Zustandsüberwachung mit KI-Unterstützung
Ein Forschungsprojekt an der Technischen Universität Luleå (LTU) in Nordschweden zielt darauf ab, die Möglichkeiten der generativen künstlichen Intelligenz in die Welt der Maschinenzuverlässigkeit zu integrieren. Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit SKF durchgeführt.
Die moderne Zustandsüberwachungstechnologie hat Wartung und Instandhaltung von technischen Anlagen in Industrieunternehmen verändert: Durch Analyse von Maschinenparametern wie Schwingungspegeln, Temperaturschwankungen und Stromverbrauch erhalten die Bediener früh Hinweise auf potenzielle Probleme. So lassen sich Wartungsmaßnahmen planen und rechtzeitig durchführen, um die Maschinenverfügbarkeit zu maximieren und eine kontinuierliche Produktion zu gewährleisten.
Die Zustandsüberwachung zu automatisieren, ist jedoch schwierig. „Im Labor ist der Zusammenhang zwischen Schwingungssignalen und bestimmten Lagerfehlern hinreichend untersucht und festgestellt worden“, erklärt Karl Löwenmark, Doktorand an der Technischen Universität Luleå (LTU). „In einem Produktionsumfeld ist das jedoch wesentlich komplizierter und erfordert einen Anwendungstechniker mit langjähriger Erfahrung.“
Zu Löwenmarks industriellen Geldgebern zählen neben SKF einige der weltweit anspruchsvollsten Nutzer von Zustandsüberwachungstechnologie. Auch zwei große Papierfabriken mit gigantischen Papiermaschinen, die mit Tausenden von Sensoren ausgestattet sind, gehören dazu. „Ich arbeite mit Maschinen, die sich über Dutzende von Metern erstrecken“, sagt Löwenmark. „Eine Papiermaschine enthält eine Vielzahl von rotierenden Teilen, die rauen Bedingungen wie hoher Luftfeuchtigkeit und starker Wärmeeinwirkung ausgesetzt sind. Deshalb verbirgt sich in den Sensorsignalen eine beträchtliche Menge an Informationen.“
Der Einsatz von KI in automatisierter Zustandsüberwachung von Lagern hat beträchtliches Potenzial.
Cees Taal, , leitender Forscher des SKF Forschungs- und Entwicklungszentrums
„Aus den Signalen der Maschinen Probleme herauszulesen, erfordert viel Fachkompetenz. Aber allein die große Menge der Daten ist überwältigend.“ Im schlimmsten Fall verbringen Analytiker jeden Tag mehrere Stunden damit, falsche Warnsignale und andere fehlerhafte Daten zu durchsuchen, bevor sie überhaupt mit der Identifizierung und Diagnose potenzieller Maschinenprobleme beginnen können.
Löwenmark begann sein Dissertationsprojekt 2020., Er wollte erforschen, wie neue KI-Technologien Analytikern Arbeit abnehmen können. Denn dann hätten die Analytiker mehr Zeit für wertschöpfende Arbeit, die Papierfabriken zu einem zuverlässigeren Betrieb ihrer Maschinen verhilft. Da Fachkräfte mit entsprechender Kenntnis und Erfahrung zum Betrieb solcher Systeme meist rar sind, könnte so ein wesentliches Hindernis für eine breitere Anwendung von Zustandsüberwachungssystemen beseitigt werden.
„Der Einsatz von KI in automatisierter Zustandsüberwachung von Lagern hat beträchtliches Potenzial“, verdeutlicht Cees Taal, Co-Sponsor des Projekts und leitender Forscher im Diagnose- und Prognoseteam des SKF Forschungs- und Entwicklungszentrums im niederländischen Houten. „Die Anwendung von KI-Systemen auf diesem Gebiet ist allerdings nicht so einfach wie im Bereich von Bild und Sprache.“
„Mein Projekt fiel zeitlich mit dramatischen Fortschritten in KI-Technologien zusammen“, erklärt Löwenmark. „Als ich begann, steckten große Sprachmodelle wie das GPT-System von OpenAI noch in den Anfängen ihrer Entwicklung. Sie waren nicht so öffentlich zugänglich wie heute. Ein Großteil meiner Arbeit bestand darin, bei den Fortschritten der letzten vier Jahre hinterherzukommen, gleich zu ziehen und dann Wege zu finden, diese Fortschritte auf industriespezifische Aufgaben zu übertragen.“
Von Bildern zu Signalen
Die Klassifizierung oder Erfassung von Objekten in einem Bild ist in den letzten zehn Jahren erheblich besser geworden. Die Anwendung dieser Methoden auf Zustandsüberwachungsdaten zur Diagnose oder Prognose von Lagerfehlern ist allerdings schwierig. Die erste Herausforderung besteht darin, dem KI-System zu vermitteln, wonach es suchen soll. „Diese Systeme werden mit riesigen Datenmengen trainiert“, erläutert Löwenmark den Vorgang. „Die KI-Entwickler bauen gewaltige Trainingsdatensätze. Dabei verwenden sie sorgfältig gelabelte und kategorisierte Beispiele aus dem Internet. Daten zur Zustandsüberwachung sind zwar im Überfluss vorhanden, aber schwierig zu nutzen, weil sie unstrukturiert, heterogen und vor allem nicht gelabelt sind.“
Aber Löwenmark konnte auf Dokumentation zurückgreifen. Zustandsüberwachungsexperten von SKF und den beiden Papierfabriken hatten im Laufe der Jahre Hunderte von Berichten gesammelt, in denen Maschinenausfälle, Reparaturmaßnahmen und Daten zur Identifizierung der jeweiligen Fehler detailliert dokumentiert waren. Mit diesen Berichten wollte er ein Allzweck-KI-Modell zur Handhabung von Zustandsüberwachungsdaten trainieren.
Das war keine leichte Aufgabe. „Zustandsüberwachungsberichte unterscheiden sich grundlegend von den typischen, zum Trainieren von KI-Modellen verwendeten Texten und Bildern“, so Löwenmark. „Die Daten können auf unterschiedlichste Weise dargestellt werden, und die Sprache der Analytiker ist sehr technisch und enthält branchen- oder unternehmensspezifische Begriffe, die anderswo kaum benutzt werden.“
Beim „Bildaspekt“ ist das System auf die Komplexität von Zustandsüberwachungssignalen ausgelegt. „Wenn man eine KI darauf trainiert, das Bild eines Hundes zu erkennen, ist das einfach, weil man weiß, dass das Trainingsbild einen Hund darstellt“, fährt Löwenmark fort. „Bei der Zustandsüberwachung handelt es sich oft um transiente Signale, die sich mit der Zeit verändern. Deshalb muss man zusätzlich zu den aktuellen Signalen auf historische Daten zurückgreifen und unter Umständen auch verschiedene Arten der Repräsentation dieser Daten betrachten.“
Technische Sprache begreiflich gemacht
Diese Probleme zu lösen, erforderte Einfallsreichtum. Löwenmark verwendete ein breites Spektrum an Verfahren, um die Daten und Berichte der Techniker in ein Format zu konvertieren, das die heutigen KI-Systeme interpretieren konnten. Er fügte in die Eingabeaufforderungen zum Betrieb des KI-Modells Erklärungen zu den Daten und Definitionen von Schlüsselbegriffen ein und versah das System mit Links zu Erläuterungen.
Diese Elemente benutzte der Wissenschaftler für den Feinschliff von sogenannten „Dual Supervision“-KI-Modellen. Diese Systeme sind in der Lage, Text- und Bilddaten gleichzeitig zu verarbeiten. Die Technologie wird verwendet, um automatisch Beschreibungen von Fotos oder Videoclips zu generieren oder synthetische Bilder von Benutzereingaben zu erstellen.
Die neuen Modelle erwiesen sich zur Bewältigung von realen Zustandsüberwachungsaufgaben schon bald als praxistauglich. Ein erster Erfolg stellte sich schnell ein, als Löwenmark bewies, dass ein KI-Modell durch fehlerhafte Sensoren oder Sensorkabel erzeugte Signale zuverlässig erkennen konnte. In großen Zustandsüberwachungsanlagen sind solche Vorkommnisse relativ häufig. Sie sind leicht zu beheben, aber sie in der Datenmenge zu identifizieren, erfordert zeitaufwendige Analysen durch einen Techniker.
„Wenn eine KI solche Fehler ermitteln kann, muss ein Analytiker die Diagnose nur noch kontrollieren und bestätigen“, sagt Löwenmark. „So ließe sich wertvolle Zeit einsparen.“
Weiterentwicklung von KI-Assistenten
KI kann auch bei der Diagnose von komplexeren Problemen helfen: Mit neueren Versionen von Löwenmarks System können Analytiker schneller und präziser diagnostizieren. „In einem Beispiel schaut sich ein Analytiker ein Signal an und beginnt damit, eine Beschreibung des Problems einzutippen“, so Löwenmark. „Währenddessen ruft das System automatisch Beispiele von ähnlichen Fällen aus der Vergangenheit auf und zeigt, wie die Daten aussahen und welches Problem vorlag. Der Analytiker wird so bei seiner eigenen Diagnose unterstützt oder an einen Kollegen mit mehr Erfahrung bei der Diagnose ähnlicher Probleme verwiesen.“
Die nächste Systemiteration wird zurzeit entwickelt. Sie zielt darauf ab, das KI-Modell zu einem interaktiven virtuellen Assistenten für Zustandsüberwachungspersonal auszuweiten. Sie wird ein „Chat“-Interface enthalten, das auf Textabfragen des Benutzers reagieren, relevante Daten aufrufen, Analysewerkzeuge einsetzen und die nächsten Schritte zur Diagnose eines Problems vorschlagen kann.
Ist KI-unterstützte Zustandsüberwachung damit schon reif für die Praxis? Löwenmark ist vorsichtig optimistisch. „Ich würde sagen, wir haben einen stabilen Rahmen, aber jede Zustandsüberwachungsanlage ist anders. Das heißt, Benutzer müssen die Modelle mit ihren eigenen Daten trainieren und auf ihre jeweiligen Abläufe und Prozesse abstimmen. KI-Systeme können Reinforcement Learning nutzen, damit das Modell die Relevanz und Präzision seiner Ergebnisse auf der Grundlage von Anwender-Feedback schrittweise verbessert.“
SKF untersucht derzeit die Übertragbarkeit von Löwenmarks Konzept. Ein neues Projekt, bei dem es um die Anwendung des KI-Modells auf andere Applikationen geht, ist bereits im Gespräch.
Karl Löwenmarks Arbeit wird von dem strategischen Innovationsprogramm der schwedischen Prozessindustrie, PilA (Process industrial IT and Automation) unterstützt. Dabei handelt es sich um ein gemeinsames Investitionsvorhaben von Vinnova, der schwedischen Zentralbehörde für Innovationssysteme, Formas, dem staatlichen Forschungsrat für nachhaltige Entwicklung und Energimyndigheten, der schwedischen Energieverwaltung. Neben der Technischen Universität Luleå (LTU) und SKF sind auch das Forschungsinstitut RISE sowie die Papierfabriken SCA Munksund und Smurfit Kappa Piteå an dem Projekt beteiligt.