Industrie
Die Gezeitenturbine SR2000 von Orbital Marine beim European Marine Energy Centre auf den Orkneyinseln.

Gezeit­en­energie ohne Kostenflut

Gezeitenströmungen gelten als äußerst vielversprechende globale Energiequelle für Erneuerbare Stromerzeugung. Ein schottisches Unternehmen und SKF arbeiten an einem Projekt, das die Energiegewinnung durch schwimmende Gezeitenströmungsturbinen kostengünstiger machen soll.

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Orbital

Orbital Marine, 2002 gegründet.

26 Mitarbeiter an zwei Standorten auf den Orkney­inseln und in Edinburgh.

Erreichte 2016 mit der damals leistungsstärksten Gezeiten­strömungsturbine der Welt –SR2000 – den ersten Meilenstein. Sie produzierte in den ersten zwölf Monaten des Versuchszeitraums über drei Gigawattstunden Strom.

www.orbitalmarine.com

Orbital Marine Power Ltd ist ein führender schottischer Entwickler von Gezeitenströmungsanlagen. Geschäftsführer Andrew Scott will „die Gezeitenenergie zu einer existenzfähigen Industrie entwickeln und dem globalen Markt eine neue Quelle für Erneuerbare Energie bieten. Das globale Marktpotenzial von Gezeitenenergie übersteigt 100 Gigawatt“, sagt er. Allerdings haben die vergleichsweise hohen Kosten die Gewinnung von Gezeitenenergie bisher unrentabel gemacht. „Das wollen wir ändern.“

Gezeitenströmungsanlagen nutzen den Wechsel zwischen Ebbe und Flut zur Stromerzeugung und haben im Grunde ähnliche Antriebskomponenten und eine vergleichbare Systemkonfiguration wie Windturbinen. Aber die Umgebungsbedingungen sind völlig anders. „Der eigentliche Unterschied ist die Befestigung der Gondel und in diesem Zusammenhang fungiert unsere schwimmende Plattform wie der Turm bei einer Windkraftanlage“, beschreibt Scott. „Jedoch ist es eine ausgeklügeltere Konstruktion, weil sie den harten Bedingungen in einem Gezeitenstrom gewachsen sein muss.“

Die Zwillingsturbinen sind auf einziehbaren Beinen montiert, an denen eine schwimmende Plattform befestigt ist, mit der die Turbinen an den günstigsten Stellen des Gezeitenstroms optimal positioniert werden können.
Die Zwillingsturbinen sind auf einziehbaren Beinen montiert, an denen eine schwimmende Plattform befestigt ist, mit der die Turbinen an den günstigsten Stellen des Gezeitenstroms optimal positioniert werden können.

 
 

Durch die vereinfachte Struktur wird der Fertigungsaufwand begrenzt.
Durch die vereinfachte Struktur wird der Fertigungsaufwand begrenzt.
Die Konfiguration von Plattform und Turbinenschaufeln ist für Standorte und Projekte unterschiedlicher Eigenschaften und Größen geeignet.
Die Konfiguration von Plattform und Turbinenschaufeln ist für Standorte und Projekte unterschiedlicher Eigenschaften und Größen geeignet.

OCEANERA-NET

Das EU-Programm OCEANERA-NET (Ocean ­Energy ERA-NET) koordiniert Finanzierungshilfen zwischen europäischen Ländern und Regionen zur Förderung der Forschung und Innovation im Bereich der Meeresenergie. Ziel ist, die weltweit führende Stellung Europas bei der Meeresenergie zu erhalten und auszubauen, innovative CO2-arme Energielösungen einer kommerziellen Nutzung näher zu bringen, Energiekosten zu reduzieren sowie Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen.

Im Rahmen des Horizon 2020 Programms für Forschung und Innovation haben acht staatliche und regionale Regierungsinstitutionen EU-­Mittel erhalten. Sie befinden sich im spanischen Baskenland und anderen spanischen Regionen, in den französischen Regionen Bretagne und Pays de la Loire sowie in Irland, Portugal, Schottland und Schweden.

Das Projekt führt Orbital mit strategischen Partnern zusammen, um eine zukunftsweisende Produktlösung mit erheblich kleinerem Risikoprofil bereitzustellen, die leichter zu finanzieren ist.

Ein wesentlicher Punkt für die kommerzielle Nutzung von Gezeitenenergie ist die Entwicklung einer Pitch-Regelung zur Verstellung des Blattwinkels am Rotor der Gezeitenströmungsturbine. „Wir streben bei unseren Anlagen eine um 50 Prozent höhere Ausbeute an. Damit wäre ihre Leistung mit der von etablierten Technologien vergleichbar“, fährt Scott fort. Im Rahmen des EU-Kofinanzierungsprojekts OCEANERA-NET (siehe Kasten) wurde ein Forschungszuschuss in Höhe von 1,2 Millionen Euro für die Entwicklung und Bereitstellung einer Pitch-Regelung bewilligt, die in die neue schwimmende Gezeitenströmungsturbine von Orbital – Orbital O2 2MW – eingebaut werden soll.

Wir streben bei unseren Anlagen eine um 50 Prozent höhere Ausbeute an.
Andrew Scott, CEO von Orbital Marine Power Ltd

Die Gesamtkosten der Gezeitenenergie lassen sich am einfachsten senken, wenn wir mit größeren Rotoren mehr Energie aus dem Gezeitenstrom gewinnen können“, so Scott. „Längere Rotorblätter verursachen jedoch höhere und schwierigere Lasten. Mit einer Pitch-Regelung lässt sich der Blattwinkel so verstellen, dass wir diese Lasten weitaus präziser kontrollieren können – ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit von Gezeitenenergie.“

Da es sich um eine schwimmende Anlage handelt, sind alle Komponenten und Systeme für Wartungs-, Inspektions- und Instandsetzungsarbeiten leicht zugänglich. So werden Stillstandszeiten minimiert. Die Arbeiten lassen sich von einfachen Schiffen aus kostengünstig durchführen. Die Anlage werde wie ein Schiff an einer simplen Ankerkonstruktion befestigt, erklärt Scott und fügt hinzu: „Systeme, die am Meeresboden liegen und eine vergleichbare installierte Kapazität haben, müssten mit teuren Schiffen und kostspieliger Ausrüstung aus dem Wasser gehoben werden. Dadurch würden lange Ausfallzeiten für Bergung, Wartung und Reparatur von Turbinen entstehen. Unsere Kosten machen nur einen Bruchteil der Ausgaben unserer Wettbewerber aus und bieten so ein völlig anderes Risikoprofil für Anleger und Zulieferer.“

Wenn Anleger und Regierungen erst einmal auf die Lösungen der Gezeitenenergie vertrauen, werden sich auch Märkte dafür entwickeln.
Andrew Scott, CEO von Orbital Marine Power Ltd

Die fertige Turbine wurdE zum European ­Marine Energy Centre auf den Orkneyinseln vor der schottischen Nordküste gebracht. „Dort ist die Gezeitenströmung besonders stark. Man nennt das Gebiet auch das ‘Saudi-Arabien der Gezeiten­energie’. Die Turbine wurde im Haupt­gezeitenstrom von Orkney installiert und an ein vorhandenes Seekabel angeschlossen. Damit können wir Strom in das örtliche Netz einspeisen“, sagt Scott. „Es handelt sich um eine Testeinrichtung, die uns all die wertvollen Daten liefern wird, die wir für eine Leistungsvalidierung brauchen. Ein Versuchszeitraum von 15 Jahren soll uns fundierte Datensätze für eine Langzeit-Bewertung der Zuverlässigkeit und Leistung liefern.“

Dieses Projekt ermögliche Orbital Marine, Erfahrungen zu sammeln und zur ­Kostensenkung in den Entwicklungsprozess einzubringen, so Andrew Scott. „Wenn Anleger und Regierungen erst einmal auf die Lösungen der ­Gezeitenenergie vertrauen, werden sich auch Märkte dafür ­entwickeln.“

Die Gezeitenturbine SR2000 von Orbital Marine
Die Gezeitenturbine SR2000 von Orbital Marine

SKF Steuermodule zur Blattwinkelregelung

Orbital Marine wird die Steuermodule zur Regelung des Anstellwinkels der Rotorblätter seines Gezeitenkraftwerks von der SKF Fabrik in Göteborg beziehen. Das Steuermodul dreht zwei Rotorblattsätze mit 20 Metern Rotordurchmesser um deren Längsachse; das Strömungsprofil kann an die jeweilige Gezeitenströmung angepasst werden. Durch die Regelung des Anstellwinkels wird eine konstante Leistungsaufnahme oberhalb der Nennwindgeschwindigkeit ermöglicht.

Michael Baumann, der bei SKF als Leiter der Geschäftsentwicklung für den Bereich Meeresenergie tätig ist, erklärt: „Unser Spezialistenteam für Meeresenergie arbeitet mit den führenden Entwicklern von Gezeitenströmungsturbinen und deren Zulieferern zusammen. Dies stellt sicher, dass bereits in einem frühen Stadium an die Zuverlässigkeit der Anlagen gedacht wird.“ Da Windturbinen oder auch Schiffsantriebe wie etwa elektrische Podantriebe ähnliche Anforderungen stellen, kann SKF das diesbezüglich vorhandene Know-how für Gezeitenstrom-Anwendungen transferieren und nutzen.

Ein unmittelbarer Vorteil ist die ­verbesserte Kontrolle der Kräfte und Momente des Antriebs­strangs, was zu einer 50-prozentigen Erhöhung des Wirkungsbereichs der Turbine (16 bis 20 Meter Rotordurchmesser) und in der aktuellen Turbinenkonfiguration von Orbital zu einer Steigerung der Energieausbeute in derselben Größenordnung führt. Das Modul bietet eine bessere Rotorblattsteuerung im Bereich der Nenndrehzahl, um Leistungsabfälle zu reduzieren und Leistungsschwankungen auszugleichen, wobei extreme Lasten und Materialermüdung am Antriebsstrang und der Konstruktion reduziert und die umgebungsbedingten Abschaltgrenzen erhöht werden. Die Turbine kann auch bei kleineren Funktions­störungen weiter Energie erzeugen.

SKF hat bereits mit Orbital Marine an mehreren kleinen und mittleren Versuchsturbinen zusammen gearbeitet. Dazu gehört auch die rekordverdächtige SR2000. „Wegen der geringen Installations- und Betriebskosten sieht SKF ein enormes Potenzial in der schwimmenden Gezeitenströmungstechnik“, sagt Baumann. „Wir freuen uns, unsere Erfahrungen bei der Entwicklung einer Schlüsseltechnologie einzubringen, die Kostensenkungen vorantreibt und die Markteinführung der schwimmenden Gezeitenströmungstechnik von Orbital Marine beschleunigt.“

SKF has worked with Orbital Marine on a range of small- and large-scale demonstrator turbines, including the record-breaking SR2000. “SKF sees tremendous potential in floating tidal technology, due to its low installation and operating costs,” says Baumann. “We’re delighted to be bringing our experience to bear in delivering a key enabling solution to drive cost reductions and accelerate the rollout of Orbital Marine’s floating tidal technology.”

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