Das fehlende Glied
In den Ultraleichtflugzeugen des Flugzeugherstellers Pipistrel sind dank einer einzigartigen Konstruktion die Sitze nebeneinander angeordnet. Viel Spaß beim Testflug im neuen Taurus
In den Ultraleichtflugzeugen des Flugzeugherstellers Pipistrel sind dank einer einzigartigen Konstruktion die Sitze nebeneinander angeordnet. Viel Spaß beim Testflug im neuen Taurus
Pipistrel ist ein kleines slowenisches Unternehmen mit einem großen Namen, wenn es um ultraleichte Flugzeuge geht. Die Hauptverwaltung befindet sich in Ajdovšina. Im Büro des Unternehmensgründers, Geschäftsführers und leitenden Testpiloten, Ivo Boscarol, hängt eine Weltkarte an der Wand, in die eine unregelmäßige rote Linie eingezeichnet ist.
„Diese Linie zeigt die 47.100 Kilometer lange Route, auf der eines unserer Flugzeuge, ein Sinus, in 79 Tagen um die Welt flog“, erklärt Boscarol. „Es war das erste Mal, dass ein ultraleichter Motorsegler im Alleinflug die Welt umrundete.“
„Und von den 79 Tagen wurde ich 14 Tage in Russland und acht Tage in der Mongolei festgehalten“, fügt Matevz Lenarcic, der Pilot des historischen Fluges, hinzu. „Dabei ging es keineswegs um die Flugtauglichkeit des Flugzeugs. Der Sinus ist für Langstreckenflüge hervorragend geeignet. Für die gesamte Route brauchte ich weniger als 2.000 Liter Kraftstoff.“
Ein Flugzeug gilt als ultraleicht, wenn das Startgewicht einschließlich Pilot, Passagier, Kraftstoff und Gepäck unter 450 Kilogramm liegt. Der Sinus und sein geringfügig kleinerer Bruder, Virus, sind weltweit die ersten ultraleichten doppelsitzigen Motorsegler.
Motorsegler – das klingt wie ein Widerspruch in sich selbst, da Segelflugzeuge normalerweise von einem Motorflugzeug auf eine bestimmte Höhe gebracht werden. Das dazu verwendete Schleppseil wird zum gegebenen Zeitpunkt ausgeklinkt.
Motorsegler hingegen sind Ultraleichtflugzeuge mit einem Motor, der so stark ist, dass das Flugzeug aus eigener Kraft abheben kann. Wenn eine bestimmte Höhe erreicht ist, schaltet der Pilot den Motor ab und beginnt mit dem Segelflug. Er lässt sich genau wie mit einem gewöhnlichen Segelflieger von den Aufwinden nach oben tragen, hat jedoch jederzeit die Möglichkeit, den Motor erneut zu starten, um an Höhe zu gewinnen.
Sinus und Virus sind aus Verbundwerkstoffen hergestellt, und zwar aus Epoxidharz, verstärkt mit Glas-, Karbon- oder Kevlar®-Fasern. Unter den zahlreichen Innovationen, die für diese Flugzeuge kennzeichnend sind, steht eine in völligem Gegensatz zur gängigen Praxis bei ultraleichten Flugzeugkonstruktionen: Pilot und Passagier sitzen nebeneinander.
„Mit den nebeneinander angeordneten Sitzen sind die für zwei Personen ausgelegten Flugzeuge, Sinus und Virus, ebenso wie unser jüngstes Familienmitglied, Taurus, einzigartig in der Ultraleichtklasse“, erklärt Boscarol.
„Die Leute dachten, wir seien verrückt, als wir dieses Konzept umsetzten“, fährt er fort. „Natürlich wird durch die nebeneinander angeordneten Sitze der Rumpf breiter, und das bedeutet mehr Luftwiderstand und einen Leistungsverlust. Bei unserer cleveren Konstruktion ist dieser Leistungsverlust jedoch unbedeutend, außer bei Flugwettbewerben. Andererseits sind die Vorteile gewaltig.“
„Bei dieser Art der Sitzanordnung kann der Pilot weitaus besser mit dem Copiloten interagieren“, so Boscarol. „Alle Instrumente sind natürlich auf beiden Seiten vorhanden, so dass sich das Flugzeug hervorragend für die Segel- und Motorflugausbildung eignet. Hinzu kommt, dass unsere Cockpits für die heutige ’Fastfood-Generation’, wie ich es nenne, konzipiert sind. Es macht keinen Sinn, ein superschlankes Flugzeug mit unglaublich guten Flugeigenschaften zu konstruieren, wenn der potenzielle Kunde um 130 Kilo wiegt.“
Das neueste ultraleichte Motorseglermodell von Pipistrel heißt Taurus. Der Prototyp wurde 200 Stunden lang intensiv getestet, bevor er in die Werkstatt zurückkehrte. Einige Male flog Boscarol das Flugzeug selbst, bei anderen Gelegenheiten starteten potenzielle Kunden zu einem Testflug. In der Werkstatt wurde er komplett zerlegt, so dass der Rumpf als Muster für das Produktionsmodell verwendet werden konnte. „Der erste serienmäßig produzierte Taurus wird Ende 2004 fliegen“, erklärt Boscarol. „Im ersten Halbjahr 2005 soll dann ein Flugzeug pro Monat gebaut werden. Für das zweite Halbjahr sind zwei Flugzeuge pro Monat und ab 2006 vier pro Monat geplant. Eine Massenproduktion ist jedoch für keines unserer Modelle vorgesehen. Das ist nicht unser Stil. Jedes Flugzeug wird von Hand und mit viel Liebe gefertigt.“
Wie im Virus und Sinus sind auch im Taurus die Sitze nebeneinander angeordnet. Der 50 PS Rotax-Motor befindet sich dagegen beim Taurus direkt hinter dem Cockpit im Rumpf. Darin unterscheidet er sich von seinen beiden Brüdern, die den Motor auf konventionelle Weise vorn platziert haben. Der Motor treibt einen Propeller an, der sich am Ende eines beweglichen Tragarms befindet. Beim Start oder wann immer der Pilot den Motor während des Flugs einsetzen möchte, bringt ein Hubzylinder den Arm in vertikale Position, in der sich der riemengetriebene Propeller ungehindert drehen kann. Wenn Motorantrieb nicht mehr gewünscht wird, schaltet der Pilot den Motor aus, der Propeller rastet automatisch so ein, dass er mit dem Tragarm fluchtet, und der Hubzylinder zieht den Arm in den Rumpf zurück. Über der Öffnung, durch die der Tragarm aus- und eingefahren wird, schließt sich eine Luke, so dass von außen nichts zu sehen ist und der Taurus wie ein reiner Segelflieger auftritt.
Einige wichtige Zahlen: Die Spannweite des Taurus beträgt 15,2 Meter, der Rumpf ist 7,17 Meter lang. Das Flugzeug hat ein Leergewicht von 279 Kilo und ein maximales Abfluggewicht von 450 Kilo. Die Kraftstofftanks in den Tragflächen fassen 30 Liter. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 205 km/h und der so wichtige Wert für bestes Gleiten liegt bei 1:41. Das bedeutet, dass der Taurus in ruhiger Luft auf einer Strecke von 41 Metern einen Meter an Höhe verliert. Dieser Wert ist ungefähr fünfmal besser als bei herkömmlichen Ultraleichtflugzeugen. Bei maximalem Abfluggewicht hebt der Taurus nach 115 Metern ab.
Eine italienische Zeitschrift schrieb kürzlich: Der Taurus ist etwas ganz Besonderes. Er ist das fehlende Glied zwischen einem Ultraleichtflugzeug und einem reinen Segelflieger. Dank der nebeneinander angeordneten Sitze ist er das fehlende Glied zwischen einem Übungssegler und einem Sportsegler, und dank des ein-fahrbaren und steuerbaren Fahrwerks das fehlende Glied zwischen einem Segel- und einem Motorflugzeug.
Die kleine Stadt Ajdovšina, der Sitz von Pipistrel, ist nur eine Autostunde von Sloweniens Hauptstadt Ljubljana entfernt. „Das Fliegen liegt mir im Blut. Schon als kleiner Junge habe ich ferngesteuerte Flugzeuge geflogen. Mein erstes richtiges Flugzeug, ein Trike, habe ich 1985 gebaut“, erzählt Boscarol. Ein Trike ist ein winziges Flugzeug mit einem Deltaflügel, in etwa vergleichbar mit einem Deltagleiter. Pipistrel (der Name stammt aus dem Lateinischen und bezeichnet eine kleine in Europa lebende braune Fledermaus) baut zwar immer noch Trikes, konzentriert sich aber heute vor allem auf die ultraleichten Motorsegler Sinus, Virus und Taurus. „Wir haben auch ein anderes Flugzeug in der Planung, das wir Arkus nennen werden“, sagt Boscarol. „Es wird ebenfalls ein Ultraleichtflugzeug sein, ist aber bisher noch nicht geflogen. Wir gehen jedoch davon aus, dass es eine Höchstgeschwindigkeit von über 400 km/h erreichen wird.“
Boscarol, der 2003 in Slowenien zum „Unternehmer des Jahres“ gewählt wurde, hat wenig Freizeit, zumindest im herkömmlichen Sinne. „Das Cockpit ist meine Spielwiese“, meint er. „Ich liebe es, neue Flugzeuge selbst zu testen, auch die Prototypen. Für mich ist Fliegen wie eine Droge. Und wenn Fliegen eine Droge ist, dann ist ein Testflug eine harte Droge, vor allem, wenn man das Ergebnis seiner eigenen Arbeit testet.“
Taurus
Spannweite: 15,2 Meter
Länge: 7,17 Meter
Flügelfläche: 12,33 Quadratmeter
Leergewicht: 279 Kilo
Maximales Abfluggewicht: 450 Kilo.
Zulässige Höchstgeschwindigkeit: 205 km/h
Bestes Gleiten: 1:41