Business Outlook: Die neue Macht der Verbraucher
Bei dem heutigen Informationsüberfluss nehmen die Verbraucher die Zügel selbst in die Hand und schreiben sogar den Unternehmen gelegentlich vor, was sie produzieren sollen. Für alle Branchen gilt, wer wettbewerbsfähig bleiben will, muss Verbraucherwünschen Rechnung tragen
Verbraucher, die nicht von Skrupeln geplagt sind, können sich heute dank Internet jederzeit und überall jeden beliebigen Film anschauen und jede Musik anhören.
Dieses neue Verhaltensmuster stellt eine ernsthafte Bedrohung für die traditionellen Wege der Musik und Filmdistribution dar. Dieser Push-Pull-Effekt zwischen Verbrauchern und Produzenten prägt allmählich fast jede Branche.
Im Werbe- und Marketingsektor gilt die herkömmliche und oft kostspielige Plakat- und Fernsehwerbung nicht mehr als optimaler Weg, um die Zielgruppen zu erreichen. Nach Ansicht von Forrester Research, einem führenden Marktforschungsunternehmen für die Internet-Industrie, war 2005 die Hälfte aller Konsumenten eher geneigt, sich von direkten Empfehlungen anderer Verbraucher oder verbrauchergenerierter Medien beeinflussen zu lassen als von Radio- und Fernsehwerbung.
In einer Zeit des Informationsüberflusses finden die Verbraucher die gewünschten Botschaften selbst – über Internet, Websites, Podcasts, Blogs oder ganz einfach durch Mundpropaganda. Die Unternehmen sollten diese neuen Medien akzeptieren, meinen die Experten, statt sie zu bekämpfen.
„Erfahrene Verbraucher scheuen keine Mühe, sich ausführliche Informationen darüber zu beschaffen, wo man die besten, billigsten, hochwertigsten, gesündesten und coolsten Produkte bekommen kann oder wie man sich einen Wissensvorsprung verschafft. Unser Informationshunger will sofort gestillt werden“, sagt Reinar Evers, Gründer der Web-site trendwatching.com, die globale Trends mit Hilfe von 8.000 Trendbeobachtern in allen Teilen der Welt identifiziert und analysiert.
Die jüngsten von trendwatching.com ermittelten Trends zeigen, dass sich durch die Informationstech-nologie die Art, wie wir Produkte kaufen und verwenden und wie wir Informationen darüber austauschen, verändert hat. Die Trends werden auf der Website mit Bezeichnungen wie massclusivity oder tryvertising alphabetisch aufgelistet und eingehend erklärt.
„Der Hunger nach relevanten Informationen ist fast nicht zu stillen und wird sich bald schon nicht mehr nur auf die Online-Welt beschränken, sondern allgegenwärtig sein“, meint Evers. „Wir müssen uns auf eine Welt einstellen, in der man sich mit einem Mausklick, einer Textmitteilung, einem akustischen Signal, einer Bildschirmberührung oder ähnlichem jede gewünschte Information ohne zeitliche Verzögerung beschaffen kann.“
Mit anderen Worten, die Verbraucher nehmen in einer nie dagewesenen Weise die Zügel selbst in die Hand und schreiben gelegentlich sogar den Unternehmen vor, was sie produzieren sollen.
Die New York Times berichtete in einem Artikel vom 18. Juni 2006 über den Schuhdesigner John Fluevog, der Filmstars und Mannequins mit seinen bunten und extravaganten Modellen ausstattet und nun seine Kunden eigene Modelle entwerfen lässt. Er nennt es „Open-Source Footwear“. Die Kunden schicken ihre Entwürfe zu Fluevogs Website, fluevog.com, und die am meisten Erfolg versprechenden Entwürfe werden produziert und verkauft.
Im selben Artikel wird auch Eric von Hippel zitiert, Leiter des Fachbereichs Innovation und Unternehmertum an der Sloane School of Management
des US Massachusetts Institute of Technology. Er nennt das Phänomen „Lead User Innovation“ und hat dessen Auswirkungen in den unterschiedlichsten Branchen von Extremsportgeräten bis zur medizinischen Ausrüstung studiert.
Von Hippel meint, heutzutage stehen interessierte Verbraucher über Breitband-Internet miteinander in Verbindung. Besonders engagierte Anwender eines Produkts haben oft schon Ideen, wie man das Produkt verbessern könnte, bevor der Hersteller darauf kommt. Unternehmen, die mit dem raschen Wandel auf den Konsumgütermärkten Schritt halten wollen, sollten auf diese Verbraucher hören und sie in den Designprozess einbeziehen.
„Es wird immer leichter und billiger für die Verbraucher, die Produktinnovation selbst in die Hand zu nehmen“, sagt von Hippel. „Das ist nicht traditionelle Marktforschung, bei der man die Verbraucher fragt, was sie möchten. Man versucht vielmehr herauszufinden, was fortschrittliche Produktanwender bereits tun und was ihre Innovationen für die Zukunft des eigenen Geschäfts bedeuten könnten.“
Manche Produzenten hören jedoch nicht nur auf die Verbraucher, sondern gehen noch einen Schritt weiter. Jones Soda, ein rasch expandierender Softdrinkhersteller in Seattle, der Limonaden wie Blue Bubblegum und Fufu Berry in seinem Sortiment führt, hat die Einbeziehung der Verbraucher in die Entwicklung der Limonadenmarke Jones zur Geschäftsidee gemacht. Die Kunden können übers Internet an der Gestaltung der Flaschenetiketten teilnehmen.
Ist Jones ein Limonadenhersteller? Ein Internetunternehmen? Ein „Social Networking“-Unternehmen? „Wir sind von jedem etwas“, erklärt Peter van Stolk, Gründer und Geschäftsführer von Jones Soda. „Unser Ziel ist, die Kunden über immer neue Wege aktiv an der Prägung der Marke zu beteiligen.“
Verbrauchern diese Art von Macht zu verleihen, wird jedoch auch kritisiert. Intelliseek, ein in Cincinnati, Ohio, ansässiges Unternehmen, das sich selbst als „Marketing Intelligence Company“ bezeichnet und so schwergewichtige Kunden wie Nokia, Microsoft, Sony und Toyota zu seinem Klientel zählt, führte 2005 dazu eine Untersuchung durch. Sie ergab, dass Unternehmen mit dieser Vorgehensweise ganz bewusst künstliches Aufsehen um ihre Produkte schaffen, indem sie Verbraucher dafür bezahlen, dass sie Produkte und Marken weiterempfehlen. Das ist eine Form der Lockvogelwerbung und nichts anderes als eine Guerillataktik.
Wie die Untersuchung zeigte, wäre ein Drittel der Befragten enttäuscht, wenn eine ihnen vertraute Person nicht zugeben würde, von einem Unter nehmen bezahlt oder anderweitig entschädigt worden zu sein, 26 Prozent meinten, sie würden sich auf die Meinung dieses Freundes nie mehr verlassen und 30 Prozent sagten, sie wären weniger geneigt, noch einmal ein Produkt oder eine Dienstleistung von diesem Unternehmen zu kaufen.
„Vertrauen ist der Grundpfeiler einer wirksamen Werbung, wenn auch ein sehr zerbrechlicher“, erklärt Pete Blackshaw, Marketingleiter bei Intelliseek, auf der Website des Unternehmens, intelliseek.com.

