Amory B. LovinsHypercar – die Idee vom neuen Auto

Wer Amory B. Lovins im Frühstücksraum seines Hotels sitzen sieht, wie er bescheiden und unauffällig in einer ruhigen Ecke genüßlich seinen Tee mit Milch trinkt, kann sich kaum vorstellen, daß dieser Mann auf dem Weg ist, die Welt zu verändern – oder zumindest die Autos dieser Welt.
   

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Wer Amory B. Lovins im Frühstücksraum seines Hotels sitzen sieht, wie er bescheiden und unauffällig in einer ruhigen Ecke genüßlich seinen Tee mit Milch trinkt, kann sich kaum vorstellen, daß dieser Mann auf dem Weg ist, die Welt zu verändern – oder zumindest die Autos dieser Welt.
   

Sollte sich aber das preisgekrönte Konzept seines Ultraleichtmobils, das er Hypercar nennt, auf dem Markt durchsetzen, wird genau das eintreten. Die Voraussetzungen dafür sind, wie Lovins sagt, zum größten Teil bereits gegeben.

Lovins gehört zum Führungsteam des Rocky Mountain Institute (RMI), das er zusammen mit seiner Frau, L. Hunter Lovins, 1982 gründete. Er ist ein Physiker auf der Suche nach den Ursprüngen und gleichzeitig ein Futurist und eine Art Umweltguru. Das Forschungsziel des gemeinnützigen RMI ist der auf Effizienz optimierte Ressourceneinsatz sowie die Entwicklung von unternehmerisch durchsetzbaren Konzepten.
   

Lovins befaßte sich mit der Idee des Hypercar erstmalig 1991. Er stellte sich ein Fahrzeug vor, das um ganze 65 Prozent leichter sein sollte als ein Durchschnittsauto, mit 92 Prozent weniger Eisen und Stahl oder sogar noch weniger. Anders als bei einem herkömmlichen Auto mit durchschnittlich 250 beweglichen Teilen sollte die Zahl der beweglichen Teile beim Hypercar auf sechs bis 20 reduziert werden. Seine Elektromotoren an den vier Rädern sollten von einer erneuerbaren Wasserstoff-Brennstoffzelle oder einem anderen unabhängigen Energiespender angetrieben werden. Das Hypercar würde nicht wie batteriegetriebene Elektrofahrzeuge schwere Batterien mit sich herumtragen und müßte auch nicht aufgeladen werden.
   

Eine optimale Aerodynamik und Reifen mit geringem Widerstand würden mit ultraleichten, hochtechnologischen Polymer-Verbundstoffen kombiniert, die sowohl robust als auch haltbar wären. Die Materialfestigkeit wäre ein Garant für die Sicherheit, aber die Leichtigkeit des Fahrzeugs würde bedeuten, daß es mit der Hälfte der Leistung auskäme, die ein Auto mit Stahlkarosserie benötigt. Der Preis sollte dem einer amerikanischen Limousine der Mittelklasse entsprechen, jedoch mit besserem Komfort und höherer Leistung. Es würde nur ein Viertel (oder weniger) des Kraftstoffs einer typischen Limousine verbrauchen und nur zwischen einem Zehntel und einem Tausendstel an Luftverschmutzung verursachen.
   

1993 fand Lovins, daß er mit seinen Plänen weit genug gekommen war, um die Automobilhersteller dafür zu interessieren. Statt jedoch den -– wie er es nennt – traditionellen Weg zu gehen und das Konzept an ein Unternehmen zu verkaufen, brachte Lovins die Hypercar-Pläne an die Öffentlichkeit, als ob sie Computer-Shareware wären, so daß niemand sie patentieren konnte.
   

„Ich habe sie allesamt darauf angesetzt“, sagt er mit einem amüsierten Lächeln. In den letzten fünf Jahren haben Automobilhersteller und andere Unternehmen rund drei Milliarden US-Dollar (5,4 Milliarden DM) investiert, um das Hypercar-Konzept kommerziell zu verwirklichen, und die Investitionen verdoppeln sich jedes Jahr.
   

Dieser Umstand ist, wie Lovins sagt, darauf zurückzuführen, daß das RMI in seinen Analysen die Überlegenheit und die entscheidenden Wettbewerbsvorteile dieses Fahrzeugs nachgewiesen hat. Hinzu kommt noch, daß Hypercars Investitionen, Produktionszeiten und Montageaufwand auf einen Bruchteil reduzieren.
Die enorm effizienten, sauberen, leisen und zuverlässigen Hypercars sollen von Brennstoffzellen angetrieben werden. Brennstoffzellen erzeugen Elektrizität, indem sie gespeicherten Wasserstoff mit dem Sauerstoff aus der Luft kombinieren.
   

Mit der heutigen Technologie wäre es zu teuer, Brennstoffzellen in ein Hypercar einzubauen. Wahrscheinlicher ist, daß sie zunächst nur in gewerblich genutzten Gebäuden zum Einsatz kommen werden, und zwar in Gegenden mit hohen Strompreisen und einem voll ausgelasteten Stromnetz. Ihr einziges Nebenprodukt, reines Wasser mit einer Temperatur von 70 Grad Celsius, könnte in einem solchen Gebäude wertvolle Dienste für das Heiz – und Klimasystem leisten.
   

Die Niedertemperatur-Brennstoffzelle aus Polymer wird voraussichtlich Ende dieses Jahres erstmalig in Serienproduktion gehen können. „In drei bis fünf Jahren“, sagt Lovins, „werden die Produktionskosten für die Brennstoffzellen so weit gesunken sein, daß sie auch für Hypercars eine wirtschaftliche Lösung sind.“
   

Für Lovins ist Hypercar viel mehr als nur ein Auto. Seiner Meinung nach handelt es sich hierbei nicht nur um Fahrzeug-, sondern auch um Energietechnologie. Was er sich vorstellt, ist ein Kraftwerk auf Rädern. „96 Prozent der Zeit ist das Fahrzeug geparkt“, meint er. „Wenn also ein Büroangestellter morgens mit einem Hypercar zur Arbeit fährt und es gibt einen entsprechenden Anschluß, kann er das Fahrzeug an das Stromversorgungsnetz anschließen und es mit Elektrizität speisen.“
   

„Während Sie an Ihrem Schreibtisch sitzen, erzeugt Ihr zweitgrößter Besitz im Haushalt (nach dem Haus selbst) auf ruhige und saubere Weise Strom“, so Lovins. „Bald werden Autos fünfmal so viel Strom generieren wie das gesamte Stromversorgungsnetz, und die Autobesitzer bekommen etwa die Hälfte der Fahrzeugkosten dadurch zurück.“
Aber wollen die Autofahrer denn dieses neue Fahrzeug? „Wenn jemand ein Auto produzieren kann, das die versprochene Leistung auch tatsächlich erbringt, und das zu einem vernünftigen Preis, dann, glaube ich, werden die Verbraucher ganz verrückt danach sein“, sagt Steven R. Brechin, Professor an der Fakultät für Naturschätze der Universität von Michigan.
   

Und die Autoindustrie, meint Lovins, wird zu solch drastischen Veränderungen bereit sein, denn es liegt in ihrem finanziellen Interesse.
Da das Hypercar so wenige bewegliche Teile und eine nichtrostende, nichtverschleißende Karosserie aus Verbundwerkstoffen hätte, könnte es im Grunde ewig halten. Nur sein softwarebasiertes Steuerungssystem müßte leistungsmäßig angepaßt werden.
   

„Ich glaube, die Autoindustrie wird sich innerhalb der nächsten zehn Jahre grundlegend verändern“, meint er. Unternehmen wie SKF werden ihre Produkte und ihre Zielgruppen völlig neu überdenken müssen. Hypercars werden weitaus weniger Lager haben, aber die werden dafür um so komplizierter und anspruchsvoller sein.
   

Lovins hat die Aufmerksamkeit von Politikern, Wirtschaftsmagnaten und führenden Köpfen von Energieversorgungsunternehmen gewonnen. Er wird in zahlreichen Zeitungen und Magazinen aus den unterschiedlichsten Bereichen gelobt und auf die Liste derjenigen gesetzt, die die Automobilindustrie am stärksten beeinflussen.
   

Lovins hat auch herausgefunden, wie Energie in großen Motor-systemen gespart werden kann. Sein Portefeuille an Verbesserungsvorschlägen, 35 an der Zahl, umfaßt den vorzeitigen Austausch der derzeitigen Motoren gegen hocheffiziente Systeme. Das hört SKF gern. Die Lager dieser hocheffizienten Motoren sind vermutlich technisch äußerst anspruchsvoll und haben entsprechende Gewinnspannen.
   

Lovins verbringt die Hälfte seiner Zeit mit Reisen. Wenn er seinen Heimatort Old Snowmass in Colorado verläßt, führt ihn sein Weg in so entfernte Länder wie Japan und Südafrika. Auf seiner letzten Reise in die Ukraine glich sein Terminkalender dem eines Popstars auf Tournee, aber nur wenige Popstars haben Lovins Stehvermögen oder die Fähigkeit, immer wieder etwas Neues zu präsentieren.
   

„Eine völlig neue Perspektive von den Dingen zu haben, ist nicht leicht“, meint Brechin. „Er ist in der Lage, ein Konzept völlig auf den Kopf zu stellen. Das ist äußerst inspirierend.“
Ariane Sains  

Wirtschafts- und Technikjournalist in Stockholm, Schweden  

Foto Dan Coleman

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