänzung zu dem anbieten, was es bereits auf dem Markt gibt“, meint Lithell, „und eine Nische finden, in der andere Motoren nicht verwendbar sind. Wir bewegen uns in dem Segment mit Nanometertoleranzen.“

Risikokapital für Innovation
Piezo Motor wurde von Stefan Johansson und Mats Bexell gegründet. 1995 entwickelten die beiden einen piezoelektrischen rotierenden Mikromotor mit einem Durchmesser und einer Länge von vier Millimetern. 1996 erhielten sie für ihre Arbeit den renommierten Dagens Industri Innovation Cup, von Schwedens führender Wirtschaftstageszeitung.

Mit Hilfe von Risikokapital wurde 1997 Piezo Motor gegründet. „Die ersten Jahre haben wir uns ausschließlich auf die Technik konzentriert“, erzählt Lithell. „Jetzt wollen wir vorsichtig expandieren.“

Piezo Motor beschäftigt derzeit elf Mitarbeiter und hat seinen Sitz in einem Industriepark bei Uppsala. Dort befinden sich ein Labor, eine Prototypwerkstatt und eine Fertigungsanlage. Sein piezoelektrisches Material bezieht das Unternehmen in Form von Keramikpulver, das im eigenen Werk verarbeitet wird. Piezo Motor hat bisher sechs Patente in den USA. Weitere sind beantragt.

Im November 2002 gab Piezo Motor sein erstes offizielles Debüt auf der SPS IPC-Messe in Nürnberg, auf der viele neue Kontakte geknüpft wurden. Wie Lithell sagt, werden seine Linearmotoren bereits bei einer Reihe schwedischer und amerikanischer multinationaler Unternehmen getestet.

Feine Applikationen
Zu den Anwendungsmöglichkeiten von piezoelektrischen Motoren gehören laut Lithell Dosiersysteme in verschiedenen Industriezweigen. Im biotechnischen Bereich könnte ein solcher Motor zum Beispiel zur Befruchtung eines Eis benutzt werden. Auch für die Montage von Komponenten auf Leiterplatten wäre der Motor von Nutzen.  

Der Bedarf an mikroelektrischen Antrieben nimmt kontinuierlich zu. In allen Anwendungsbereichen – ob Luftfahrt, medizinische Geräte, Kraftfahrzeuge, Laborinstrumente oder Telekomsektor – werden die Elektromotoren und dazugehörigen Komponenten immer kleiner und müssen ständig höhere Präzisionsanforderungen erfüllen.

Ericsson Network Technologies hat die Produkte von Piezo Motor in seiner Spleißanlage für Glasfaserkabel getestet, die mit kleinen Robotern arbeitet.

„Solche Anlagen stellen enorm hohe Anforderungen an die Präzision“, erläutert Lithell. „Früher verwendete man hier herkömmliche elektromagnetische Motoren. Aber sie sind mechanisch, und es gibt immer ein wenig Spiel im System, das geht auf Kosten der Präzision. Unsere Motoren haben eine Präzision bis hinunter auf Nanometer-Niveau. Hinzu kommt, dass wir keine Kupplungen oder Getriebe verwenden.“

Maßgeschneiderte Motoren
Da die Anwendungsbereiche für die Produkte so speziell sind, basiert das Unternehmenskonzept auf der Spezialanfertigung von Motoren, die auf die Wünsche der Kunden zugeschnitten sind.

„Wir haben kein eigentliches Produkt-sortiment“, kommentiert Lithell. „Jedes Projekt ist speziell auf einen Kunden abgestimmt. Aber wir haben gezeigt, dass es möglich ist.“

Piezo…was?!
Das piezoelektrische Phänomen – 1888 von Jacques und Pierre Curie entdeckt – hat zahlreiche Anwendungsbereiche. Die modernen piezoelektrischen Materialien sind meist keramische Werkstoffe, die speziell auf die verschiedenen industriellen Applikationen zugeschnitten werden.

Piezokeramik wird z. B. in Sonarsystemen von U-Booten verwendet. Der piezoelektrische Effekt ist auch für die hohen reinen Töne in Lautsprechern und die Steuerung von Hochdruck-Einspritzsystemen in Dieselmotoren verantwortlich.

Die mikroskopisch kleinen Tröpfchen in Tintenstrahldruckern werden ebenfalls mit dieser Technik gesteuert. Und nun läßt sie sogar die inneren Teile eines Motors wandern anstatt zu rotieren!

 

 

 

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