Hybrid-Lagereinheiten für Fahrmotoren im Nahverkehr
Lagereinheiten für Fahrmotoren helfen, in Eisenbahnanwendungen geringere Kosten und höhere Leistung zu erreichen. Škoda Trakcení Motory verwendet solche Lagereinheiten in Fahrmotoren für den Nahverkehr
Durch den verstärkten Einsatz von abgedichteten fettgeschmierten Lagereinheiten lassen sich in Eisenbahnanwendungen erhebliche Einsparungen über die gesamte Lebensdauer erzielen. Das Konzept der Lagereinheiten für Fahrmotorenlager (traction motor bearing unit – TMBU) zeichnet sich durch geringeren Platzbedarf, einfacheren Einbau, längere Wartungsfristen und größere Leistungsfähigkeit aus. Schäden aufgrund von Stromdurchgang durch das Lager sind ausgeschlossen, wenn die Lager mit einer Keramikbeschichtung isoliert sind oder ein Hybridlager mit Wälzkörpern aus Keramik verwendet wird. Das tschechische Unternehmen Škoda Trakcní Motory setzt solche Lager insbesondere in Fahrmotoren für den Personennahverkehr ein.
Es besteht heute ein verstärktes öffentliches und politisches Bewusstsein für den Wunsch nach kollektiver Mobilität, insbesondere in den dichtbesiedelten Städten und Stadtrandgebieten. Dies eröffnet neue Möglichkeiten in der Weiterentwicklung von Nahverkehrssystemen und gibt der Eisenbahnindustrie einen Anreiz, neuartige Lösungen zu erarbeiten. Die modernen Nahverkehrszüge, U-Bahnen, Straßenbahnen und Oberleitungsbusse bieten mehr Fahrkomfort und können kostengünstiger betrieben werden.
Die Marke Škoda ist seit 140 Jahren für Fahrzeuge und Maschinen aller Art bekannt. Škoda Trakcní Motory (Škoda Fahrmotoren) ist der wichtigste Geschäftsbereich des neuen Unternehmens Škoda Electric s.r.o. im tschechischen Pilsen, das seit Februar 2003 zur Appian Group gehört. Škoda Trakcní Motory ist ein wichtiger Anbieter von elektrischen Fahrmotoren und Zusatzmotoren für Kompressoren und Gebläse. Škoda liefert Antriebssysteme für die internationale Eisenbahnindustrie, insbesondere nach Österreich, Deutschland und die USA, aber natürlich auch im Inland, in der Tschechischen Republik. Die wichtigste Produktgruppe sind Fahrmotoren für die verschiedensten Nahverkehrszüge. Škoda Trakcní Motory untersuchte vor allem die Möglichkeit einer Vereinfachung der Lagerungen und längerer Wartungsfristen. 1996 wurden die ersten Prüfläufe mit Fahrmotorenlagereinheiten TMBU durchgeführt, und heute findet man dieses Konzept in fast allen neuen Fahrmotoren.
Technische Einzelheiten
Geringere Kosten über die Lebensdauer eines Produkts lassen sich nur über eine Veränderung der Konstruktion erreichen. Die Eisenbahnindustrie setzt verstärkt auf einbaufertige Lagereinheiten. Die TMBU ist eine werkseitig befettete, abgedichtete Lagereinheit und damit eine einbaufertige Baugruppe. Sie wird direkt am Motorschild des Fahrmotors angeflanscht. Weniger Bauteile, geringerer Platzbedarf und einfacherer Einbau sind die Vorteile dieses neuen Konzepts. TMBUs sind auf beiden Seiten mit außerordentlich effektiven berührungsfreien Labyrinthdichtungen versehen.
Damit das Lager nicht durch Stromdurchgang geschädigt wird, muss unbedingt, insbesondere beim Einsatz in einem Wechselstrommotor, eine elektrische Isolierung vorgesehen werden. Eine Möglichkeit ist das Aufbringen einer isolierenden Keramikschicht wie in den INSOCOAT® Lagern von SKF. Die Beschichtung aus Aluminiumoxid wird in einem speziellen Plasma-Sprühverfahren aufgebracht.
Eine andere Möglichkeit ist die Verwendung von Hybridlagern mit Wälzkörpern aus dem Keramikwerkstoff Siliziumnitrid. Diese Kugeln oder Rollen wirken dann wie elektrische Isolatoren. Bei Beaufschlagung mit Gleichstrom wirkt ein Hybridlager ohne Dicht- oder Deckscheiben wie ein Isolator von mehreren GΩ. Mit einem Hybridlager lässt sich der Stromdurchgang durch den Wälzkontakt zwischen Wälzkörper und Laufbahn wirksam ausschalten. Weiterhin, und dies ist besonders wichtig, wirken die Keramikwälzkörper eines Hybridlagers bei hochfrequentem Wechselstrom wie ein dielektrisches Element zwischen Innen- und Außenring, so dass die kapazitive Reaktanz eines Hybridlagers sehr niedrig liegt (in der Größenordnung von picoFarad). Der relativ große Durchmesser der Wälzkörper, die geringe Größe der Laufbahnkontakte und die niedrige relative dielektrische Konstante (εr) von Siliziumnitrid ergeben eine Impedanz von mehr als 1 kΩ selbst bei Frequenzen von 1 MHz. Somit bietet die Hybridtechnik für die Lager einen außerordentlich wirkungsvollen Schutz vor Stromschäden, insbesondere beim Vorliegen hochfrequenter Ströme.
Das Hybridkonzept bietet insbesondere die folgenden Vorteile:
- Wesentlich längere Fettgebrauchsdauer in Hybridlagern als in Vollstahllagern
- Keramische Wälzkörper können Kratzer auf der Laufbahnfläche „glätten“
- Der Reibungskoeffizient zwischen Stahl und Keramik ist wesentlich geringer als der zwischen zwei Stahlflächen, es treten also weniger Verschleiß und geringere Wärmeentwicklung auf.
- Mit harten Keramikwälzkörpern können sich Oberflächenschäden nicht von einer Laufbahn auf die andere übertragen.
- Wegen der geringen Dichte des keramischen Werkstoffs treten geringere Zentrifugalkräfte und dadurch geringere Reibung im Lager auf.
- Keramische Wälzkörper haben eine außerordentlich große Härte und bewirken dadurch Verschleißfestigkeit beim Vorliegen harter Teilchen sowie Beständigkeit gegen plastische Verformung.
- Der niedrige Wärmedehnungskoeffizient des Wälzkörperwerkstoffs bewirkt, dass auch bei relativ ungleichmäßigen thermischen Bedingungen nur eine geringe Veränderung der Lagerluft auftritt. So wird die Gefahr des Lagerblockierens besonders beim Anlaufen verringert.
- Die keramischen Wälzkörper unterbrechen den (Gleich-)Stromkreis und verleihen dem Lager die Eigenschaften eines Isolators.
- Die keramischen Wälzkörper unterbrechen den (Wechsel-)Stromkreis und verleihen dem Lager die Eigenschaften eines großen Wechselstromwiderstands.
- Keramische Wälzkörper unterliegen keinen magnetischen Kräften.
- Bei Berührungsflächen Keramik auf Stahl tritt bei Mangelschmierung keine Mikroverschweißung auf, und sie blockieren nicht bei einem Ausfall der Schmierung.
- Weitere technische Details von Hybridlagern sind in Evolution, Ausgabe 3/2001, Seite 29 bis 31 dargestellt; auch online unter evolution.skf.com.
Fettgebrauchsdauer
Werkseitig geschmierte Lagereinheiten bieten den Vorteil, dass zuverlässig das richtige Schmierfett in der richtigen Menge unter den Bedingungen optimaler Sauberkeit in einer Fabrik ins Lager eingebracht wurden und dort in der optimalen Verteilung im Wälzkontakt zur Verfügung steht.
Für die Festlegung der Wartungsfristen ist die Fettgebrauchsdauer der entscheidende Parameter. Im SKF Development Centre in Steyr (Österreich) wurden für TMBUs verschiedene Hochleistungsfette parallel in einer Lagerung in O-Anordnung getestet. Die typischen Drehzahlzyklen wurden anhand der Kundenspezifikationen festgelegt, und Sensor-TMBUs lieferten weitere Messungen aus dem Feldeinsatz. Grundsätzlich waren die Zyklen als wiederholte Stop-and-Go-Phasen bei hohen Dauertemperaturen angelegt. Während der ersten Laborprüfungen wurde eine Temperatur von 120 °C aufgebracht. Nach Auswertung der Testergebnisse wurde eine weitere Prüfung in O-Anordnung bei 105 °C durchgeführt. Diese umfassende Testreihe sollte den Zusammenhang zwischen dem SKF Modell zur Berechnung der Fettgebrauchsdauer und den Ergebnissen der Laborprüfungen für die jeweilige Einheit und ihre Betriebsparameter feststellen.
Die im längeren Betrieb im Feld gemessene Temperatur lag wesentlich unter der aus der Laborprüfung. Anhand der Laborergebnisse wurde mit Hilfe von Rückberechnung eine realistische Fettgebrauchsdauer im Feld ermittelt, die es ermöglicht, das leistungsfähigste Fett als Standard-Schmierstoff für die TMBUs auszuwählen.
In weiteren Tests wurden der beste Käfigwerkstoff und die optimale Konstruktion sowie die Leistungsfähigkeit des Fetts bei Verwendung von Hybridlagern mit Wälzkörpern aus Keramik untersucht.
Hybridlager ermöglichen eine längere Gebrauchsdauer des Schmierfetts. Im Schnitt sollte im Nahverkehr eine Laufleistung von 1,5 Millionen Kilometern ohne Nachschmieren oder sonstige Wartung möglich sein. Diese Laufleistung entspricht einer Inspektion nach der Hälfte der erwarteten Lebensdauer von 3 Millionen Kilometern. In vielen Fällen ist dies eine Laufzeit von 25 Jahren bei 120.000 km pro Jahr. Die empfohlenen Wartungsfristen müssen anhand der Betriebsparameter wie Geschwindigkeiten und Temperaturen für die jeweilige Anwendung festgelegt werden.
Leider ist es sehr zeitaufwendig, langfristige Erfahrung im Feld bei realistischen Betriebsbedingungen zu machen. Mittlerweile läuft der längste Feldversuch acht Jahre im normalen Betrieb. Während dieser Zeit wurden mehrfach Fettproben zur Untersuchung des Fettzustands und des Vorliegens von Verschleißteilchen usw. entnommen. Bisher hat der Feldversuch die ursprünglichen Annahmen voll bestätigt.
Kundennutzen
Der größte Vorteil für den Kunden liegt in den geringeren Kosten über die Lebensdauer der Lagereinheit bei längeren Wartungsfristen, die auf die längere Fettgebrauchsdauer zurückgehen. Daneben ermöglicht der geringere Platzbedarf der Lagereinheiten entweder eine kürzere Ausführung des Fahrmotors oder eine längere Auslegung des Rotor/Stator-Blocks mit erhöhter Leistung. Insgesamt wird auch der Lagereinbau verbessert, weil eine einbaufertige Einheit mit weniger einzelnen Bauteilen vorliegt. Auch Lagerschäden durch Stromdurchgang sind mit der beschichteten INSOCOAT® Ausführung oder Hybridlagern mit Keramikwälzkörpern ausgeschlossen.
Die klassische Konstruktion eines Fahrmotors hat auf jeder Seite des Rotors ein Lager. Bei der TMBU wird der Rotor über einen Kugelsatz axial ausgerichtet, der auch Radial- und Axiallasten aufnimmt. Die Kraft wird über eine Kardanwelle auf das Getriebe übertragen. Auf der anderen Seite ist die TMBU kleiner, und hier nimmt ein Rollensatz nur Radiallasten auf. Hier können eine Lenkhilfepumpe und andere Zubehörteile angeflanscht werden.
Diese Konstruktion wird beispielsweise in Fahrmotoren für Oberleitungsbusse in vielen Städten eingesetzt: Linz und Salzburg, Esslingen und Solingen, Minsk in Weißrussland, Hradec Králové und Pilsen in der Tschechischen Republik, Lyon in Frankkreich, Athen (zwei größere Verträge), Ungarns Hauptstadt Budapest, Bologna, Mailand, Modena und Parma in Italien, Bukarest in Rumänien, Arnhem in den Niederlanden sowie Bern und Biel in der Schweiz und Boston/USA (zwei größere Verträge). Im Vorfeld der Olympiade 2004 hat Athen eine große Anzahl von Oberleitungsbussen in Dienst gestellt. Die Fahrmotoren laufen mit einer TMBU von Škoda auf beiden Seiten des Rotors.
Meist handelt es sich um Niederflurbusse, die den Fahrgästen bequemes Ein- und Aussteigen ermöglichen. Solche Fahrzeuge sind jedoch insofern technisch problematisch, als wegen des tiefliegenden Bodens für den Antrieb nur wenig Raum verfügbar ist. Das Motorkonzept des Škoda-Oberleitungsbusses wird in einer speziellen Form auch in den Arbeitslokomotiven der Pariser Metro eingesetzt.
Fahrmotoren mit einem Einzellager basieren auf einer TMBU mit einem Rollensatz auf einer Seite. Auf der Gegenseite wird die Kraft über eine Kupplung direkt auf das Getriebe übertragen. Diese Konstruktion wird in den neuen Leicht-Schienenfahrzeugen in Bonn und Köln und im Nahverkehr zwischen den beiden Städten eingesetzt. Mit diesen Lagereinheiten fährt auch die Niederflur-Straßenbahn in Schwerin, die auf einer speziellen neuen Strecke die Vororte untereinander und mit dem Zentrum verbindet.
Ausblick
Die jüngste Entwicklung ist eine TMBU mit integrierten Sensoren zur Bestimmung der Drehzahl und der Betriebstemperatur der Lager. Das Drehzahlsignal wird in das Wechselstrom-System zur Antriebssteuerung eingespeist. Das Sensorgehäuse ist direkt an den feststehenden Teil der Labyrinthdichtung angeflanscht, die Funktion des Impulsrads übernimmt der umlaufende Teil der Labyrinthdichtung.
Das Konzept der Fahrmotoren-Lagereinheiten bietet neue Möglichkeiten, über längere Wartungsintervalle die Kosten über die Lebensdauer zu senken. Die kompakte Konstruktion besteht aus weniger Einzelteilen und lässt sich einfach einbauen. In der Praxis haben sich die Erwartungen an eine weniger wartungsintensive Lösung voll bestätigt.