Gerald Q “Chip” Maguire

Digitaler LebensstilWenn die Zukunftsvisionen von Gerald Q „Chip“ Maguire tatsächlich eintreffen, wird sich die Art und Weise, wie wir miteinander und mit unserer Umgebung kommunizieren, vollkommen verändern. Er glaubt sogar an das baldige Ende des guten alten Telefons.

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Digitaler LebensstilWenn die Zukunftsvisionen von Gerald Q „Chip“ Maguire tatsächlich eintreffen, wird sich die Art und Weise, wie wir miteinander und mit unserer Umgebung kommunizieren, vollkommen verändern. Er glaubt sogar an das baldige Ende des guten alten Telefons.

Der gebürtige Amerikaner, Professor für Teleinformatik an der Technischen Hochschule in Stockholm (Kungliga Tekniska Högskolan), meint, Computer und Kommunikationsmittel werde man in Zukunft am Körper tragen, so genannte „Wearables“ – kleine elektronische Geräte zum Beispiel in Form eines Ohrrings oder eines Knopfes.

Auch die „Wearables“, sagt Maguire voraus, werden sich schließlich als hinderlich erweisen. Die Ansprüche der Anwender werden steigen. „Wenn ich es recht bedenke, will ich das Ding immer bei mir haben. Warum es also nicht implantieren?“ Maguire sagt das so, als ob es eine Lappalie wäre, den Körper an ein Mikrochip anzuschließen.

Vielleicht ist es das auch oder wird es zumindest in Zukunft sein. Die Zukunft ist das Thema, mit dem sich Maguire tagtäglich beschäftigt, was vermutlich auch ein Grund für seine Gelassenheit ist. Ein anderer Grund könnte seine Körpergröße sein. Er ist etwa zwei Meter groß und trägt einen Bart, dessen Proportionen seiner Körpergröße entsprechen. Dieser sanfte Riese lässt sich durch kaum etwas aus der Ruhe bringen.

Maguires Aufgabe ist es zu erforschen, welche Datennetze erforderlich sind, um die Dienste von „Wearables“ oder implantierbaren Mikrochips zu aktivieren. „Wir müssen verstehen, wie die Kommunikation zwischen den Menschen ablaufen wird, um die richtigen Schritte zu unternehmen.“

Die Herausforderung besteht darin, Datennetze für Anwender zu entwickeln, die ständig unterwegs sind. Ein Weg, um die Bedürfnisse zu identifizieren, besteht darin vorauszusehen, wie diese Dienste aussehen werden. Zu diesem Zweck haben Maguire und zwei Forscherkollegen die „Smart Badge“ entwickelt, eine kleine „intelligente“ Plakette, die über drahtloses LAN (WLAN) und Internetprotokoll (IP) kommuniziert.

Maguire will sie uns zeigen und zieht einen Stoffbeutel hervor, den er auch ohne weiteres findet, obgleich sein Büro genau so aussieht, wie man es bei einem Informatikprofessor erwarten würde. Die Regale sind voll gestopft mit elektronischen Geräten, der Tisch ist mit Ordnern, Broschüren und sonstigen Papieren besät.

Aus dem Beutel zieht er eine Leiterplatte in der Größe einer typischen Ausweisplakette und erklärt die einzelnen Komponenten: Prozessor, Kippsensor, Sensoren für Temperatur, Feuchtigkeit, Licht, Toneingang und Tonausgang. Die Smart Badge kommuniziert mit dem LAN über Infrarotlicht.

Sie ist eine von 50 Prototypen, die Maguire 1997 bauen ließ und aus eigener Tasche finanzierte. Diese wie auch spätere Prototypen konnten nur mit beachtlicher Unterstützung seiner Forschungspartner ermöglicht werden, die ihre Zeit und einige Bauteile beisteuerten.

„Das hieß, es bedurfte nicht allzu viel Schreibarbeit, um das Projekt voranzutreiben“, erzählt Maguire lächelnd und spielt auf die Bürokratie im Zusammenhang mit der Finanzierung von Forschungsprojekten, aber auch auf seine eigene Einstellung zur Schreibtischarbeit an. Maguire meidet schriftliche Dokumente. Wenn er ein Blatt Papier in die Hand bekommt, geht er direkt zum Scanner, um es zu digitalisieren. Dann speichert er das Dokument so, dass er es von jedem beliebigen Computer aus abrufen kann.

Diesen digitalen Lebensstil hat Maguire teilweise entwickelt, um seine Familie zusammenzuhalten. Er wohnt in Stockholm und seine Frau, ebenfalls eine Professorin, lebt in New York. Die Eheleute haben sogar vernetzte Kameras in beiden Wohnungen. „Unsere Familie besteht aus zwei Arbeitsstationen“, sagt Maguire.

Und was macht man nun mit einer „Smart Badge“? Maguire entschied, diese Frage an seine Studenten weiterzugeben. Ihre Antworten lassen ahnen, was alles möglich ist, wenn ein Computer erkennt, wer Sie sind und wo Sie sich befinden.

Wenn ihr Computer zum Beispiel weiß, dass Sie es sind, der davor sitzt, ruft er bereits Ihre Dokumente und Ihre persönlichen Einstellungen ab, ohne dass Sie ihn überhaupt berührt haben. Der Kopierer belastet automatisch ihr Konto mit den Kopien, die Sie anfertigen. Wenn Sie in einem Hotel übernachten wollen, brauchen Sie an der Rezeption nicht mehr einzuchecken. Sobald Sie das Hotel betreten, registriert der hauseigene Computer, dass Sie angekommen sind und leitet Sie in Ihrer Sprache zu Ihrem Zimmer. Dort angekommen, öffnet er Ihnen die Tür automatisch und lässt Sie eintreten. Heizung und Ventilation sind auf die von Ihnen vorab gewünschten Werte eingestellt.

Die jüngste Generation der Smart Badge, die noch in diesem Jahr fertig werden soll, wird über drahtlosen LAN-Betrieb mit dem Netz kommunizieren. Sie wird außerdem mit einer Compact Flash Card ausgestattet sein, die beispielsweise den Anschluss eines GPS-Empfängers (GPS = Global Positioning System, zur Positionsbestimmung von Objekten oder Personen) oder eines anderen Geräts ermöglicht.

Wenn die Netzzellen so klein sind, dass der Strombedarf relativ gering ist, würde die Übertragungsgeschwindigkeit ausreichen, um permanent im Internet surfen zu können. Die Geschwindigkeit würde zwar von Ort zu Ort variieren, wäre aber hoch genug, um CD-ähnliche Audioqualität oder Videostreaming mit der heute verfügbaren Netzwerktechnologie zu ermöglichen.
Drahtloses LAN kann acht bis elf Megabytes pro Sekunde übertragen, weitaus mehr also, als ein GSM-Mobilfunksystem zu bieten hat. Auch außerhalb des Hauses wäre eine Verbindung zum Netzwerk möglich, obwohl die verfügbare Bandbreite davon abhängen würde, wie sich die Funksysteme entwickeln.

Wäre man ständig online, vielleicht mit einem Kopfhörer und einem Bildschirm eingebaut in einer Brille, würde beispielsweise der Einkaufsbummel zu einem völlig neuen Erlebnis. Wenn Sie etwa an einem Geschäft vorbei kämen, das eine zu Ihrem vordefinierten persönlichen Profil passende Ware verkaufte, könnte Ihnen diese Ware sowohl auf dem Bildschirm als auch im Kopfhörer präsentiert werden. Wenn einem ein potenzieller Partner (ausgehend von dem jeweiligen persönlichen Profil) über den Weg liefe, würde auf seinem oder ihrem „Wearable“ eine Lampe blinken, so dass man sich miteinander bekannt machen könnte.

Je eingehender Maguire die Kommunikationstechnologie der Zukunft beschreibt, desto mehr leuchten Enthusiasmus und Optimismus in seinen Augen. Seine Faszination im Hinblick auf die zahlreichen Möglichkeiten wird allerdings etwas gedämpft von den damit verbundenen Risiken, unter anderem für das Privatleben. Ein Online-Personenprofil ist nur ein Beispiel. Wird sein Schutz immer sichergestellt sein? Darf „Big Brother“ wissen, wo man sich gerade befindet? „Ich finde nicht, dass der Staat so etwas wissen sollte, außer unter ganz speziellen Umständen“, meint Maguire.

Das Thema wird noch heikler, wenn die Rede auf den nächsten denkbaren Schritt kommt – Computer, die in den menschlichen Körper implantiert werden. Man stelle sich nur vor, Computer könnten direkt mit dem Gehirn oder Nervensystem eines Menschen kommunizieren.

Wenn erst einmal ein solcher direkter Zugriff zu einem integrierten Bestandteil eines menschlichen Körpers geworden ist, wer hat dann das Recht, ihn zu entfernen oder zu modifizieren?

Maguire unterstützt die Diskussion über ethische Fragen zu diesem Thema, wenngleich er auch feststellt, dass es mindestens noch 20 bis 30 Jahre dauern wird, bevor implantierte Computer mit dem Gehirn kommunizieren können. Bis dahin wird er sich auf die Entwicklung von Datennetzen und seine Lehrtätigkeit konzentrieren.

„Ich bin Lehrer in der dritten Generation. Ich wurde auf den Lehrberuf hin erzogen“, bemerkt er mit einem ernsten Unterton. „Deshalb arbeite ich auch an der Universität und nicht bei einem Unternehmen.“

Es ist ein Glück, dass er seine Aufgabe so ernst nimmt, denn der schlimmste Engpass in der Entwicklung der Digitaltechnik, so glaubt Maguire, ist der Mangel an Leuten mit der richtigen Ausbildung und Fantasie.

Åke R. Malm

Leitender Redakteur von Evolution

Fotos Camilla Sjödin

 

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