Grünes Wachstum
2014 geschah etwas Außergewöhnliches: Die Weltwirtschaft wuchs, nicht aber der CO2-Ausstoß. Hohe Investitionen in erneuerbare Energien und eine wahre Flut von energieeffizienten Technologien könnten auf eine Zukunft hindeuten, in der Wirtschaftswachstum nicht automatisch mehr Umweltverschmutzung bedeutet.
Wer an den Klimawandel glaubt und etwas dagegen tun will, für den war 2014 ein einschneidendes Jahr.
Die Weltwirtschaft verzeichnete einen Anstieg von über drei Prozent, nicht aber die energiebedingten Kohlendioxidemissionen.
Die Internationale Energieagentur (IEA) stellte Anfang 2015 fest, dass zum ersten Mal seit 40 Jahren eine solche „Entkoppelung“ von Wirtschaftswachstum und CO2-Ausstoß verzeichnet worden sei. Frühere Rückgänge oder Stagnationen bei den Emissionswerten gingen immer mit wirtschaftlichem Abschwung einher.
Die Nachricht wurde von Klimaschützern als Beweis gesehen, dass ein geringerer Ausstoß von Treibhausgasen nicht auf Kosten des wirtschaftlichen Wachstums gehen muss.
„Es war für uns eine Bestätigung, dass der Wandel, den wir anstreben, tatsächlich möglich ist“, sagt Emily Rochon, die bei Greenpeace im belgischen Brüssel als globale Energiestrategin tätig ist.
Während ein globaler Rückgang der Kohlendioxidemissionen noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte entfernt ist, weisen Experten darauf hin, dass dies in einigen Industrieländern wie etwa in Schweden bereits der Fall ist. 2014 könnte also für den Rest der Welt der Beginn eines langfristigen Trends sein.
„2014 war ermutigend und zeigt uns, dass Investitionen in CO2-arme Energiequellen und andere saubere Sektoren zu Wachstum führen können“, erklärt Isabella Neuweg, Politikanalystin und Forschungsberaterin von Professor Nicholas Stern am Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment der London School of Economics. „Das ist ein entscheidender Punkt – es ist keine Frage von Entweder-oder.“
Die so genannte Entkoppelung von 2014 kam allerdings nicht plötzlich.
Nach Angaben von PBL, der niederländischen Regierungsbehörde für strategische Politikanalyse im Bereich Umwelt, Natur und Raum, sowie der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission (JRC) hat sich der Anstieg der globalen Kohlendioxidemissionen seit 2012 verlangsamt.
Der Grund dafür sind hauptsächlich Chinas gewaltige Investitionen in erneuerbare Energien – die 2014 investierte Rekordsumme von 75 Milliarden Euro übertraf die des Vorjahres um 39 Prozent – und die Bemühungen des Landes, die Luftverschmutzung in den Städten durch Schließung oder Modernisierung der schmutzigsten Kohlekraftwerke zu bremsen. Aber China war nicht als einziger aktiv.
Auch andere Länder haben entweder aus Eigeninteresse oder echtem Engagement für eine Schadstoffbegrenzung ihre Abhängigkeit von CO2-produzierenden Energiequellen wie Kohle und Erdöl reduziert und auf weniger energieintensive Technologien umgestellt. Der energiebedingte CO2-Ausstoß steht für fast 70 Prozent der globalen Emissionen.
Weltweit haben sich die Investitionen in erneuerbare Energien in den letzten zehn Jahren versechsfacht. 2014 lagen sie mit 244 Milliarden Euro um 17 Prozent über dem Wert von 2013, wie aus Daten der Frankfurt School – UNEP Collaborating Centre for Climate and Sustainable Energy Finance sowie von Bloomberg New Energy Finance hervorgeht.
Die wahre Flut von energieeffizienten Technologien, die von Glühbirnen bis Flugzeugtriebwerken überall zu finden sind, hat ebenso zu der Entwicklung beigetragen wie der Schiefergas-Boom in den USA, der zu verstärkten Investitionen in Gaskraftwerke geführt hat.
Die Investitionen kurbeln die Wirtschaft an, zum einen, weil Arbeitsplätze in neuen Sektoren geschaffen werden, und zum anderen, weil Unternehmen Energiekosten einsparen, die sie zur Expansion ihres Geschäfts nutzen. Sie haben außerdem spürbare Auswirkungen auf den globalen Energiesektor.
Nach Angaben von Bloomberg New Energy Finance übertrifft der Kapazitätszuwachs bei erneuerbaren Energien inzwischen den von fossilen Brennstoffen. Die IEA geht davon aus, dass der Trend anhalten wird. Das heißt, in den kommenden fünf Jahren wird Strom aus erneuerbaren Energien nahezu zwei Drittel des Nettozuwachses der globalen Leistungskapazität ausmachen.
Die Umstellung von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien wird zudem durch die sinkenden Technologiekosten weiter erleichtert. Dadurch werden Sonnen- und Windenergie erschwinglicher und können mit den immer billigeren Energieträgern Kohle und Erdöl konkurrieren.
Allerdings werden Investitionen in nachhaltige Energie und Energieeffizienz den Anstieg der Kohlendioxidemissionen nicht schnell genug bremsen, um dem gefährlichen Klimawandel entgegenzuwirken.
„Um wirklich langfristig eine nachhaltige Entkopplung zu erreichen,(…) fürchte ich, dass wir um eine Senkung unseres Energieverbrauchs nicht herumkommen“, meint Henrik Selin, der sich an der Frederick S. Pardee School of Global Studies der Universität von Boston auf die Politik und Politikgestaltung im Bereich Umwelt- und Nachhaltigkeitsentwicklung spezialisiert hat.
Die Frage ist nur: Wie kann die Welt ihren Energieverbrauch reduzieren, wenn Entwicklungsländer ihre Stromnetze für Millionen von Menschen ausbauen?
Ein Teil der Lösung besteht darin, die Energiesysteme dieser Länder zu „entkarbonisieren“ und ihnen zum Beispiel über den grünen Klimafonds der Vereinten Nationen (UN Green Climate Fund) einen besseren Zugang zu erneuerbaren Energien zu verschaffen, erklärt Selin. Auf diese Weise können sie ihren Energieverbrauch steigern, ohne ihren CO2-Ausstoß zu erhöhen.
Gleichzeitig müssen die größten Klimasünder – China, Nordamerika und Europa – ihren Energieverbrauch drastisch reduzieren.
Laut Rochon von Greenpeace ist es für die Länder der Welt „technisch und finanziell machbar“, bis 2050 komplett auf erneuerbare Energien umzustellen und gleichzeitig ein „vernünftiges Maß an Wirtschaftswachstum“ zu erreichen. So könnte die Erderwärmung auf die von der Klimapolitik weltweit angestrebten 2 Grad Celsius begrenzt werden.
Es muss jedoch schneller gehandelt werden, vor allem in bisher vernachlässigten Bereichen wie dem Transportwesen.
„Wir leisten in vielen Teilen der Welt gute Arbeit bei der raschen Umsetzung von sauberer Energietechnik und der Schließung schmutziger Anlagen“, sagt sie. „Aber es geht trotzdem zu langsam.“