Ein Fluss aus Stahl
Kaltgewalzter Bandstahl mit spiegelblanker Oberfläche erfordert Walzperfektion, die jede weitere Bearbeitung überflüssig macht
Nach dem letzten Walzdurchgang ist die Oberfläche von rostfreiem Bandstahl wie das Wasser eines Alpensees an einem sonnigen, windstillen Tag – klar, spiegelblank und glitzernd.
Das Gefühl von Stille und Beschaulichkeit verweilt allerdings nur so lange, wie man sich auf die makellose Oberfläche konzentriert, denn der Stahl rast mit einer Geschwindigkeit von über 200 Metern pro Minute durch das Walzwerk.
Wir befinden uns schließlich in einer Fabrik, und das Summen der Maschinen ist genauso laut, wie man es an einem solchen Ort erwartet. Die Rede ist von ThyssenKrupp Nirostas Kaltwalzwerk in Düsseldorf-Benrath, einem der vier Werke, die die Tochtergesellschaft von ThyssenKrupp Steel in Deutschland betreibt.
Das Kaltwalzwerk mit seinen über 600 Beschäftigten hat sich auf die Herstellung von nicht rostendem Stahlblech (nach ISO-Norm IIId) spezialisiert, dessen Oberfläche so perfekt ist, dass keine weitere Bearbeitung mehr notwendig ist. „Andere Stahlqualitäten müssen lackiert oder beschichtet werden, aber Stahl der ISO-Norm IIId kann verwendet werden, wie er ist“, erklärt der Betriebsleiter Klaus Lange.
„Die Nachfrage nach Stahl mit einer solchen Oberflächenqualität nimmt kontinuierlich zu, und bisher konnten wir die Anforderungen unserer Kunden stets erfüllen.“ Die Abnehmer reichen von Küchenherstellern bis zur Autoindustrie.
Über 250.000 Tonnen Stahl werden hier jährlich in gewaltigen Rollen (Coils) angeliefert. Der Stahl wird immer wieder gewalzt, bis das Blech schließlich um 80 Prozent seiner ursprünglichen Dicke, von etwa 2,5 auf 0,3 Millimeter, reduziert worden ist.
Der Prozess beginnt mit der so genannten Warmbandglühung. Die Coils werden auf 830 Grad Celsius erhitzt, um die innere Spannung in der Molekularstruktur zu entfernen, die durch den Walzprozess bei der ursprünglichen Stahlherstellung entsteht. Anschließend wird der Stahl in einem Gemisch aus Schwefel-, Salpeter- und Fluorwasserstoffsäure gebeizt, wodurch sämtliche Verunreinigungen entfernt werden.
Von dort aus gelangen die Coils zu einer der beiden Walzanlagen der Fabrik, je nachdem, ob es sich um Breitbanderzeugnisse bis 1.300 Millimeter oder bis 1.600 Millimeter Breite handelt. Der Stahl durchläuft die Walzanlage dreizehn Mal.
Der polnische Ingenieur Tadeusz Sendzimir ist der Vater des heutigen Kaltwalzverfahrens. Ihm wird die Entwicklung des Vielrollengerüsts zugeschrieben, bei dem die beiden Walzen, die Druck auf die Arbeitswalze ausüben, ihrerseits von drei Hilfswalzen und vier Stützwalzen gehalten werden.
Die gesamte Konstruktion ist in einem sehr steifen, aus einem Stück gegossenen Rahmen montiert. Sendzimir baute sein erstes 20-Rollen-Walzwerk 1933 in Polen, und 50 Jahre später wurden weltweit 85 bis 90 Prozent der Edelstahl-Breitbanderzeugnisse in Sendzimir-Walzwerken gewalzt.
Der Prozess erfordert völlig fehlerfreie Walzen. „Die geringste Unregelmäßigkeit in den Walzen wirkt sich auf die Oberflächenqualität aus. Deshalb muss die Anlage auf Mikrometertoleranzen eingestellt werden“, erklärt der Wartungstechniker Klaus Süsens.
Die Arbeitswalzen, die Kräfte von bis zu 1.000 Tonnen auf das Blech aufbringen, müssen die höchsten Anforderungen erfüllen. „Pro Coil sind vier bis sechs Walzenwechsel erforderlich, damit ausgeschlossen ist, dass eine kleine Unebenheit auf ihrer Oberfläche die perfekte Oberflächenqualität des Stahls beeinträchtigt“, fährt Süsens fort.
Die ausgewechselten Walzen werden um einige Hundertstel Millimeter abgeschliffen und erneut verwendet. Im Laufe ihrer Lebensdauer verringert sich der Durchmesser einer Arbeitswalze im Walzwerk für 1.600 Millimeter breite Banderzeugnisse von 104 auf 82 Millimeter.
Obgleich sich die grundlegenden Merkmale eines Sendzimir-Walzwerks seit den dreißiger Jahren nicht geändert haben, ist man bei Nirosta ständig bemüht, die Details zu verbessern. „Wir müssen den Kunden voraus sein“, meint Lange. „Ein Walzwerk lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen ändern. Den ständig steigenden Anforderungen an Präzision müssen wir bereits heute durch den Einbau von verbesserter Technologie Rechnung tragen.“
Nach dem Kaltwalzen wird der Stahl in einer Reinigungslösung gewaschen und anschließend bei einer letzten Glühbehandlung erneut erhitzt. Diesmal werden die Coils aufgerollt und bei 1.000 Grad durch eine Glühanlage geschickt, in der eine schützende, mit Wasserstoff und Stickstoff versetzte Atmosphäre herrscht, um jede Gefahr der Verfärbung auszuschließen. Als letztes wird der Stahl einer Schockkühlung unterzogen.
In einem letzten Bearbeitungsschritt wird das Stahlband leicht gestreckt, um alle eventuellen Unebenheiten zu beseitigen. Die extrem glatt polierten Arbeitswalzen verleihen dem Stahl den perfekten Oberflächenglanz, der für Stahl der
ISO-Norm IIId charakteristisch ist. Das Stahlband wird nun zusammen mit einer schützenden Papierschicht aufgerollt und für den Versand verpackt.
Nach Aussage von Lange gibt es einen großen Markt für nicht rostende Breitbanderzeugnisse in der von Nirosta produzierten Qualität. „Trotz der gegenwärtigen Flaute wächst der Markt um drei bis vier Prozent pro Jahr“, meint er. „Früher lagen die Zuwachsraten bei sechs Prozent. Wir hoffen, dass wir dieses Niveau bald wieder erreichen.“
Angesichts der steigenden Qualitätsansprüche von Seiten der Verbraucher werden heute viele Produkte, die früher aus gewöhnlichem Stahl hergestellt wurden, aus Edelstahl gefertigt. Aber die Konkurrenz ist hart.
Auch andere Unternehmen sind in der Lage, gute Qualität zu wettbewerbsfähigen Preisen zu produzieren. Lange ist jedoch zuversichtlich: „Wir sind in puncto Qualität führend, und das bedeutet, dass wir bei unserer Preisgestaltung nicht völlig dem Wohlwollen des Marktes ausgeliefert sind.“
Die hohen Produktionskosten in Deutschland müssen durch höhere Qualität ausgeglichen werden. Lange ist allerdings fest davon überzeugt, dass ThyssenKrupp Nirosta auch weiterhin dieser Forderung gerecht werden kann.