Alice Bah Kuhnke – Portrait eines engagierten Lebens
Laut Alice Bah Kuhnke von Sektor3 müssen Wohlfahrtsorganisationen lernen, sich besser zu verkaufen, indem sie aufzeigen, wie ihre Arbeit unser tägliches Leben beeinflusst
Alice Bah Kuhnke, Leiterin der neuen schwedischen Ideenschmiede Sektor3, ist für die meisten Schweden ein bekanntes Gesicht. Schon im Alter von 19 Jahren moderierte sie ein Kinderprogramm im schwedischen Fernsehen. Das war der Beginn einer zehnjährigen TV-Karriere als Moderatorin und Reporterin. Nach ihrer Zeit beim Fernsehen war sie unter anderem zuständig für die Abteilung „Ideas for Life“ beim schwedischen Lebensversicherer und Kapitalverwalter Skandia und Generalsekretärin der Organisation Fair Trade, bei der sie bis zur Gründung der neuen Ideenschmiede im November 2008 blieb. Alice Bah Kuhnke ist als Frau bekannt, die Stellung bezieht und ihre Meinung offen sagt.
„Ich war in meinem Leben immer von Leuten umgeben, die wussten, wer ich war, selbst wenn sie mich gar nicht kannten“, sagt Kuhnke. Ein Grund dafür war die Tatsache, dass sie in dem kleinen südschwedischen Ort Horda, in dem sie aufwuchs, das einzige Kind war, das einen afrikanischen Vater hatte und dunkelhäutig war.
„Vielleicht hatte ich deshalb nie Angst, im Rampenlicht zu stehen“, lacht sie.
Das Dorfleben sorgte auch dafür, dass sie sich in verschiedenen Vereinen engagierte. Horda liegt mitten im so genannten „Bibelgürtel“ und hatte damals drei verschiedene, äußerst aktive christliche Freikirchen. Hinzu kamen noch kunsthandwerkliche Gruppen, Sportvereine und die Pfadfinderbewegung.
„Es war völlig normal für Jugendliche in unserem Ort, sich an allen möglichen Aktivitäten zu beteiligen. Das hat meine Persönlichkeit stark geprägt“, erklärt Kuhnke.
Als Vorsitzende von Sektor3 repräsentiert Kuhnke die 30 Mitgliedsorganisationen der Ideenschmiede, die das gesamte Spektrum von kulturellen über sozialen und genossenschaftlichen bis zu religiösen Vereinigungen abdecken.
Kuhnke sieht ihre Aufgabe im Engagement für einen Bereich der schwedischen Gesellschaft, den man Zivilgesellschaft nennt. Er ist extrem vielfältig, weil er aus einer Vielzahl unterschiedlicher Initiativen, Vereine und Verbände besteht, deren Mitglieder bestimmte Wertvorstellungen oder Interessen teilen und sich deshalb – meist freiwillig – für eine Sache einsetzen. Die Palette reicht von der Arbeit für den örtlichen Fußballverein über Laientheatergruppen und Genossenschaften bis zu religiösen Gemeinden und sogar Bürgerinitiativen als Loyalitätsbekundung für den örtlichen Supermarkt.
Schweden kann mit nur neun Millionen Einwohnern stolze 32 Millionen Mitglieder in 160.000 Organisationen vorweisen. Das heißt: Praktisch jeder engagiert sich irgendwo. „Wir gehören weltweit zu den Ländern mit den meisten Vereinen, aber ich glaube, die Menschen sind sich gar nicht darüber im Klaren, wie wichtig das ist.“, kommentiert Kuhnke.
Kuhnke glaubt, dass die Notwendigkeit für zivilgesellschaftliches Engagement angesichts des Wandels in der Gesellschaft weiter zunehmen wird. Unser Wohlfahrtssystem wird irgendwann nicht mehr ausreichen, um gute Schulen und Gesundheitsfürsorge für alle sicherzustellen.
„Wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir freiwillige Leistungen neu bewerten müssen. Das gilt sowohl für die Organisationen selbst als auch für den Rest der Gesellschaft“, fügt sie hinzu.
Durch Forschung und Debatten will Sektor3 den ehrenamtlichen Akteuren helfen, sich den Aufgaben der Zukunft zu stellen und soziale Veränderungen – ob infolge der Finanzkrise oder ökologischer Phänomene wie zum Beispiel des Klimawandels – zu meistern.
„Zivilgesellschaftliche Prozesse müssen näher untersucht werden, um positive Elemente verstärken und negative Elemente identifizieren zu können“, erklärt Kuhnke. „Wir müssen die Spreu vom Weizen trennen. Vieles in der Zivilgesellschaft ist gut, aber noch längst nicht alles.“
Dieser kritische Ansatz muss laut Kuhnke bei den Organisationen selbst beginnen. Sektor3 organisiert Seminare, Workshops und Vorlesungen für Mitgliedsvereinigungen, die ein Forum für interne und externe Diskussionen bilden.
Die meisten Vereine in Schweden werden staatlich unterstützt, erklärt Kuhnke, aber diese Mittel werden vermutlich irgendwann wegfallen, und dann müssen andere Quellen gefunden werden. Hier können Unternehmen eine wichtige Rolle übernehmen. In vielen Ländern werden Spenden für wohltätige Zwecke durch Steuervergünstigungen gefördert. Einige plädieren dafür, diese Regelung auch in Schweden einzuführen.
„Aber jedes Mal, wenn die Frage Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchung war, wurde immer nur darauf geschaut, wie sich solche Steuervergünstigungen auf den Staatshaushalt auswirken würden“, fährt Kuhnke fort. „Dabei gibt es Hunderte von anderen Fragen, die hier relevant sind.“ Etwa: Welche Konsequenzen hätte das auf die Zivilgesellschaft? Wer würde davon profitieren? Welchen Effekt hätte das auf die Demokratie?“
Seit unserem Interview mit Alice Bah Kuhnke hat sie einen Posten als Vice President für Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung bei der schwedischen ÅF Group angenommen, einem technischen Beratungsunternehmen mit 4.000 Beschäftigten. Sie trat die Stelle am 1. September 2009 an