Doppelte Scheibe doppelte Leistung

SKF hat zusammen mit Haldex, einem Fahrzeugsystemspezialisten mit Sitz in Schweden einen zukunftsweisenden Radkopf für Nutzfahrzeuge entwickelt. Seine typischen Merkmale sind: Festsattelbremse mit doppelter Bremsscheibe sowie hohe Servicefreundlichkeit dank kompakter Hub Unit von SKF

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SKF hat zusammen mit Haldex, einem Fahrzeugsystemspezialisten mit Sitz in Schweden einen zukunftsweisenden Radkopf für Nutzfahrzeuge entwickelt. Seine typischen Merkmale sind: Festsattelbremse mit doppelter Bremsscheibe sowie hohe Servicefreundlichkeit dank kompakter Hub Unit von SKF

Scheibenbremsensind beim Pkw längst gang und gäbe. Doch vor allem bei schweren Lkw tauchten Scheibenbremsen erst vor relativ kurzer Zeit auf. Hydraulik als Medium zur Übertragung der Kräfte ist bei den Bremsen dieser meist 40 Tonnen schweren Gespanne nicht sonderlich praktisch. Und so dauerte es bis Mitte der 90er Jahre, bevor rein pneumatische Bremsen die nötige Praxisreife erlangt hatten. Die Hersteller Scania und Mercedes machten den Anfang. Und es sollte dann rund ein Jahrzehnt dauern, bis auch der letzte europäische Lkw-Hersteller auf Scheibenbremsen umgeschwenkt war.

Den Standard bilden heute sowohl bei ziehender als auch bei gezogener Einheit Schwimmsattelbremsen mit jeweils einer Bremsscheibe. Doch dürfte damit das letzte Wort in Sachen Scheibenbremse noch lange nicht gesprochen sein. Denn für den Radkopf gilt das Gleiche, was der Lkw als Ganzes zu erfüllen hat. Gefragt sind heute mehr denn je höhere Effizienz bei reduziertem Gewicht und gesenkten Kosten. Für die Zuspannkräfte und somit den Biss der Bremsen bedeutet dies: „Wir rechnen damit, dass statt der heute üblichen Bremsmomente von rund 27 kNm künftig Werte um die 35 kNm gefragt sein werden“, sagt Haldex-Entwickler Joakim Gripemark.

 

Eine Schwimmsattelbremsewie heute üblich für solch rohe Kräfte fit zu machen, wäre zwar kein Problem. Doch würde unterm Strich dabei all der notwendigen Verstärkungen wegen ein Pummelchen herauskommen, das besonders an der Vorderachse – dort herrschen besonders beengte räumliche Verhältnisse – kaum den dann benötigten Platz finden würde. So war für Haldex der logische Schritt, sich an den Entwurf einer Festsattelbremse mit doppelter Scheibe zu machen. Dank Festsattel baut die gesamte Einheit nicht breiter als die heute üblichen Schwimmsattelbremsen. Ein Träger ist nicht nötig. Und dank doppelter Scheibe lässt sich die aufzubringende Zuspannkraft fürs heute übliche Maß gleich mal um die Hälfte reduzieren.

Die Entwicklung begann im Jahr 2000 und verlief viel versprechend. So reifte im Lauf der Zeit zudem die Idee, es nicht nur mit solch einer Zweischeibenbremse, sondern aufs Ganze zu gehen und es gleich mit einem kompletten Radkopf zu versuchen. SKF als äußerst erfahrener Hersteller stieg mit ins Boot und entwickelte maßgeschneidert eine schlanke integrierte Nabe (Hub-Unit), die dennoch für eine Million wartungsfreier Kilometer konzipiert ist und vor allem auch eines möglich macht: Die Scheiben, sofern verschlissen, lassen sich ganz einfach abziehen, sobald der Radflansch abmontiert und das Verschlussstück aufgeklappt ist.

Dass die Wahl auf SKF als Partner fiel, kommt nicht von ungefähr: Seit 1990 produziert SKF kompakte Radlagereinheiten für Nutzfahrzeuge in Serie, fertigte bis heute mehr als fünf Millionen Einheiten und ist damit weltweit der erfahrenste Hersteller auf diesem Gebiet.

Im Detail sieht die zusammen mit Haldex entwickelte Lösung namens „ModulD“ folgendermaßen aus: Die Nabe ist von äußerst schlankem Wesen, verfügt über ein fein abgestimmtes Zusammenspiel von Lager, Fett und Dichtungen und ist für eine Lebensdauer von einer Million Kilometern konzipiert. Hilfreich bei der Auslegung waren ausgeklügelte Berechnungsprogramme, die es ermöglichen, die Praxis im Labor gewissermaßen schon vorweg zu nehmen. Die erwartete Lebensdauer von einer Million Kilometern hat sich bei Feldversuchen denn auch eindrucksvoll bestätigt.

Tief in die Trickkiste griffen die Techniker bei der Anbindung der Bremse: Verzahnt sitzt die Scheibe auf dem Zahnwerk der integrierten Nabe. Wobei fünf Stück raffiniert gebaute Federn dafür sorgen, dass die seitliche Verschiebbarkeit für Verschleißausgleich und Lüftspiel sichergestellt ist. Und dass der Kontakt zwischen Nabe und Scheibe im Interesse möglichst geringer Wärmeeinleitung in die Nabe nicht zu eng wird: Die Scheibe schwebt gewissermaßen auf der Nabe und soll sich deswegen auch bei der Geräuschentwicklung in vorbildlicher Zurückhaltung üben. Möglichst geringe thermische Belastung der Nabe ist Voraussetzung für deren lange Lebensdauer und schont darüber hinaus auch die Reifen.

 

Weiterer Vorteildieses Ensembles: Die Pads wiederum lassen sich sowieso einfach von oben wechseln, ohne dass Radflansch oder ähnliches abzumontieren wären.

Es wird damit gerechnet, dass unter bestimmten Bedingungen die Pads rund 500 000 Kilometer halten. Belag- und Scheibenwechsel fallen also zusammen und können laut Haldex in sechs Stunden abgewickelt sein. Zusammen mit der neuen Nabe, wenn eine Zuspannkraft in der heute üblichen Höhe gefragt ist, „wiegt der SKF-Haldex-Radkopf dann ungefähr 15 Prozent weniger als die gängigen Lösungen dieser Tage“, resümiert Andreas Richter, Vice President von Haldex Brake Products in Landskrona (Schweden). „Das sind immerhin rund 25 Kilogramm pro Achse“, ergänzt Entwickler Joakim Gripemark.

Und damit nicht genug. Durch seinen durch und durch modularen Aufbau ist dieser neue Radkopf geradezu ein Muster an Anpassungsfähigkeit. Was nicht nur die verschiedensten Spezifikationen, sondern zugleich die Option auf breit angelegte Nachrüstung erlaubt. „Der Kunde muss die alte Achse und deren Achszapfen weiter nutzen können“, umreißt Matthias J. Haupt, Direktor Marketing der Business Unit Trucks der SKF, das Konzept. Konkret bedeutet das: Die neue Nabe passt auf so ziemlich alle Zapfen, sofern die Bohrung ungefähr zwischen 80 und 105 Millimeter beträgt.

Auch die Bremse selbst verfügt über ein äußerst wandlungsfähiges Wesen. Für 22,5-Zoll-Räder nimmt Haldex nun erstmal Scheiben mit 21 Zoll Durchmesser her. Denn das ergibt genau jene gewichtsoptimierte Variante, die gut 90 Kilogramm pro Dreiachsaggregat spart. Mit gleicher Nabe und Zuspanneinheit, aber eben nur 19,5-Zoll-Scheibe lässt sich aus dem Haldex-Baukasten aber auch eine Festsattelbremse für 19,5-Zoll-Räder darstellen. Interessant dürfte das vor allem für die Betreiber von Megatrailern sein, die dem neuen Pneu der Größe 455/40 R 22,5 skeptisch gegenüber stehen. Attraktiv ist diese Variante aber auch für alle, die besonders aufs Gewicht schauen: „Damit reduziert sich das Gewicht pro Achse gegenüber einem konventionellen 22,5-Zoll-Radkopf dann schon um 35 Kilogramm pro Achse“, rechnet Joakim Gripemark vor.

Offen ist das Haldex-SKF-System aber auch in die andere Richtung. Etwas solider ausgeführt (und dann natürlich auch etwas schwerer) sowie mit doppelter Scheibe ist die Festsattelbremse gerüstet für Zuspannkräfte bis 35 kNm, die eben irgendwann verlangt sein werden. „Bis 30 kNm reicht die Kapazität von Schwimmsattelbremsen noch“, ist sich Gripemark sicher, „doch für 35 kNm führt kein Weg an der Festsattelbremse vorbei“.

Feldtests mit dem neuen Radkopf sind sowohl in Europa als auch in den USA in vollem Gange – nicht nur am Auflieger, sondern auch an Lkw-Vorderachsen. Gerade dort könnte solch eine schlanke Komposition ihres geringen Platzbedarfs zumindest dann besonders gefragt sein, wenn die Einzelradaufhängung für die Lenkachse ins Spiel kommt. „Im Jahr 2006 haben wir die Entwicklung abgeschlossen“ skizziert Andreas Richter die weitere Geschichte der neuen Festsattelbremse.

Der europäische Achsenhersteller Gigant hat auf der Fachmesse Solutrans in Lyon, Frankreich, im April 2007 diese Bremse als Option für ihre Standardachse vorgestellt. SKF hat eine lange Beziehung zu der Trenkamp&Gehle GmbH, die seit über 50 Jahren im Geschäft ist. Die Gigant Gruppe hat Ihren Stammsitz in Dinklage, Deutschland, und hat Fertigungsstätten in Deutschland, Frankreich und dem England. Die Firma verkauft Achsen, Federaggregate, Druckluftbehälter und andere Erzeugnisse unter dem Markennamen Gigant an die Anhängerindustrie weltweit.

 

 

 

 

 

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