Neue Achsbrücken für Niederflur-Straßenbahnen

Niederflurstraßenbahnen und Stadtbahnwagen bieten den Fahrgästen einen leichten Einstieg in das Fahrzeug. Der modulare Combino® Straßenbahnwagen von Siemens ist mit einer neu entwickelten Achsbrücke von SKF ausgestattet

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Die meisten Straßenbahnfahrzeuge sind heute als Niederflurfahrzeuge ausgelegt. Hintergrund ist der bequeme Ein- und Ausstieg für die Fahrgäste. Siemens bietet für solche Fahrzeuge zum Beispiel das sehr erfolgreiche Combino® Straßenbahn- und Stadtbahn-Konzept an. Diese Konstruktion baut auf einem Fahrwerk mit der neu entwickelten Achsbrücke von SKF (Abb. 1) auf.

Siemens Transportation Systems ist einer der weltweit führenden Schienenfahrzeug-Hersteller. Mitte der 90er Jahre wurde die Fertigung von Drehgestell-Komponenten bei Siemens SGP im österreichischen Graz konzentriert. Die Jahresproduktion beträgt mehr als 3.000 Drehgestelle. Das Produktionsspektrum reicht von Fahrwerken für Hochgeschwindigkeitszüge, Lokomotiven, U-Bahnen, Reisezugwagen bis hin zu Niederflurstraßenbahnen und Stadtbahnwagen.

Das Combino-Konzept
Das modulare Combino-Konzept entwickelte Siemens für Niederflurstraßenbahnen und Stadtbahnwagen. Diese Wagen sind über die gesamte Länge als Niederflurfahrzeug ausgelegt. Diese Konstruktion lässt sich leicht den jeweiligen Anforderungen der Betreiber des öffentlichen Nahverkehrs in verschiedenen Städten anpassen. Unterschiedliche Wagenlängen und -breiten werden einfach durch die Verwendung der entsprechenden Module und die entsprechende Anordnung der Trieb- und der Laufdrehgestelle realisiert (Abb. 2).

40 % der in den letzten fünf Jahren weltweit verkauften Niederflurstraßenbahnen stammen aus dem Hause Siemens. Seit 1997 wurden mehr als 600 Combino-Wagen an 16 Städte in neun Ländern geliefert. Mehr als 360 Wagen sind aktuell im Einsatz. Ungefähr 70 % der Combino-Wagen werden mit Standard-Spurweite (1.435 mm) gefertigt, die übrigen mit Spurweite ein Meter.

Moderne Straßenbahnfahrzeuge und Stadtbahnwagen in Niederflurausführung haben normalerweise über die gesamte Wagenlänge eine Bodenhöhe von circa 350 mm ab Oberkante Schiene (ohne Stufen oder Rampen). Eine Konsequenz daraus ist der sehr beschränkte Raum für Antrieb und Fahrwerk (Drehgestell). Angesichts der steigenden Leistungsanforderungen an solche Fahrzeuge stehen die Entwickler vor großen Herausforderungen.

Wie der Wagenkasten ist auch das Combino-Drehgestell SF 30 modular ausgeführt. Mit „Achsbrücken“ können angetriebene und nicht angetriebene Lauf-Fahrgestelle als 100 % Niederflur-Ausführung ohne Stufen oder Rampen ausgelegt werden. Das Triebfahrwerk ist mit einer Hohlwelle ausgestattet, die Räder sind über eine Sternkupplung angebracht. Das Antriebsmoment wird von einem längs eingebauten Fahrmotor über ein Getriebe auf beiden Seiten übertragen.

Am nicht angetriebenen Radsatz ist eine geflanschte Bremsscheibe am Rad angebracht; zwei Radsatzlenker unterstützen den Radsatz beim Bremsen. Zur Notbremsung verfügen beide Ausführungen (angetrieben und nicht angetrieben) über eine zusätzliche Magnetschienenbremse.

Für die Combino-Wagen in Amsterdam und Melbourne wurde eine weiterentwickelte Achsbrückenausführung mit verbesserter Charakteristik erforderlich (Abb. 3, Abb. 4 und Tabelle), zum Beispiel:

  • Gleiche Schnittstelle zu unterschiedlichen Systemen gummigefederter Räder, damit der Achszapfen modular ausgeführt werden kann,
  • Geringeres Gewicht,
  • Weniger Instandhaltungsaufwand,
  • Gleiche Schnittstelle zur restlichen Drehgestellkonstruktion und
  • Vorteile in der Logistik.

Die Konstruktion der Achsbrücke
Die ursprüngliche Achsbrücke in früheren Anwendungen bestand aus zwei Schmiedeteilen, die über ein angeschweißtes rechteckiges Hohlprofil verbunden waren. SKF führte zunächst Machbarkeitsuntersuchungen zu verschiedenen Fertigungskonzepten für die Achsbrücke durch. Nach Auswertung der Ergebnisse entschied man sich für ein Stahlgussteil, das höchste Zuverlässigkeit bei geringem Gewicht sicherstellt. Die Konstruktion wurde in enger Zusammenarbeit mit Siemens SGP sowie den Zulieferern der Räder, des Erdungs- und Bremssystems sowie den Subunternehmern für Metallguss und -bearbeitung weiter optimiert.

Die Berechnungen gingen von der bestehenden Konstruktion aus. In einem längeren Prozess wurde die neue Konstruktion nach der Finite-Elemente-Analyse (Abb. 6) Schritt für Schritt optimiert. Die Überprüfung der Schwingungs- und Spannungsberechnungen erfolgte durch ein unabhängiges Institut mit Hilfe von Dauerprüfungen über 10 Millionen Lastzyklen gemäß Norm 615-4 des Internationalen Eisenbahnverbands UIC.

Das Kernstück der Achsbrücke ist die integrierte Lagerung. Grundsätzlich liegen zwei unterschiedliche Anwendungen vor, die jeweils spezifische Lastfälle aufweisen:

  • Triebfahrwerke mit längs aufgehängtem Fahrmotor und Getriebe auf beiden Seiten, die ein Radpaar auf derselben Schiene antreiben. Hier kommen zwei Kegelrollenlager unterschiedlicher Größe zum Einsatz.
  • Die Lauffahrwerke laufen mit einer werkseitig befetteten und abgedichteten Kegelrollenlagereinheit (Abb. 7).

Erdungskontakte sind erforderlich, damit der Strom vom Fahrzeugaufbau über das Drehgestell und die Räder zu den Schienen zurückfließen kann. Manchmal fordert der Betreiber zwei Erdungskontakte, insbesondere wenn die beiden Schienen wegen der Fahrzeugüberwachung und des Signalsystems gegeneinander isoliert werden müssen. In beiden Fällen empfiehlt sich der Einsatz der bewährten INSOCOAT® Lager, bei denen Stromdurchgang durch das Lager und damit Beschädigungen von Wälzkörpern und Laufbahnen zuverlässig ausgeschlossen sind. INSOCOAT Lager mit keramikbeschichtetem Außenring sind eine wirtschaftliche und sichere Lösung.

SKF liefert an Siemens SGP eine einbaufertige Baugruppe aus Achsbrücke mit integrierter Lagerung und montierten Rädern, Kupplungen sowie Erdungs- und Bremssystem. Dies bedeutet aufgrund des vereinfachten Handlings erhebliche Einsparungen für die Siemens SGP-Logistik (Abb. 8).

Anwendungen
Die Amsterdamer Verkehrsbetriebe GVB haben bei Siemens 155 Combino-Niederflurstraßenbahnwagen bestellt. Das ist nicht nur der bisher größte Combino-Einzelauftrag für Siemens Transportation Systems, dieser Auftrag ist auch im weltweiten Maßstab ein großer Erfolg. Die erste Einheit wurde nach einer fünfwöchigen Erprobung im Wegberg-Wildenrath-Prüfzentrum von Siemens im November 2001 ausgeliefert (Abb. 9). Alle vierzehn Tage folgten dann drei weitere Einheiten. Eine so schnelle Auslieferung funktioniert nur dank des modularen Aufbaus der Combino-Reihe – sozusagen ein „Bausatz” mit erprobten Teilen.

Zwischen den Verkehrsknotenpunkten im Stadtgebiet sollen die Straßenbahnen zur Hauptverkehrszeit in einem Takt von zwei bis drei Minuten verkehren. Die mögliche Höchstgeschwindigkeit liegt bei 70 km/h. Diese Combino-Züge verfügen bei einer Länge von 29 Metern über 67 Sitz- und 120 Stehplätze. In Amsterdam sind insgesamt 70 Wagen im Einsatz.

Die „Swanston Trams“ in Melbourne bestellten 59 Combino-Niederflurstraßenbahnen, 38 dreiteilige und 21 fünfteilige. Siemens erhielt auch den Service- und Wartungsvertrag für diese Bahnen über zunächst 15 Jahre. Die ersten Bahnen wurden 2002 in Dienst gestellt.

Die Combino-Bahnen für Melbourne sind 20 bzw. 30 Meter lang und für den Zweirichtungsbetrieb vorgesehen (Abb. 10). In der Hauptverkehrszeit bietet der Combino bis zu 54 Sitzplätze. Die neuen Straßenbahnen sollen den öffentlichen Nahverkehr attraktiver und leistungsfähiger machen.

Ausblick
Siemens hat mit Avanto/S 70 ein weiteres Konzept ausgearbeitet. Die neue Stadtbahnwagengeneration ist über 70 % der Wagenlänge als Niederflurwagen ausgelegt und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 106 km/h. Die ersten Wagen werden Anfang 2004 in Houston/Texas in Dienst gestellt. Auch aus Paris und San Diego/Kalifornien liegen Bestellungen vor. Im letzten Jahr hat SKF in Zusammenarbeit mit Siemens SGP auch für das Lauffahrwerk eine ähnliche Konstruktion erarbeitet, die die gestiegenen Anforderungen erfüllt (Abb. 11).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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