Das dynamische Verhalten von Wälzlagern in Simulation und Versuch
Eine neue Entwicklung sind Computersimulationsprogramme für das dynamische Verhalten von Wälzlagern. Damit lassen sich die Effekte verstehen, die sich auf die Leistungsfähigkeit der Lager in der jeweiligen Anwendung auswirkenSeit über 100 Jahren werden Wälzlager eingesetzt, und es liegen ausreichend Erfahrungen zu ihrem stationärem Verhalten und zu ihrer Tragfähigkeit vor. Auch die Ermüdungslebensdauer lässt sich inzwischen für saubere wie verunreinigte Lager ausreichend genau abschätzen. Das dynamische Verhalten von Wälzlagern jedoch ist noch nicht so detailliert erforscht, obwohl es der normale Betriebszustand eines Wälzlager ist.
Dieses dynamische Verhalten muss auch mit dynamischen Messmethoden untersucht werden, so etwa mit BEAST (BEAring Simulation Tool), dem Lagersimulationsprogramm von SKF. BEAST untersucht alle Wälzlagerbauteile unter üblichen Lastbedingungen. Dabei werden die auf den Käwirkenden Kräfte und seine Bewegungen genauso betrachtet wie Schränken und Kippen der Rollen und Rutschen der Wälzkörper.
Dieser Artikel behandelt die wichtigsten Aspekte des BEAST-Modells und eine Gegenüberstellung mit experimentellen Ergebnissen.
Das Wälzlager-Modell
Wälzlager sind Maschinenelemente, die gleichzeitig höchste Genauigkeit und Tragfähigkeit, ein geringes Reibungsmoment, geringe Schwingungen und Laufgeräusche aufweisen. Abb. 1 zeigt die Komponenten eines Wälzlagers: Innenring, Außenring und Wälzkörper. Die meisten Wälzlager haben außerdem einen (oder mehrere) Käfig(e), einige auch einen Führungsring.
Das Programm BEAST simuliert das Verhalten von Wälzlagern aller Bauarten (mit Käfig). Ältere Simulationsprogramme berücksichtigen den Käentweder gar nicht oder nur in Form eines zweidimensionalen Modells. BEAST erstellt jedoch ein vollständiges dreidimensionales Modell, das keinerlei Annahmen in bezug auf das statische oder dynamische Verhalten von Lagerbauteilen voraussetzt. Grenzbedingungen und Belastungen lassen sich beliebig vorgeben. Auch können die Bauteile geometrisch frei beschrieben werden, was insbesondere für den Käwichtig ist.
Die Simulation
Ein Wälzlager wird als System aus verschiedenen Körpern dargestellt. Die Simulation des Lagerverhaltens erfolgt über die Lösung der Newtonschen Gleichungen für jeden dieser Körper. Zur genauen Berechnung der Kräfte im Wälzkontakt müssen die Berührungsflächen im Lager geometrisch genau beschrieben sein, da sich Ungenauigkeiten in der Größenordnung von nur 0,1 µm bereits als erhebliche Abweichungen in der Leistungsfähigkeit niederschlagen können, etwa bei der Stabilität der Rollen oder der Verteilung des Drucks im Wälzkontakt. Das tribologische Modell berücksichtigt die Auswirkungen auch kleiner geometrischer Änderungen wie der Oberflächenrauheit.
Berechnung der Kräfte im Kontakt
Das Modell der Kräfte im Wälzkontakt ist der wichtigste Bestandteil jedes Modells zur Wälzlagersimulation. In Bezug auf die Rechenzeit, Stabilität und Genauigkeit werden hohe Anforderungen an dieses Modell gestellt. BEAST berücksichtigt die dreidimensionalen elastischen Auswirkungen bei beliebiger Geometrie und Trunkierung. Das Modell wurde anhand von Finite-Elemente-Modellen (FEM) und Experimenten überprüft und liefert genaue Ergebnisse für die Hertzsche Pressung.
Der Einfluss der Schmierung wird mit dem Modell der elastohydrodynamischen Schmierung im Kontakt (EHL) berücksichtigt. Es basiert auf dem Druck/Viskositäts-Verhältnis von Roelands und einem kompressiblen Öl. EHL-Laufzeitberechnungen sind für ein Simulationsprogramm bei weitem nicht schnell genug. Die Formeln für Schmierfilmdicke, Druckmomente und Druckverteilung wurden daher aus einer großen Anzahl von EHL-Berechnungen für eine Vielzahl von Betriebsbedingungen abgeleitet.
In einem Wälzlager können sich die Schmierverhältnisse zwischen Grenzschmierung und einer vollständigen
Trennung der Oberflächen (EHL) bewegen. Für den Trennungsparameter wird eine spezifische Schmierfilmdicke L=h/s, verwendet, mit h gleich der rechnerischen Filmdicke und s gleich dem quadratischen Mittel der Oberflächenrauheit der Berührungsflächen.
Bei vollständiger Trennung der Laufflächen errechnet sich die Scherspannung mit einer geglätteten Variante des Modells der Grenz-Scherspannung. Bei Grenzschmierung wird ein vom Betreiber vorgegebener Reibungskoeffizient eingesetzt. Im Übergangsbereich zwischen trennendem Schmierfilm und Grenzschmierung wird mit einer Gleichung von Steinert gerechnet.
Der Betreiber gibt die Gesamtdicke der Ölschicht auf beiden Berührungsflächen an und bestimmt damit die Ölmenge im Wälzkontakt. Bei der Berechnung der Schmierfilmdicke wird automatisch der Grad der Mangelschmierung bestimmt.
Auch andere topologische Effekte wie die Ausrichtung der Rauheit aufgrund der Schleifrichtung können den Aufbau des Schmierfilms und damit die Reibung beeinflussen. Solange dieses Phänomen noch nicht genauer untersucht ist, wird mit einem für die jeweilige Anwendung spezifischen Faktor gerechnet.
Semi-empirische Modelle für Werkstoff- und Quetschdämpfung werden für alle Wälzkontakte eingesetzt. Sie werden anhand von Versuchen überprüft, bei denen Kugeln auf Platten aus verschiedenen Werkstoffen und mit unterschiedlich dickem Ölfilm aufspringen.
Grenzbedingungen
Ein Wälzlager steht nie für sich allein, sondern ist immer ein eine Maschine eingebaut. Die Verknüpfung zwischen Lager und Maschine, d.h. die Grenzbedingungen des Lagers, sind genauso wichtig wie seine innere Geometrie. BEAST ist so flexibel, dass die echte Anwendung realistisch nachgebildet werden kann.
Die Verknüpfungen zwischen den Körpern lassen sich unabhängig voneinander mit sechs Freiheitsgraden beschreiben: Linearbewegung in drei Richtungen (x, y, z) und jeweils die Rotation um diese Achsen. Verschiedene Formen der Verknüpfung sind denkbar:
- Linearfeder und Dämpfer; die Koeffizienten können beliebige Werte annehmen, auch Null;
- Einfache Lagermodelle mit nicht-linearem Steifigkeitsverlauf, Lagerluft und Dämpfung;
- Beliebige Lastfunktionen und
- Beliebige Funktionen vorgegebener Bewegungen.
Die genannten Mechanismen können einzeln eingesetzt oder beliebig kombiniert werden. Die Funktionen der vorgegebenen Bewegung und der Belastung sind zeitabhängig.
Ausgabedaten
BEAST analysiert das Lagerverhalten außerordentlich detailliert und gibt entsprechend eine große Datenmenge aus. Die wichtigsten Daten beziehen sich auf die Bewegung aller Komponenten im Lager, die Berührungskräfte zwischen den Komponenten und die Kräfte in Interaktion mit der Umgebung. Daneben werden detaillierte Daten aus dem Wälzkontakt bestimmt, etwa Verlustleistung, Schmierfilmdicke, Druckverteilung, Verteilung der Schlupfgeschwindigkeit und Verschleiß.
Die Ausgabedaten können auf unterschiedliche Art betrachtet werden. Oft beginnt man mit einer Animation der Lagerbewegung, wobei die Bewegungen der einzelnen Bauteile zur Verdeutlichung vergrößert dargestellt werden. Kraft- oder Geschwindigkeitsvektoren lassen sich in die Animation einfügen (siehe Abb. 2). Manche Parameter wie Anpressdruck oder Schlupfgeschwindigkeit werden dreidimensional auf den Körpern oder auf parametrischen Flächen dargestellt (Abb. 7). Alle Daten lassen sich in zweidimensionalen Darstellungen wie in Abb. 4 sehr detailliert und flexibel betrachten.
Beispiele für Wälzlagersimulationen
Zur Bestätigung der Wälzlagersimulationen wurden zahlreiche Tests auf dem Prüfstand CATRIONA durchgeführt. In der ersten Testreihe wurden die Kräfte zwischen Käund Kugeln gemessen, die zweite untersuchte die Bewegungen des Käfigs.
Der Prüfstand CATRIONA ist eine hydrostatische Präzisionsspindel, auf die der Lagerinnenring hier von einem Rillenkugellager 6309 aufgesetzt wird. Der Außenring wird in ein Joch montiert, auf das pneumatisch Kräfte aufgebracht werden, einmal in radialer und dreimal in axialer Richtung. So sind unterschiedlich Lastkombinationen möglich.
Zunächst wurden mit BEAST die durchzuführenden Tests simuliert. Geometrie, verwendete Werkstoffe und Lastbedingungen in BEAST sollten die echten Prüfbedingungen möglichst genau wiedergeben. Einzelne Belastungen und Innenringdrehzahlen sind Tabelle 1 zu entnehmen.
Käfigtaschenkräfte
Die auf die Käfigtaschen wirkenden Kräfte wurden mit Dehnungsmessstreifen in einem speziellen Kägemessen (Abb. 3), der auf einer aerostatischen Spindel ins Lager eingeführt wurde. Die Käfigstege wurden geteilt, um das Signal der Dehnungsmessstreifen zu verstärken und um von beiden Seiten des Käfigstegs jeweils einen eigenen Messwert zu erhalten. Über die Spindel konnte die Lage des Käfigs kontrolliert werden, und Signalverstärker wurden in geringer Entfernung von den Dehnungsmessstreifen eingebaut.
Auch die Trägheit der aerostatischen Spindel, ihre Steifigkeit und Dämpfungseigenschaften sind im BEAST-Modell des Käfigs berücksichtigt. Die Spindel bewirkt auch ein Bremsmoment auf den Käfig, das näherungsweise berechnet wurde. Es war so klein, dass eine Messung nicht möglich war, und es wurde auch bei Veränderung des Moments in den Simulationen keinerlei Auswirkung auf die Käfigtaschenkräfte festgestellt.
Richtung (radial, axial, kombiniert) und Größe der Belastung sowie Innenringdrehzahl wurden in den Tests unterschiedlich kombiniert. Die Tests aus Tabelle 1 werden im folgenden näher beschrieben.
Käfigtaschenkräfte bei rein radialer Belastung
Als Beispiel für rein radiale Belastung sind Prüffälle R1 und R5 dargestellt. Das Lager wird mit 1.000 N radial belastet, die Drehzahl des Innenrings wird variiert.
Bei reiner Radialbelastung liegt an den Kugeln eine genau definierte Lastzone vor. Da die Radialkraft am Außenring nach oben wirkt, befindet sie sich unten im Lager.
Testfall R1
Abb. 4 zeigt das Verhalten einer Kugel während einer Umdrehung in Testfall R1 (Drehzahl 600 1/min, Radiallast 1 kN). Es tritt an den vorderen wie an den hinteren Käfigstegen eine Reihe abnehmender Stöße auf. Die Kugel befindet sich zu Beginn oben im Lager. Bei der Abwärtsbewegung beschleunigt sie aufgrund der Schwerkraft und setzt auf dem vorderen Käfigsteg auf. Dies passiert, weil die Geschwindigkeit der Kugel gering ist und sie ohne Last umläuft. Beim Eintritt in die Lastzone ist die Kugel noch nah am vorderen Käfigsteg, da die Geschwindigkeit des Käfigs von den belasteten Kugeln abhängt. Hinter der Lastzone wird die Kugel aufgrund der Schwerkraft und wegen der Verlustleistung beim Abrollen auf dem Außenring langsamer. Daher nimmt der Unterschied zwischen Käfig- und Kugelgeschwindigkeit zu, damit steigt auch die Stoßkraft beim Aufsetzen gegenüber dem vorderen Käfigsteg. Dieser Effekt wirkt sich in den Messungen allerdings kaum aus.
Testfall R5
Abb. 5 zeigt die Rechen- und Messergebnisse für Testfall R5 mit einer Innenring-Drehzahl von 6.000 1/min. Bei dieser Drehzahl haben die Kugeln einfach keine Zeit mehr, auf die Käfigstege aufzusetzen. Die Stöße treten nun praktisch nur am hinteren Käfigsteg auf, da in dieser Position der Drehzahlunterschied zwischen Kugel und Käam größten ist. Die Kraftspitzen sind zeitlich in der richtigen Position, und die errechneten Kraftgrößen entsprechen ziemlich genau den gemessenen Werten.
Käfigkraft bei Schiefstellung
Bei Schiefstellung gegenüber der horizontalen Achse (Testfall M24, 3.000 1/min) ergibt sich ein ganz anderes Bild. Es treten nicht nur Stoßbelastungen auf, sondern Kräfte über einen längeren Zeitraum (siehe Abb. 6). Das ist darauf zurückzuführen, dass die Kugeln in unterschiedlichen Positionen im Lager unterschiedlich belastet sind und somit auch unterschiedliche Tangentialgeschwindigkeit haben. Wenn die Differenz in der Tangentialposition aufgrund der unterschiedlichen Geschwindigkeiten die verfügbare Käfigtaschenluft übersteigt, kommen die Kugeln „in Konflikt“ mit dem Käfig, d.h. die belasteten Kugeln berühren über längere Zeit den Käfig.
Die Kugel berührt den Käzwei Mal in jedem Umlauf, am vorderen und am hinteren Käfigsteg. Die Kraftspitzen beginnen zwar mit einer Stoßbelastung, gehen aber größtenteils auf Reibung zurück. Die Stoßspitzen sind, aufgrund der Elastizität der Käfigstege, in den Messungen nicht so deutlich ausgeprägt.
Die unterschiedliche Belastung der Kugeln ist auch aus Abb. 7 ersichtlich.
Sie zeigt die Druckverteilung zwischen Kugeln und Innenring. Das jeweilige
Segment der Innenringlaufbahn wird als Parameterfläche dargestellt, wobei die Umfangsrichtung von links unten nach rechts oben läuft. Die Druckverteilung ist aufgrund des schiefen Lastangriffs in Größe und Position veränderlich.
Käfigbewegung
Eine zweite Testreihe auf dem Prüfstand CATRIONA untersuchte die Bewegungen eines „normalen“ Käfigs. Die Bewegung des Käfigs wurde mit drei Näherungssensoren axial und mit vier Sensoren radial aufgenommen. Die Käfigbewegung in der Lagerebene ist am wichtigsten.
Beim untersuchten Kähandelte es sich um einen Standard-Schnappkäaus Kunststoff (glasfaserverstärktes Polyamid 6,6). Auf den Käfigrücken war allerdings ein dünner Stahlring aufgebracht (siehe Abb. 8), der die Gegenfläche für die Näherungssensoren bildet.
Wie bei den Tests zu den Käfigkräften wurden unterschiedliche Belastungen (radial/axial/kombiniert), Lastgrößen und Innenringdrehzahlen aufgebracht.
Käfigbewegung bei reiner Axiallast
Bei reiner Axiallast (Testfall A10) sind die Kugeln gleichmäßig belastet und laufen mit derselben Drehzahl. Dabei tritt normalerweise eine stetige Wirbelbewegung des Käfigs auf (siehe Abb. 9). Wegen der Anlaufbedingungen, beispielsweise des Einflusses der Schwerkraft, sind die Kugeln zueinander in unterschiedlichen Positionen. Dieser Mechanismus hat eine stochastische Komponente und kann unterschiedliche Wirbelradien und Mittenpositionen ergeben. Bei normaler Käfigluft und Drehzahl ist die Zentrifugalkraft kleiner als die Schwerkraft. Kugelgeführte Käfige laufen normalerweise mit der Geschwindigkeit des Kugelsatzes um. Bei ringgeführten Käfigen kann dies anders sein.
Die Stochastik des Wirbelradius wurde in den Tests deutlich, wo sich bei zwei Fällen mit identischer Axialbelastung, aber unterschiedlicher Laufrichtung auch unterschiedliche Wirbelradien ergaben.
Schlussfolgerungen
Mit Mehrzweck-Programmen können Wälzlager nur schwer dynamisch simuliert werden. Die Anforderungen an die Geschwindigkeit und Genauigkeit der Modelle zur Berechnung der Kräfte im Wälzkontakt sind einfach sehr hoch.
SKF hat ein Simulationsprogramm entwickelt, das diese Anforderungen erfüllt und bei dem mit Parallelrechnung und der Nutzung eines strukturierten Gleichungssystems die Rechenoperationen beschleunigt werden.
Dieses Simulationsprogramm BEAST wurde in verschiedenen Versuchen auf Herz und Nieren getestet. Die Beispiele hier zeigen nur einen Ausschnitt seiner Leistungsfähigkeit.
BEAST ermöglicht den SKF Ingenieuren ein besseres Verständnis der Dynamik im Lager, schnellere Entwicklungsarbeit und bessere technische Unterstützung des
Kunden.
Lars-Erik Stacke und Dag Fritzson,
SKF Group Manufacturing Development Centre, Göteborg, Schweden,
sowie Bengt Rydell, SKF Engineering & Research Centre B.V. (ERC), Nieuwegein,
Niederlande.