Gelungener Parcours auf virtuellem Pferd

Vorbild Flugsimulator

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Mit Persival II im Stall erhält das Reittraining eine völlig neue Dimension. Persival ist ein hochmoderner ReitsimulatorDie französische Kavallerieschule Ecole Nationale d’Equitation, Stammhaus der berühmten Reiterequipe der französischen Armee „Cadre Noir“, ist eine beeindruckende Institution. Die nahe Saumur im Loiretal ländlich gelegene Schule bietet erstklassige Trainingsanlagen für Frankreichs Springreiter- und Militaryelite.
Die neuste Errungenschaft der Schule ist ein virtuelles Pferd. Hinter einer Tür mit der Aufschrift „Virtuelles Hindernisspringen“ steht Persival II, ein hochmoderner Reitsimulator. Er hat die Größe und Form eines echten Pferdes und ist mit einem herkömmlichen Sattel ausgerüstet. Persival II kann die gesamte Palette der Bewegungen eines Pferdes, einschließlich der Sprungbewegungen, lebensecht imitieren.
Der Name „Persival“ ist eine Abkürzung und steht für „Programme de Recherche de Simulation du Cheval“, was sich mit Forschungsprogramm für Reitsimulation übersetzen läßt.
Die Entwicklung dieses Pferdes ist ein Zeugnis von Enthusiasmus und Beharrlichkeit. Die Idee stammte von Jean-Louis Jouffroy, einem ehemaligen Piloten der französischen Luftwaffe und leidenschaftlichen Reiter. Mitte der achtziger Jahre erzählte er Oberst Pierre Durand, dem Leiter des Cadre Noir, von der Idee eines Reitsimulators, der, so meinte Jouffroy, völlig neue Möglichkeiten für das Reittraining bieten würde.
Jouffroy erinnert sich daran, daß die Idee anfangs bei der äußerst konservativen Gruppe der Reiter auf Skepsis stieß. „Sie meinten, es sei technisch und finanziell nicht machbar und außerdem psychologisch inakzeptabel für die Reiter“, so Jouffroy. „Wir haben 2.000 Jahre lang auf echten Pferden gelernt“, meinten sie, „also warum sollen wir das ändern?“

Vorbild Flugsimulator

Jouffroy ließ sich jedoch nicht abschrecken, bildete die Persival Association und begab sich auf die Suche nach finanziellen Mitteln und technischen Lösungen, die es ermöglichen würden, das erste mechanische Pferd der Welt zu bauen.
Die Entwicklung begann 1986 bei der in Toulouse gelegenen Schule für zivile Luftfahrt École Nationale de l’Aviation Civile (ENAC). Die Wahl dieser Schule lag auf der Hand, da die Technologie eines Reitsimulators der eines Flugsimulators sehr ähnlich ist, wenngleich auch in kleinerem Maßstab. „Wenn wir nicht die Hilfe von ENAC gehabt hätten, wäre das Projekt nie so zustande gekommen“, gesteht Jouffroy.
Jouffroys Team stand vor der Entscheidung, für die „Beine“ des Pferdes einen hydraulischen oder einen elektrischen Antrieb zu wählen. „Wir kamen zu dem Schluß, daß ein elektrischer Antrieb eine höhere Präzision der Bewegungen ermöglichen und der permanenten Beschleunigung und Verlangsamung der eintönigen Auf- und Abbewegungen entgegenwirken könnte“, erzählt Jouffroy. Die Wahl fiel auf SKF Hubzylinder mit Rollengewindetrieben, die von Elektromotoren angetrieben werden.
Ein System zu finden, daß Tierbewegungen nachahmen konnte, war nur eines von zahlreichen Problemen. Zunächst mußten die Konstrukteure genau wissen, welche Bewegungen imitiert werden sollten. Um dies zu ermitteln, wurden Beschleunigungsmeßvorrichtungen am Sattel eines echten Pferdes befestigt. Die so gemessenen Daten wurden dann in einen Rechner eingegeben.
Ein Jahr später wurde ein Prototyp gebaut. Das Ergebnis fiel besser aus als erwartet, und Persival I wurde erstmalig auf der Pariser Pferdeschau 1987 ausgestellt. In den darauffolgenden Jahren wurden noch zwei weitere Versionen entwickelt. 1993 gelang es, den Simulator an eine visuelle Simulation zu koppeln, um so ein virtuelles Bild eines Springparcours oder einer Rennbahn zu vermitteln.

Persival II

Das Persival II Modell steht vor einer Leinwand, und das vom Computer erzeugte Bild wird mittels Overhead-Projektor auf die Wand projiziert. Alternativ kann der Reiter ein Visier tragen, auf dem das Bild produziert wird. Der Klang der Hufe macht das wirklichkeitsgetreue Bild perfekt.
Persival II kann gehen, traben oder galoppieren oder so programmiert werden, daß er schwierige Eigenschaften wie etwa einen Trab mit einer seitlichen Gangart imitiert. Beim Hindernisspringen „galoppiert“ der Simulator auf das Hindernis zu, bevor er zum Sprung ansetzt. Wenn er auf der anderen Seite des Hindernisses wieder aufsetzt, kippt er leicht nach vorn wie ein echtes Pferd. Persival II kann mit bis zu drei aufeinanderfolgenden Hindernissen programmiert werden, was vom Reiter ein hohes Maß an Präzision erfordert.
Der Simulator hat zwei Betriebsarten. Entweder absolviert er die Strecke automatisch und der Reiter muß lernen, den Bewegungen korrekt zu folgen, oder er arbeitet in einer interaktiven Weise, das heißt der Reiter gibt dem „Pferd“ über Sensoren in Zügeln, Flanken und unter dem Sattel Anweisungen.
Persival II ist heute für die Ecole Nationale d’Equitation von unschätzbarem Wert. Die Schule setzt den Simulator bei den Auswahlverfahren für Reiter ein, da er ein objektives Bild von den Fähigkeiten des Reiters aufzeigt, ohne daß auf die Eigenschaften des Pferdes Rücksicht genommen werden muß. Er wird auch zum Aufwärmen sowie zur Korrektur von bestimmten Problemen verwendet. Persival II kann beispielsweise so programmiert werden, daß er ein Pferd imitiert, das den Sprung verweigert.
„Reiten zu lernen, ist eine Frage der Übung, aber es ist schwierig, ein Pferd dazu zu bringen, exakt dieselben Bewegungen zu wiederholen“, sagt Patrick Galloux, Leiter der Forschungsabteilung der Schule und ehemaliges Mitglied der französischen Military-Nationalmannschaft. „Reiten ist ein Sport, bei dem eine schlecht ausgeführte Bewegung zur „Beschädigung der Ausrüstung“ führen kann. Ein mißratenes Manöver mit einem Pferd kann ernsthafte Folgen haben. Mit dem Simulator können wir sich ständig wiederholende Bewegungen üben, ohne Ermüdungserscheinungen oder Verletzungen befürchten zu müssen.“
Die Trainingsrunden sind sehr intensiv: Zehn Minuten auf dem Simulator entsprechen etwa einer Stunde auf einem Pferd. Wie Galloux sagt, ermöglicht der Simulator außerdem eine bessere Kommunikation zwischen Trainer und Schüler, weil der Trainer direkt neben dem Schüler stehen kann.
Bisher sind etwa ein Dutzend Simulatoren im Einsatz, darunter einer in der Reitschule von Chantilly und einer in der französischen Offiziersschule von St. Cyr. Darüber hinaus wurden eine Reihe von einfacheren Modellen mit einer begrenzten Anzahl von Bewegungsabläufen entwickelt, die zu einem niedrigeren Preis angeboten werden und somit für Reitschulen erschwinglich sind. Da allerdings so wenige Simulatoren produziert werden, bleibt der Preis nach wie vor hoch. Das einfachste Modell kostet etwa 60.000 Francs (rund 18.000 DM oder 9.200 Euro).
„Wir arbeiten zur Zeit an einer neuen Generation“, erzählt Jouffroy. „Wir wollen Simulatoren für spezielle Disziplinen wie etwa Polo anbieten. Die große Aufgabe besteht jetzt darin, aus dem technischen Erfolg einen kommerziellen Erfolg zu machen.“

Charles Masters

Wirtschaftsjournalist in Paris

Fotos Alastair Miller

und Alain Laurioux / ENE

 

 

 

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