Henry Mintzberg

Eines seiner Lieblingsthemen war lange Zeit die Qualität der Managementausbildung oder – wie er es ausdrückt – die mangelhafte Qualität. Er ist ein energischer Gegner der MBA-Programme, von denen er meint, daß „sie die falschen Leute auf falsche Weise und aus falschen Gründen ausbilden. Die falschen Leute, weil sie zu jung und zu unerfahren sind. Die falsche Weise, weil sich die ganze Ausbildung nur auf Analysen und Theorien stützen kann, wenn man zu unerfahren ist. Die falschen Gründe, weil dadurch Leute in Unternehmen auf Führungsposten landen, die keine persönliche Anbindung an das Unternehmen und keine Erfahrungen in bezug auf dessen Management haben und deshalb eine solche Position nach Abschluß eines MBA-Programms nicht bekommen sollten.“

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Querdenker in der ManagementausbildungEingebettet in die malerischen Laurentian Mountains eine Autostunde nördlich von Montreal (Kanada) entfernt liegt Lac Castor. Daß ausgerechnet dieser Ort die Wiege einer globalen Revolution in der Managementausbildung sein soll, ist schwer zu glauben. Auch Henry Mintzberg, der kahlköpfige Universitätsprofessor mit dem jungenhaften Gesicht, der hier das ganze Jahr über in einem der sechs bescheidenen Häuser am Ufer des ein Kilometer langen Sees lebt, sieht nicht gerade aus wie der Anführer dieser Revolution. Aber der Schein trügt.
Seit 15 Jahren findet Henry Mintzberg an diesem See die Ruhe und Abgeschiedenheit, die er braucht, um die grundlegenden Management- und Organisationsprinzipien zu überdenken. In seinem im Souterrain des Hauses gelegenen Büro mit Blick auf den See hat er Dutzende von provokativen Artikeln und Bestseller verfaßt (seinen U-förmigen Schreibtisch beschreibt er gerne als „kontrollierte Unordnung“) und wird damit stets seinem Ruf gerecht, einer der bekanntesten Wirtschaftsprofessoren Kanadas zu sein, der sich nicht davor scheut, den Status quo in Frage zu stellen.

Eines seiner Lieblingsthemen war lange Zeit die Qualität der Managementausbildung oder – wie er es ausdrückt – die mangelhafte Qualität. Er ist ein energischer Gegner der MBA-Programme, von denen er meint, daß „sie die falschen Leute auf falsche Weise und aus falschen Gründen ausbilden. Die falschen Leute, weil sie zu jung und zu unerfahren sind. Die falsche Weise, weil sich die ganze Ausbildung nur auf Analysen und Theorien stützen kann, wenn man zu unerfahren ist. Die falschen Gründe, weil dadurch Leute in Unternehmen auf Führungsposten landen, die keine persönliche Anbindung an das Unternehmen und keine Erfahrungen in bezug auf dessen Management haben und deshalb eine solche Position nach Abschluß eines MBA-Programms nicht bekommen sollten.“

Angestachelt von Kritikern, die ihm vorwarfen, selbst nichts zu unternehmen, um die Situation zu verbessern, beschloß Mintzberg, seinen Worten Taten folgen zu lassen. In Zusammenarbeit mit bekannten Handelshochschulen aus fünf Ländern und vier Kontinenten schuf er das International Masters Program in Practicing Management (IMPM), ein Ausbildungsprogramm, von dem ziemlich unbescheiden behauptet wird, es sei die „nächste Generation“ der Managementausbildung.

Heute, nach fast vier Jahren, ist das Ausbildungsprogramm mit 35 Studenten – angehende Führungskräfte aus einer beeindruckenden Palette von multinationalen Unternehmen – voll ausgelastet. Mintzbergs Einsatz scheint sich auszuzahlen.

Für Mintzberg ist der Erfolg des IMPM in vieler Hinsicht die Krönung eines Lebenswerks. Er wurde in Montreal als Sohn eines polnischen Immigranten geboren und wuchs dort auf. Sein Vater besaß ein kleines Fertigungsunternehmen. Nach seinem Maschinenbaustudium an der McGill-Universität von Montreal wechselte Mintzberg zum Massachusetts Institute of Technology über und erwarb dort seinen Magister- und Doktortitel an der Sloan School of Management.

Als Mintzberg an seiner Doktorarbeit schrieb, stellte er zum erstenmal konventionelle akademische Theorien über die Zeitplanung von Führungskräften in Frage. Wie ein Anthropologe untersuchte er anhand von konkreten Beispielen, wie sie tatsächlich ihre Zeit verbrachten. Er stellte fest, daß die Führungskräfte so stark in das hektische Alltagsgeschäft eingebunden waren, daß sie kaum Zeit hatten, sich in ihre Büros einzuschließen, um strategische Fragen zu diskutieren, wie es die Theoretiker forderten. Dies veranlaßte Mintzberg, den Begriff der „strategischen Planung“ als einen Widerspruch in sich selbst zu bezeichnen. Seine Erkenntnisse wurden schließlich 1973 in einem viel gerühmten Buch mit dem Titel The Nature of Managerial Work veröffentlicht, das weltweit in über 200.000 Exemplaren verkauft wurde und Mintzberg berühmt machte.

Seitdem hat sich Mintzberg als weltweit führender Organisationstheoretiker und einflußreichster Managementexperte immer mehr einen Namen gemacht. Er ist nicht nur ein hochangesehener Professor an der McGill Universität und dem südlich von Paris gelegenen wirtschaftswissenschaftlichen Institut INSEAD, er ist auch ein begabter und äußerst produktiver Autor. Seine neun Bücher und über 100 Artikel (darunter zwei, die in der Harvard Business Review veröffentlicht wurden und eine Auszeichnung erhielten) haben ihn zum Management-Guru gemacht. Seine Arbeit hat ihm außerdem zahlreiche akademische Auszeichnungen und Ehrentitel eingebracht. Neun Universitäten verliehen ihm ehrenhalber einen akademischen Grad, und in seinem Heimatland erhielt er den „Order of Canada“, Kanadas höchste Auszeichnung für außerordentliche Leistungen.
Nach Mintzbergs ist der Auffassung, daß sich mit Strategie nur diejenigen befassen sollten, die einen intimen Einblick in die jeweilige Organisation haben. Gute Manager haben außerdem eines gemeinsam, nämlich natürliche Führungseigenschaften. Beides, so meint er, kann man nicht im Rahmen eines herkömmlichen MBA-Programms lernen. Die MBA-Programme generieren zur Zeit allein in den USA eine Million Anwärter auf Führungsposten.
Mintzberg ist vielmehr ein eiserner Verfechter der praxisorientierten Ausbildung, bei der die Entwicklung der Führungsfähigkeiten mit Ausbildung kombiniert wird. „Die Leute sollen lernen, aber sie sollen gleichzeitig auch ihre tägliche Arbeit weiterhin effektiv verrichten“, schrieb Mintzberg neulich. „Es sollte eine Zeit zum Lernen geben und eine Zeit, um das Erlernte praktisch zu nutzen.“

Das im März 1996 eingeführte IMPM-Programm bricht mit sämtlichen traditionellen Denkweisen der Managementausbildung. Fächerbezogene Ausbildungsgänge wie etwa Marketing, Finanzwesen und Strategie gehören ebenso der Vergangenheit an wie die Fallstudienmethode oder traditionelle Sitzordnungen. Sogar das übliche „Schuljahr“ und der Campus ist abgeschafft. Stattdessen basiert das Programm auf fünf managementorientierten „Denkweisen“ – reflektierend, analytisch, weltlich, kooperativ und handlungsbezogen – die in Blöcken von jeweils zwei Wochen über einen Zeitraum von 18 Monaten an Handelshochschulen in Kanada, England, Frankreich, Indien und Japan gelehrt werden. Die Studenten – Führungskräfte der mittleren Managementebene mit guten Aussichten auf eine gehobene Führungsposition – müssen von ihren jeweiligen Unternehmen gefördert werden und gehen zwischen den Ausbildungsblöcken ihrer normalen Tätigkeit nach.

Mintzberg ist dabei allgegenwärtig. Er koordiniert das Programm, unterrichtet verschiedene Klassen und besucht regelmäßig Vorlesungen in sämtlichen Ausbildungsblöcken. „Es ist für mich und meine Kollegen eine faszinierende, dynamische Erfahrung“, sagt er. „Wir wollen die Managementausbildung revolutionieren.“

Trotz einer Teilnehmergebühr von 60.000 US-Dollar (110.000 DM oder 57.000 Euro) für die Ausbildung und damit verbundene Kosten schicken multinationale Unternehmen und Organisationen ihre besten und vielversprechendsten Führungskräfte zu Mintzberg.

„Aus internationaler Sicht ist es äußerst wichtig, sich nicht auf das, was man selbst für richtig hält, zu versteifen und stattdessen auf andere zu hören“, meint Vince Isber, ein leitender Angestellter der Royal Bank und Absolvent des ersten IMPM-Ausbildungsprogramms. „Ich habe gelernt, daß ich nicht immer weiß, was am besten ist.“

Solche Kommentare klingen wie Musik in Mintzbergs Ohren. „Wir müssen schauen, wie die Studenten auf das Programm reagieren. Es verändert sie als Mensch. Auch wenn sie nur Teile dessen, was wir vermitteln, annehmen, läuft unsere Philosophie darauf hinaus, daß wir nur Leute ausbilden, die mit ihren Unternehmen und Organisationen eng verknüpft sind, Leute, die Führung und Management für etwas positives halten.“

Mark Cardwell

Wirtschaftsjournalist in Montreal

Foto Allen McInnis

 

 

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