Aus der Sicht der Fah­re­rin

Das neue Konzeptfahrzeug von Volvo wendet sich speziell an berufstätige und finanziell unabhängige Frauen. Um die weibliche Perspektive hervorzuheben, bestand das Entwicklungsteam ausschließlich aus Frauen

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Als Volvos „Your Concept Car” auf dem Genfer Automobilsalon im März vorgestellt wurde, sorgte es für einiges Aufsehen. Mit seinen Flügeltüren und seiner hochmodernen technischen Ausrüstung vermittelt das Fahrzeug einen futuristischen Eindruck. Die Zielgruppe sind „Premium”-Frauen, wie Volvo sie nennt, das heißt berufstätige Frauen der oberen Einkommensschichten mit speziellen Wünschen und Bedürfnissen. Das Projektteam hinter diesem Konzeptfahrzeug spricht liebevoll von „Eve”, wenn die Zielgruppe gemeint ist, und denkt dabei an eine extrem unabhängige, sozial aktive, familienorientierte Frau, die ständig unterwegs ist.

„Sie will ein Auto, das ihren Bedürfnissen entgegenkommt”, sagt die Kommuni­kationsleiterin des Projekts, Tatiana Butovitsch Temm. „Alles soll so sein, wie sie es will.”

Eve reflektiert zweifellos den aktuellen Markttrend. Die Statistik zeigt, dass berufs­tätige Frauen ein wachsendes Käufersegment mit hohen Ansprüchen darstellen.

Das Projektteam bestand aus acht Frauen, die alle keine Erfahrungen aus vergleich­baren Projekten mitbrachten, was sie bei der Entwicklung eines Konzeptfahrzeugs für einen Vorteil hielten.

„Wir gingen vorbehaltlos an die Sache heran und waren offen für verschiedene Vorgehensweisen”, erklärt Temm.

Die Teammitglieder empfanden die Kommunikation mit ihren weiblichen Kollegen als befreiend. „Es erleichtert die Arbeit, wenn man sofort verstanden wird, weil alle dieselbe Sprache sprechen”, erzählt Lena Ekelund, stellvertretende technische Leiterin des Projekts. „Wenn man mit männlichen Kollegen spricht, muss man seine Worte sorgfältig wählen, damit sie einen verstehen. Bei Frauen ist das anders. Sie verstehen die Botschaft, auch ohne dass man die Worte zurechtlegt.”

Auch die Kommunikation mit Lieferanten und Kunden war ein wichtiger Teil der Arbeit des Technikerinnenteams. Anna-Karin Longnell, Wirtschaftsinformatikerin in der Automotive Division von SKF, war eine der Vertreterinnen der Lieferantenseite. „Sie involvieren mehr Leute und reden mehr über das, was sie tun. Vielleicht ist das die weibliche Art zu arbeiten, zu kommunizieren und zu interagieren. Meiner Ansicht nach war das der wesentlichste Unterschied bei diesem Projekt”, meint Longnell.

Darüber hinaus suchte das Team bei der Wahl der Lieferanten gezielt nach weiblichen Ansprechpartnern. „Es war keine Voraussetzung, sondern eher ein Wunsch”, so Temm.

Dennoch wurden auch männliche Berater für das Projekt hinzugezogen, und einer von ihnen war Shahriar Ravari von Consat Engineering in Göteborg, Schweden. Als Projektleiter für die Elektro- und Telematiksysteme des YCC (Your Concept Car) schlug er unter anderem einen SKF-Hubzylinder für verschiedene Höheneinstellungen im Fahrzeug vor.

Ravari war schon in vielen männerdominierten Unternehmen als Berater tätig. Frauen haben es schwerer, meint er, ihre Fähigkeiten zu beweisen. „Aber das Team hat bei der Projektplanung sehr gute Arbeit geleistet. Wichtige Entscheidungen wurden genau zum richtigen Zeitpunkt für die richtige Sache getroffen. Ich bin von der Arbeit der Frauen wirklich beeindruckt, besonders von ihrer Professionalität und ihrem enormen Einsatz für dieses Projekt”, sagt er.

Grünes Licht für eine Idee
Die Idee zu diesem Konzeptfahrzeug kam Ende der achtziger Jahre auf, als Volvo eine Referenzgruppe für weibliche Autokäufer startete. Der nächste Schritt war eine „Kundenfokusgruppe” in Kalifornien, die aus potenziellen Kundinnen bestand. Diese beiden Gruppen testeten neue Autos und gaben ihre Meinung darüber ab. Ihr Feed-back führte zu einer Reihe von Eigenschaften, die in den heutigen Volvo-Fahrzeugen zu finden sind.

„Wir stellten uns deshalb die Frage: ‚Wie sähe ein Auto aus, das ausschließlich von Frauen konstruiert worden ist? ‘“, erzählt Temm. Die logische Konsequenz war, diese Idee zu realisieren.

„Einen maßgeblichen Einfluss auf das Projekt würden wir nur erhalten, wenn alle Entscheidungen von Frauen getroffen würden. Deshalb bildeten wir dieses Projektteam”, meint die Projektleiterin, Camilla Palmertz. „Aber wir schließen keine Männer aus.” Tatsächlich waren auch viele Männer an dem Projekt beteiligt.

„Im Juni 2002 legten Palmertz, Temm und andere Technikerinnen die Idee dem Vorstandsvorsitzenden von Volvo Cars, Hans-Olov Olsson, vor, der den Vorschlag mit großem Interesse annahm und seine Unterstützung zusagte. Im Oktober 2002 erhielten sie grünes Licht für das Projekt und im Dezember die erforderlichen finanziellen Mittel. Bereits nach 14 Monaten konnte das Fahrzeug auf der Genfer Automobilmesse präsentiert werden.

Kein Alibiprojekt
Magnus Johansson war Personalleiter bei Volvo Cars, als das Projekt ins Leben gerufen wurde. Zurzeit ist er bei SKF als „Group Six Sigma Champion” tätig. Er beschreibt den YCC als ein an der Basis realisiertes Projekt ohne Steuerung durch die Unternehmensleitung und erinnert sich, dass er dem Team empfahl, die Geschlechterfrage nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen. „Es darf kein Projekt werden, das nur genehmigt oder akzeptiert wurde, damit Volvo Cars seine positive Einstellung zur Gleichberechtigung unter Beweis stellen kann”, sagte er damals zu den Frauen.

Nach Ansicht von Johansson hat das YCC-Projekt das Bewusstsein für die Talente der Kolleginnen geschärft. „Es zeigt, dass Volvo für neue Heraus­forderungen offen ist”, meint er. „Es ist ein wirkungsvoller Beitrag, um den Leuten die Augen zu öffnen. Wir können eine Menge daraus lernen. Die Art, wie das Projekt durchgeführt und präsentiert wurde, unterscheidet sich deutlich von herkömmlichen Entwicklungsprojekten. Es beweist, dass man Dinge auch anders machen kann.”


Eine Auster mit vielen Perlen
Volvos Konzeptfahrzeug YCC legt besonderes Gewicht auf Bequemlichkeit, gute Rundumsicht, Ergonomie und großzügigen Stauraum.

Zu den zahlreichen besonderen Merkmalen dieses Fahrzeugs gehören die löffelförmigen seitlich absenkbaren Vordersitze, die das Ein- und Aussteigen erleichtern, die geteilte Nackenstütze für Frauen, die einen Pferdeschwanz tragen, und eine Mittelkonsole mit Schiebedeckel, unter dem sich viel Stauraum für Handtasche, Laptop und Kühlbox verbirgt.

Anstelle der üblichen dreisitzigen Rückbank wurden zwei „Kinositze” eingebaut, deren Sitzfläche nur bei Bedarf heruntergeklappt wird. Auf diese Weise bietet der Gepäckraum reichlich Platz für Einkaufstüten und Koffer.

Eine weitere Innovation ist die Einparkhilfe „Space Check”, ein neuartiger Sensor, der dem Fahrer mitteilt, ob die Parklücke für das Fahrzeug groß genug ist. Bei zweimaligem Tastendruck dreht sich das Lenkrad automatisch und parkt den Wagen ein. Der Fahrer steuert lediglich Gas und Bremse. „Dann können Sie aussteigen und entspannt lächeln. Das Auto verleiht ihnen ein strahlendes Aussehen”, meint die stellvertretende technische Leiterin des Projekts, Lena Ekelund.

Obgleich auf Motorstärke kein besonderes Gewicht gelegt wurde, ist für den YCC ein extrem kräftiger Fünfzylinder-PZEV-Motor (Partial Zero Emission Vehicle) vom Typ ISG60V. Die PZEV-Technik bedeutet weniger Schadstoffausstoß, weil sich der Motor bei Stillstand des Fahrzeugs, etwa an einer roten Ampel, abschaltet.

 

 

 

 

 

 

 

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