Die neue Welle der industriellen Kommunikation
Drahtlose Kommunikation ist bei vielen Verbrauchsgütern Standard. In der Industrie kommunizieren die Maschinen jedoch meist noch über Kabel. Das soll bald anders werden, denn es gibt schon Maschinen, die sich über den Äther miteinander verständigenAlles begann mit dem Radio, und heute sind wir buchstäblich umgeben von nützlichen Funkwellen – vom Garagentoröffner bis zum Handy.
Die Industrie untersucht schon seit einiger Zeit die möglichen Vorteile der drahtlosen Kommunikation, wobei jedoch weniger Bequemlichkeit als Kosten und Effizienz im Vordergrund stehen. Gerade diese Parameter waren die Triebfeder für die jüngsten Entwicklungen beim Einsatz von drahtlosen Verbindungens in industriellen Anwendungsbereichen als Ersatz für Kabelverbindungen.
Hugh Burchett erklärt jedoch, dass es nicht grundsätzlich kostengünstiger ist, Kabel durch RF-Lösungen zu ersetzen. Burchett, der bei dem führenden technischen Beratungsunternehmen Cambridge Consultants in Cambridge für den Bereich RF-Produkte zuständig ist, betont, dass es oft nicht viel mehr kostet, ein Kommunikationskabel an einen vorhandenen Eingang anzuschließen, und die meisten Maschinen verfügen über einen Eingang für Stromspeisung. „Es gibt allerdings Fälle, in denen Kabelanschlüsse teuer oder schwierig sind, oder in denen Radiofrequenzen weitere Optionen bieten.“ Ein Beispiel ist die Kransteuerung. Hier bieten Unternehmen Systeme an, die es dem Bediener erlauben, sich in der Nähe des Lastguts aufzuhalten und den Kran sicherer von dort aus zu bedienen.
Manchmal ist ganz einfach die Entfernung der entscheidende Faktor. So entwickelt zum Beispiel TMC Design Corporation in New Mexico ein gigantisches Funknetzwerk für die Überwachung und Steuerung des landwirtschaftlichen Bewässerungssystems im Elephante Butte Irrigation District, der im Süden des Bundesstaates gelegenen ist. Über eine Gesamtfläche von 600.000 Hektar Wüstenland werden Flüsse, Verteiler- und Bewässerungskanäle sowie Bohrlöcher mit kleinen, preiswerten Sensoren und Transceivern überwacht und gesteuert. Auf diese Weise kann den Bauern ihr jeweiliger Wasserverbrauch in Rechnung gestellt werden und das Wasserwerk ist in der Lage, den Wasserbedarf für 55.000 Hektar bewässertes Ackerland zu planen.
Funkwellen sind jedoch nicht nur nützlich, wenn es um große Entfernungen geht. Manchmal sind auch geringe Abstände schwer zu überbrücken. Im Rahmen des von der EU finanziell unterstützten MoFDI-Projekts (Mobile Fieldbus Devices in Industry) werden Funkanwendungen zur Steuerung von Industrieanlagen entwickelt, bei denen die Entfernungen unter Umständen nur Zentimeter oder sogar Millimeter betragen.
Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen ein Steuerungssignal ein bewegliches Teil wie etwa ein Lager passieren muss. Das im schwedischen Kinnahult angesiedelte Unternehmen Kvaser hat für das MoFDI-Projekt den WaveCan-Transceiver entwickelt, der Signale von Feldbusnetzwerken so anpasst, dass sie über Funk übermittelt werden können. In Feldbus-Systemen werden Signale über ein einziges verdrilltes Zweidraht-Kabel zwischen vielen verschiedenen Geräte übertragen. Auf diese Weise lässt sich das übliche Kabelwirrwarr eliminieren. Damit das richtige Gerät auf ein entsprechendes Signal reagiert, werden die Signale kodiert. Kvaser ist Entwickler und Anbieter von Feldbus-Systemen, die mit CAN-Protokoll (Controller Area Network), einem der bedeutenden Feldbusprotokolle, arbeiten.
Aber Feldbus-Systeme stoßen ebenfalls auf Hindernisse. Lars-Berno Fredriksson, Geschäftsführer von Kvaser, erklärt das anhand eines Beispiels: „Wenn das System mit einer beweglichen Komponente konfrontiert wird wie etwa einem Schleifring, der elektrischen Strom von einem stationären auf ein rotierendes Teil überträgt, könnte eine Funklösung bevorzugt werden. Das Funksignal fungiert als Brücke zwischen zwei CAN-Netzwerken. Dabei muss allerdings sichergestellt werden, dass die CAN-Fehlerkorrektur-Protokolle über die drahtlose Verbindung hinweg funktionieren, auch wenn die Protokolle der Funksysteme unterschiedlich sind.“ Kvaser löst dieses Problem, indem das CAN-Signal in ein Signal eingebettet wird, das mit dem Protokoll der Bluetooth Wireless-Lösung arbeitet.
Geschwindigkeit ist wichtig
Bluetooth ist eine revolutionierende Technik für industrielle Steuerungszwecke. Obgleich für Verbraucherbelange entwickelt, bietet dieses Funkmodul Echtzeit-Übertragungsgeschwindigkeit und eine hohe Datendurchsatzrate im lizenzfreien Frequenzbereich von 2,45 Gigahertz. Wie Burchett von Cambridge Consultants sagt, investieren große Unternehmen wegen des hohen Verbraucherinteresses und den potenziellen Volumen enorme Summen in Bluetooth. Diese Investitionen würden sicher nicht so umfangreich ausfallen, wenn nur die begrenzten Volumen des industriellen Marktes zur Debatte ständen. Nach Fredrikssons Ansicht wirft jedoch der Konsumgüterursprung von Bluetooth Probleme auf. „Für den Verbraucher bedeutet Echtzeit ‚unheimlich schnell’“, während man in der Industrie an Millisekunden denkt.“ Wenn ein Bluetooth-Signal, das ein privates Handy mit einem privaten Laptop verbindet, auf Grund von Interferenzen ein wenig langsam ist, spielt das kaum eine größere Rolle, aber wenn die Sicherheitsüberwachung einer Maschine verzögert ist, könnte das katastrophale Folgen haben.
Bluetooth gilt auch als zukunftsträchtige Möglichkeit für Wartungsanwendungen. Beim ARVIKA-Projekt, das unter der Konsortialführung von Siemens steht und vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie gefördert wird, geht es um die Frage, wie die so genannte Augmented Reality (Erweiterte Wirklichkeit) für Wartungsaufgaben eingesetzt werden kann. Der Techniker führt einen mobilen Computer mit sich, der ein real-virtuelles Arbeitsumfeld schafft. Er setzt sich dabei eine durchsichtige Datenbrille auf, an der eine Kamera befestigt ist. Die Videobilder der Maschine werden mit einem rechnergestützten Modell verglichen, das in der Datenbrille über das reale Bild gelegt wird.
Die Anweisungen sieht der Techniker in Form eines „Textanhangs“ an dem entsprechenden Bauteil. Er kann sich aber auch von einem Experten beraten lassen, der sich an einem anderen Ort befindet und trotzdem dieselben Bilder sieht. Wolfgang Friedrich von Siemens bemerkt dazu: „Es wäre ergonomisch wünschenswert und außerdem sicherer, wenn zwischen der Datenbrille und dem Computer Funk- statt Kabelverbindung bestünde, aber Bluetooth ist noch nicht schnell genug, um Videobilder zu übertragen.“ Die Kommunikation zwischen dem mobilen Computer und dem LAN-Netz des Werks erfolgt bereits über Funk.
Nach Aussage von Burchett laufen zurzeit Untersuchungen zu der Frage, wie Bluetooth im industriellen Bereich eingesetzt werden kann und mit welchem Leistungsniveau für zeitkritische Funktionen zu rechnen ist. Außerdem arbeitet man daran, das Bluetooth-Funkmodul billiger zu machen. Cambridge Silicon Radio, ein Unternehmen, das sich von Cambridge Consultants abspaltete, nähert sich einem Preis für einen einzelnen CMOS-Chip von rund fünf US-Dollar.
„Tausch mich aus“
Das ist allerdings für einige Bereiche immer noch zu teuer. Waldemar Grudzien, der an der TU Berlin ein Sonderforschungsprojekt im Bereich Montagetechnik und Fabrikbetrieb leitet, denkt eher an einen Preis von etwa 50 US-Cent. Er arbeitet an einem Chip-Transceiver für den Einbau in Konsumgütern, der Nutzung und Verschleiß erfasst sowie Wartung und Demontage erleichtert.
Bisher hat sich das Projekt auf Waschmaschinen konzentriert. Der Chip enthält Informationen über die Maschine und registriert, wie sich die verschiedenen Teile abnutzen. Bevor ein Teil funktionsunfähig wird, signalisiert der Transceiver, dass es ausgetauscht werden muss.
Am Ende der Lebensdauer eines Produkts teilt der Chip den Robotern in der Recyclinganlage mit, wie das Produkt zu zerlegen ist und welche Teile sich für eine Wiederverwertung eignen. Da neue Gesetze in Europa das Recycling von Konsumgütern vorschreiben, wird die „Life Cycle Unit“ ein wertvolles Instrument sein. Ohne ein solches Instrument wird man jedes Bauteil einer Maschine von Hand zerlegen müssen.
Die Nutzung von Radiofrequenzen für Überwachung und Steuerung von industriellen Prozessen steckt noch in den Kinderschuhen. Die schwierigste Aufgabe besteht darin, die Funkkommunikation gegen Interferenzen und Störungen abzuschirmen, so dass sie für den Maschinenbetrieb hundertprozentig zuverlässig ist. Es wird noch einige Zeit dauern, bis Funklösungen genauso sicher sind wie Kabelverbindungen, aber der Einfluss der Funkwellen auf unser Leben nimmt ständig zu.
Michael Lawton
Wirtschaftsjournalist in Köln
Illustration Peter Varhelyi