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Das Ungetüm von Lyon, ein Prüfstand für großflächige Lagerkontakte

Die Tribogyr-Testanlage im National Institute of Applied Sciences im französischen Lyon eröffnet neue Möglichkeiten für die Tribologieforschung.

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Fakten

INSA Lyon
Das 1957 gegründete National Institute of Applied Sciences (INSA) in Lyon ist eine der größten akademischen Einrichtungen Frankreichs für die Ausbildung von Ingenieuren und arbeitet nach einem integrierten, auf Ausbildung, Forschung und Innovation basierenden Konzept. Das INSA Lyon auf dem LyonTech-Campus verleiht jedes Jahr über 1.400 Ingenieur-, Master- und Doktortitel. Das Institut pflegt dabei auch enge Beziehungen zu Industrieunternehmen. Es gehört zur INSA Group (fünf INSA in Frankreich), die im Bereich der technischen Forschung und Ausbildung einen ausgezeichneten Ruf hat.

LaMCoS (Contacts and Structural Mechanics Laboratory) ist ein interdisziplinäres Forschungslabor mit 240 Mitarbeitern, das von INSA Lyon und CNRS (Nationales Zentrum für Wissenschaftliche Forschung in Frankreich) gemeinsam finanziert wird. Es bietet ein breites Kompetenzspektrum in den Bereichen Tribologie, Dynamik, mechanische Kraftübertragung und Umformprozesse. Eines der Spezialgebiete von LaMCoS ist die Mehrskalenanalyse von geschmierten Kontakten. Die Forschungsarbeit konzentriert sich auf die Konstruktion von Ausrüstung zur Untersuchung von geschmierten Kontakten und die Entwicklung von theoretischen Modellen, die durch praktische Tests verifiziert werden.

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Guillermo Morales, Guillermo.Morales@skf.com

Es ist ein komplexes sechs Tonnen schweres Ungetüm aus Metalllegierungen, Sensoren und Rechnern, das in einem separaten klimatisierten Raum auf hydrostatischen Lagern von zwei Metern Durchmesser ruht, um es von externen Schwingungen abzuschirmen. Die Rede ist von Tribogyr, dem größten und modernsten Prüfstand zur Messung von Reibung und Schmierfilmdicke in hochbelasteten Wälzkontakten.  

Die Maschine wurde von LaMCoS (Contacts and Structural Mechanics Laboratory) am National
Institute of Applied Sciences (INSA) im französischen Lyon entwickelt und ist seit 2005 in Betrieb. Die Tribogyr ist das Ergebnis einer langen Entwicklungszusammenarbeit, an der SKF maßgeblich beteiligt war. Sie bietet neue Einblicke in das Reibungsverhalten von Wälzkörpern – eine wichtige Voraussetzung, um kommerziellen Trends bei Lagern in Richtung höhere Leistungsdichte und geringere Reibung entsprechend zu begegnen.

Philippe Vergne, Forschungsleiter bei LaMCoS, ist seit 2002 in das Projekt involviert. Wie Vergne erklärt, kann ein besseres Verständnis der Reibung „zu einer höheren Effizienz von großen Lagern führen.“ Tribogyr simuliert das Verhalten im Maßstab 1:1, und das bedeutet, dass die Maschine Kräfte von bis zu 3.000 Newton und Geschwindigkeiten von bis zu 22.000 Umdrehungen in der Minute bewältigen kann. Vergne meint zur Größenordnung des Projekts: „Eine Testmaschine dieses Maßstabs und dieser Komplexität hatte nie zuvor zur Debatte gestanden.“ Da die Maschine so konzipiert ist, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Parameter angelegt und gemessen werden kann, erfordert das Einrichten der Testanlage zwei Personen, sagt der Ingenieur Nicolas Devaux, der den Betrieb der Tribogyr leitet. Für jede Einstellung gibt es ein Werkzeug, und Einstellungen hat die Maschine zu Genüge, scherzt er. Es kann anderthalb Tage dauern, bis
Tribogyr für einen Test gerüstet ist, der vielleicht nur eine halbe Stunde umfasst.

Die Tribogyr misst Reibungskräfte und -momente in verschiedenen Richtungen, die unabhängig voneinander von den beiden Kontaktflächen, Wälzkörper und Bord, vorgegeben werden. Der Durchmesser des Kontakts liegt in der Größenordnung von fünf Millimetern, was für hochbelastete geschmierte Wälzkontakte gewaltig ist. „Bei vollem Betrieb könnte der Kontakt eine Wärmeabstrahlung von über zehn Kilowatt erzeugen. Eine große kommerzielle Testmaschine erreicht nur 0,9 kW“, erklärt Guillermo Morales-Espejel, Gastprofessor bei INSA in Lyon und ein führender Wissenschaftler im SKF Engineering & Research Centre (SKF ERC) in den Niederlanden.

„Großflächige Wälzkontakte verhalten sich nicht wie große kleinflächige. Sie sind jeweils einzigartig in ihrem Verhalten“, fährt Morales-Espejel fort. „Je größer der Kontakt, desto größer die Asymmetrie in der Oberflächengeschwindigkeit. Schmierfilmdicke und Reibung werden weitgehend von der lokalen Geschwindigkeit an den Oberflächen bestimmt. Deshalb ist Asymmetrie in der Geschwindigkeit gleichbedeutend mit Asymmetrie in der Schmierfilmdicke und Reibung, und das ist nicht einfach zu berechnen.“

Mit der Tribogyr lässt sich Reibung messen. Im Rahmen der jüngsten Forschungsarbeit des Doktoranden Thomas Doki-Thonon wird auch die Schmierfilmdicke gemessen. Wie Doki-Thonon erläutert, liefern seine neuesten Simulationen in der Maschine ein Bild des Schmierstoffflusses, aus dem sich sowohl qualitative als auch quantitative Informationen über das Schmierstoffverhalten ablesen lassen.

Für Doki-Thonon ist die Erstellung von Rechnermodellen des Tribogyr-Kontakts, die dann in Tests verifiziert werden, eine Ergänzung zu den praktischen Messungen und Simulationen. Alle sechs Monate legt er seine Ergebnisse SKF vor. „Die konkreten industriellen Bedürfnisse von SKF sind für mich ein starker Anreiz, Ergebnisse zu erzielen und Verbesserungen vorzuschlagen“, sagt Doki-
Thonon. Darüber hinaus liefert die bei LaMCoS durchgeführte Forschung einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaft der Tribologie. Geschmierte Wälzkontakte sind noch wenig erforscht, und es gibt kaum Literatur zu diesemThema. Mit der Tribogyr und den Rechnermodellen von INSA wird allmählich deutlich, wie Kontaktzonen in Rollenlagern zur Bewältigung von schwereren Lasten bei geringerer Reibung optimiert werden könnten.

In seiner Funktion als Gastprofessor bei LaMCoS verbringt Morales-Espejel jeden Monat eine Woche in Lyon. Dadurch hat SKF die Möglichkeit, die täglichen Aktivitäten in den verschiedenen Forschungsprojekten zu steuern. „Allerdings betreiben wir bei SKF ERC auch aus einer eher strategischen Perspektive eine sehr enge Zusammenarbeit mit INSA, um ein tieferes Verständnis für Reibung unter trockenen und geschmierten Bedingungen zu entwickeln“, betont er. „Wir haben verschiedene Projekte im Zusammenhang mit Tribogyr gehabt, aber auch in anderen Bereichen, die mit vielschichtigen Phänomenen wie Reibverschleiß, molekulare Dünnfilme im Bereich der Schmierung und makroskopische Modelle zur Schmierung zu tun haben.“ Die Arbeit an der Tribogyr wird seit 2005 von einem Doktoranden begleitet, und wenn Doki-Thonon im nächsten Jahr seine Doktorarbeit abschließt, wird ein anderer Doktorand die Möglichkeit zu weiteren Forschungen zum Thema Tribogyr und Reibung in groß­flächigen geschmierten Wälzkontakten erhalten.

Für SKF hat die Arbeit mit LaMCoS klare Vorteile. Morales-Espejel erklärt dazu: „SKF bekommt Zugang zu allen Faktoren, wenn es um großflächige Wälzkontakte geht. Wir können nicht nur Reibung und Schmierfilmdicke simulieren und messen, sondern auch sehr genau die Temperaturverteilung in der Kontaktzone und in deren Umgebung. Die Konstrukteure von SKF erhalten so die einzigartige
Gelegenheit, unsere Lagerkonstruktionen kontinuierlich zu verbessern und sie zu den zuverlässigsten und effizientesten auf dem Markt zu machen.“

Vergne zufolge wird SKF ihre enge Beziehung zu LaMCoS fortsetzen. Kontinuierliche Bemühungen sind im Gange, um die Tribogyr weiter zu verbessern. Daraus werden sich neue Test- und Simulationsmöglichkeiten ergeben. Es ist eine einzigartige Zusammenarbeit und eine einzigartige Maschine, die neue Erkenntnisse über das Verhalten von großen Lagern liefert.

 

 

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