Ingenieurswissen

Vollelektrischer Flossenstabilisator optimiert die Leistung bei Stillstand und Fahrt

Die Elektrifizierung von Schiffen erfordert neue Konstruktionen, bei denen es nicht nur um den Antrieb geht. Eine Innovation von SKF macht Wasserfahrzeuge umweltfreundlicher, sauberer und bequemer.

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In einigen Branchen läuft der Wandel zur Elektromobilität auf vollen Touren. Der jährliche Absatz von batteriebetriebenen Pkw und Plug-in-Hybriden hat in Europa im Jahr 2020 die Millionengrenze überschritten. Fahrzeuge mit ausschließlichem oder teilweisem Elektroantrieb machen mittlerweile fast ein Fünftel des Marktes aus. 2022 wurden in Europa fast 2,2 Millionen Elektroautos neu zugelassen. In Norwegen sind bereits 90 Prozent der Neuwagen elektrisch angetrieben. Die anderen europäischen Länder dürften in den nächsten zehn Jahren nachziehen.

Nachdem die Energiewende in diesem Mobilitätssektor recht erfolgreich zu sein scheint, richtet sich die Aufmerksamkeit nun auf andere Verkehrsträger. Besonders interessant ist dabei die Schifffahrt. Allerdings stellen Schiffe ganz andere Ansprüche an die Elektrifizierung. Große Schiffe benötigen leistungsstarke Antriebssysteme mit Motoren, die mehrere tausend Kilowatt erzeugen, und nicht nur einige hundert Kilowatt wie für PKW oder Transporter. Zudem brauchen Wasserfahrzeuge auch mehr Autonomie. Sie müssen unter Umständen tage- oder wochenlang fahren, ohne einen Hafen zum Aufladen der Batterien anzulaufen.

Diese Betriebsbedingungen stellen sehr hohe Anforderungen an die Elektrifizierungstechnologien, und bisher werden vollelektrische Schiffe nur in einigen wenigen Sonderfällen eingesetzt. So befördert die MF Ampere, eine 80 Meter lange Fähre, seit 2015 Passagiere und Autos auf der sechs Kilometer langen Strecke zwischen Lavik und Oppedal am norwegischen Sognefjord. Die Überfahrt dauert nur 20 Minuten, und während die Passagiere an und von Bord gehen, werden die Schiffsbatterien von Land aus mit Strom versorgt.

Während der vollelektrische Antrieb für die meisten Schiffstypen noch in weiter Ferne liegt, arbeiten Schiffsbauer und Schiffseigner an anderen Elektrifizierungsprojekten. Die Reduzierung von Emissionen ist nur einer von vielen Gründen, die sie zum Handeln motivieren. Besitzer von Elektrofahrzeugen werden bestätigen, dass die Umstellung auf Strom die Motoren einfacher, zuverlässiger und wartungsfreundlicher macht. Für Autofahrer bedeutet dies weniger Werkstattbesuche und geringere Servicekosten. Für Besatzungen von Superjachten bietet die elektrische Ausrüstung die gleichen Vorteile, allerdings in viel größerem Umfang.

Durch die Umstellung auf den elektrischen Antrieb ist der neue Stabilisator deutlich komfortabler als seine hydraulischen Vorgänger.

Sascha Meinhardt, Head of Sales Yacht bei SKF

Eine kontinuierliche Entwicklung

Seit 1961 sorgen SKF Stabilisatoren für mehr Komfort, Sicherheit und Effizienz in der Schifffahrt. Stabilisatoren sind aktive Komponenten, die das Schlingern oder Rollen eines Schiffes bei rauer See verringern. Sie werden bei vielen Schiffstypen eingesetzt, von der 60 Meter langen Luxusjacht bis zum riesigen Kreuzfahrtschiff. Sie ermöglichen die Nutzung von großen und kleinen Wasserfahrzeugen bei schwerem Wetter und machen das Leben an Bord für alle angenehmer.

Die Stabilisatortechnik wurde in den letzten 60 Jahren ständig weiterentwickelt. Während die ersten Stabilisatoren nur funktionierten, wenn das Schiff fuhr, können neuere Konstruktionen das Schiff auch stabilisieren, wenn es sich nicht bewegt, z. B. vor Anker liegt oder sich im dynamischen Positionierungsmodus befindet.

Bis vor Kurzem wurden alle SKF Stabilisatoren ausschließlich hydraulisch betrieben. Der Einsatz von Hochdrucköl zur Kraftübertragung ist in der Schifffahrt und anderswo seit Langem die Standardlösung für alle Anwendungen, die hohe Kräfte und eine präzise Steuerung erfordern.

Hydrauliksysteme benötigen große, leistungsstarke Pumpen, um den erforderlichen Druck zu erzeugen. Die Stabilisatorflossen werden dabei in der Regel von zwei speziellen Hydraulikaggregaten bewegt, die sehr groß sind. Ventile und andere Steuerungsvorrichtungen nehmen viel Platz unter Deck ein. Schließlich müssen umfangreiche Vorkehrungen getroffen werden, um die systembedingten Geräusche und Schwingungen vom Schiffskörper zu trennen.

„Auf einem großen Frachtschiff spielt das alles keine große Rolle, weil es viel Platz gibt und die Geräusche der Stabilisatoren vom Lärm der Motoren und anderer Aggregate übertönt werden. Aber wenn eine Superjacht vor einer abgelegenen Insel ankert, sind laute Stabilisatoren das Letzte, was der Eigner hören möchte, während er an Deck sitzt und den Sonnenuntergang genießt”, so Sascha Meinhardt, Application Account Manager für Jachten bei SKF.

Hydrauliksysteme haben auch für die Schiffsbesatzung Nachteile. Sie müssen regelmäßig überprüft werden, um sicherzustellen, dass beispielsweise das wichtige Öl noch in gutem Zustand ist. Der Betrieb bei hohen Temperaturen und Drücken belastet das Öl und beschleunigt die Oxidation, die die Leistung des Öls beeinträchtigen und schließlich Ventile, Antriebe und andere Komponenten beschädigen kann. Regelmäßige Ölwechsel sind notwendig, aber zeit- und kostenintensiv, und die sichere Entsorgung von Altöl wird immer teurer.

Eine einteilige Flossenkonstruktion optimiert die Leistung des Stabilisators, sowohl bei Nullgeschwindigkeit als auch während der Fahrt.

Eine elektrische Revolution

Ein Team von SKF Schiffsingenieuren hat nun einen Weg gefunden, all diese Nachteile durch Elektrifizierung zu beseitigen. Beim vollelektrischen SKF Zero-Speed Stabilisator wird das hydraulische Antriebssystem durch einen Elektromotor ersetzt, der an ein kompaktes, spielfreies Getriebe gekoppelt ist. Das System geht jetzt in Produktion. Es wird über das Bordnetz des Schiffes mit Strom versorgt und kann je nach Bedarf mit Wechsel- oder Gleichstrom betrieben werden.

„Durch die Umstellung auf den elektrischen Antrieb ist der neue Stabilisator deutlich komfortabler als seine hydraulischen Vorgänger”, erklärt Meinhardt. Im Vergleich zu hydraulischen Konstruktionen macht das System nur dann Geräusche, wenn sich die Flossen bewegen, und selbst dann erzeugt ein elektrischer Stabilisator rund 30 Prozent weniger Luftschall und 80 Prozent weniger Körperschall als ein hydraulischer.

Aufgrund der Schnelligkeit und der einfachen Steuerung des elektrischen Systems sind auch mehr Funktionen möglich. Die Flossen dienen nicht nur zum Stabilisieren der vor Anker liegenden Jacht, sondern auch zum Manövrieren des Schiffsrumpfs. So lässt sich das Schiff beispielsweise drehen, um dem Sonnenuntergang zu folgen.

Die Schiffe können mit dem vollelektrischen Flossenstabilisator von SKF nachgerüstet werden. Das ist wesentlich weniger arbeitsintensiv als der Austausch eines herkömmlichen Hydrauliksystems. Für Schiffsneubauten bietet das System zusätzliche Vorteile: So sind zum Beispiel die Leistungs- und Schaltschränke deutlich kleiner, und da alles mit Kabeln statt mit Hydraulikleitungen verbunden ist, haben die Konstrukteure viel mehr Möglichkeiten, den optimalen Einbauort für die einzelnen Komponenten zu wählen. Und weil kein Hydrauliköl überwacht und gewechselt werden muss, ist das System wesentlich einfacher, kostengünstiger und sauberer in der Wartung.

„Der Weg zu einem wirklich emissionsfreien Seetransport wird nicht gerade einfach sein. Aber die Industrie macht bereits gute Fortschritte”, stellt Meinhardt fest. „Die Elektrifizierung von Nebeneinrichtungen wie den Stabilisatoren bietet erhebliche Vorteile für heutige Schiffe. Gleichzeitig ist sie die Grundlage für eine sauberere, leisere und zuverlässigere Zukunft.”

Auf direktem Weg

SKF arbeitet bereits an der nächsten Generation elektrischer Stabilisatorsysteme um ein noch einfacheres und robusteres System zu entwickeln. Da herkömmliche Elektromotoren am besten für Hochgeschwindigkeitsanwendungen mit niedrigem Drehmoment geeignet sind, wird der Antrieb des elektrischen Stabilisators mit einem Getriebe ausgestattet, um genügend Kraft zur Steuerung der Flosse zu erzeugen.
Der vollelektrische Flossenstabilisator von SKF kann nachträglich eingebaut werden.

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