Forschung im eisigen Windkanal

Flugzeugkonstrukteure simulieren die Luftströmung, um Leistung und Sicherheit ihrer Modelle zu messen. Exakte Ergebnisse lassen sich jedoch nur erzielen, wenn die Tests bei minus 160 °C durchgeführt werdenDie Stimmung ist gespannt. Alle Augen sind auf die Rechnerbildschirme oder Videomonitore gerichtet. Nur das gelegentliche Klicken einer Computertastatur ist zu hören.

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Flugzeugkonstrukteure simulieren die Luftströmung, um Leistung und Sicherheit ihrer Modelle zu messen. Exakte Ergebnisse lassen sich jedoch nur erzielen, wenn die Tests bei minus 160 °C durchgeführt werdenDie Stimmung ist gespannt. Alle Augen sind auf die Rechnerbildschirme oder Videomonitore gerichtet. Nur das gelegentliche Klicken einer Computertastatur ist zu hören.

Es sieht aus wie eine kleinere Version des NASA-Kontrollraums in Houston, von dem aus Raumschiffe in zigtausenden von Kilometern Entfernung gesteuert werden. Auch hier steuern die Techniker ein Objekt in einer wenig gastlichen Umgebung – Stickstoffgas, gekühlt auf minus 160 Grad Celsius -, nur dass sich der Kontrollraum in Köln befindet und das Objekt ein stationäres Modellflugzeug im Gebäude nebenan ist.

Es handelt sich um den Europäischen Transsonischen Windkanal oder ETW. Er wurde 1993 als Gemeinschaftsprojekt der Regierungen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden in Betrieb genommen und dient dem Zweck, für Flugzeugentwickler Flugeffekte zu simulieren.

Bevor ein Flugzeug gebaut wird, testet man seine aerodynamischen Eigenschaften normalerweise in einem Windkanal. Herkömmliche Windkanäle, in denen ein Flugzeugmodell einem Luftstrom ausgesetzt wird, können allerdings einen wichtigen Parameter, die Reynoldszahl (RN), nicht exakt wiedergeben. Die Reynoldszahl ist das Verhältnis von Trägheitskräften zu Viskositätskräften in einem Luftstrom, also im Wesentlichen ein Maß für die Reibung zwischen Luft und Flugzeug.

Neben dem Einfluss auf den Luftwiderstand werden auch die Eigenschaften der Stoßwellen bestimmt, die auftreten, wenn sich das Flugzeug Schallgeschwindigkeit nähert.

Windkanaltests bei Raumtemperatur bringen Reynoldszahlen hervor, die erheblich unter den tatsächlichen Werten liegen. Durch Erhöhung des Luftdrucks lassen sich die Werte anheben, aber hierfür gibt es Grenzen, denn ein Flugzeugmodell kann nicht einem beliebig hohen Luftdruck ausgesetzt werden. Exaktere Ergebnisse erhält man, wenn die Tests bei niedrigeren Temperaturen durchgeführt werden. Allerdings dürfen sie nicht zu niedrig sein, weil sonst einige Bestandteile der Luft flüssig werden. Extremtemperaturen für derartige Tests lassen sich also nur in einem anderen Gas verwirklichen.

Glücklicherweise verhält sich Stickstoff ungefähr wie Luft und ist deshalb eine geeignete Alternative. Außerdem sinkt die Schallgeschwindigkeit bei niedrigeren Temperaturen, so dass für den Antrieb des Windkanalgebläses weniger Kraft erforderlich ist.

Der ETW ist einer von zwei transsonischen Tieftemperatur-Windkanälen in der Welt. Der andere Windkanal dieses Typs, die NTF(American National Transonic Facility)-Anlage im Langley Research Center der NASA in Hampton (Virginia), wurde acht Jahre zuvor in Betrieb genommen.

Der geschlossene Gaskreislauf muss höchste Ansprüche erfüllen. Um den Gasstrom in den Testbereich zu optimieren, passiert das Gas zunächst eine wabenförmige Kammer und Siebe, damit Turbulenzen reduziert werden.

Der Windkanal ist so konstruiert, dass seine Geometrie von Temperaturunterschieden kaum beeinflusst wird. Die 2.500 Tonnen schwere Edelstahlkonstruktion hat nur eine feste Auflage. Der Rest des Tunnels kann sich somit beliebig in horizontaler Richtung ausdehnen und zusammenziehen. Die Druckschale ist auf der Innenseite isoliert, um die Auswirkungen von Temperaturunterschieden auf den Stahl zu minimieren. Die meisten Komponenten im Inneren des Windkanals sind jedoch bewusst nicht isoliert, damit sie rasch auf unterschiedliche Temperaturen reagieren.

Die Flugzeugmodelle haben keine besonderen äußeren Merkmale. Sie haben weder Fenster noch Farbe. Ihre scheinbar blanke, glatte Oberfläche enthüllt bei näherer Betrachtung Hunderte von winzigen Löchern, die eine Beurteilung der Druckverteilung auf der Oberfläche des Messkörpers ermöglichen. Im Inneren des Modells befindet sich eine „Waage“, an der das Modell befestigt ist. Wie Uso Walter, Leiter der technischen Verwaltung des ETW, sagt, stammt die Bezeichnung aus der Zeit, als Windkanal-Messkörper an Drähten aufgehängt wurden.

„Damals wurden die auf den Messkörper einwirkenden Kräfte buchstäblich mit Dezimalwaagen gemessen“, erzählt er. „Heutzutage besteht die „Waage“ aus einer elektronischen Messvorrichtung. Sie zeichnet die Kräfte auf, die durch den Gasstrom auf das Flugzeugmodell einwirken.“

Einer der wesentlichen Vorteile des ETW besteht darin, dass die Waage je nach Temperatur exakt kalibriert werden kann. Darüber hinaus stehen unterschiedliche Waagen zur Verfügung, die jeweils genau in das zu testende Flugzeugmodell hineinpassen.

Das Modell wird von einem oder zwei Modellarmen gehalten. Gemeint sind Streben, die am Heck oder an den Flügeln befestigt sind. Die Modellarme sind mit einer beweglichen Platte verbunden, so dass der Anstellwinkel des Modells jeweils eingestellt werden kann. Der EWT bietet zudem Tests an halben Modellen an. Dabei wird ein halber Flugzeugrumpf mit einem Flügel an der Decke der Testsektion angebracht.

Durch eine Verdoppelung des Modellmaßstabs lassen sich höhere Reynoldszahlen erreichen. Damit können auch Simulationen für die neue Generation von größeren Flugzeugen durchgeführt werden. Die Testanordnung wird an einen Wagen gehängt und durch einen Heißluftbereich in einen Raum mit variabler Temperatur befördert, in dem Wagen und Modell gekühlt und für den Windkanal vorbereitet werden. In diesem Raum befindet sich auch ein spezieller Kühlkasten, der es den Technikern ermöglicht, zwischen den einzelnen Test Einstellungen vorzunehmen. Während sie selbst im warmen Bereich stehen, bleibt das Modell weiterhin gekühlt.

Bei einem Testlauf bewegt sich das Modell in verschiedenen Winkeln, wobei Temperatur, Druck und Geschwindigkeit des Gasstroms um bestimmte Werte verändert werden. Ein Test, bei dem nur ein Parameter verändert wird, dauert etwa eine Minute. Das Modell bleibt in der Regel bis zu 90 Minuten lang im Windkanal. Windkanaltests sind ein teures Unterfangen. Ein Modell kostet bis zu 750.000 Euro und für eine Testreihe über zwei Wochen muss man mindestens weitere 500.000 Euro bezahlen.

Drei Türen im Kontrollraum führen zu drei verschiedenen Fluchten, in denen Daten verarbeitet beziehungsweise die Modelle montiert und eingestellt werden. Für die Dauer einer Testreihe gehört eine solche Flucht dem Kunden. Zutritt wird nur dem Kunden und ausgewählten ETW-Mitarbeitern gewährt.

Bis zu drei Kunden können den Windkanal gleichzeitig in Anspruch nehmen, ohne dass der eine weiß, was der andere in petto hat. Die Tür zum Kontrollraum ist verschlossen, und die Jalousien an den Fenstern werden heruntergezogen, wenn ein Kunde einen Test durchführt. Eine der Fluchten ist sogar als Faraday-Käkonstruiert, um sicherzustellen, dass nicht einmal elektronische Horcher an Daten kommen können.

Wie Walter sagt, ist es nicht oft vorgekommen, dass konkurrierende Unternehmen den ETW gleichzeitig benutzt haben, aber es wäre möglich. Personal und Kunden können unabhängig voneinander mit verschiedenen Projekten arbeiten. Wichtig ist, das Gefühl zu vermitteln, dass Sicherheitsbedenken ernst genommen werden.

„Als sich Boeing mit uns in Verbindung setzte, galt die erste Frage nicht der Technik, sondern der Sicherheit“, so Walter.

Michael Lawton

Wirtschaftsjournalist in Köln

Foto Thomas Müller und ETW

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