Kampf um Talente
Es sieht aus, als ob demografische Veränderungen und die Wertvorstellungen einer neuen Generation in einem erheblichen Mangel an Talenten resultieren werden. Unternehmen sind deshalb gezwungen, für ihr Überleben und Wohlergehen das Thema Kompetenzmanagement ernsthaft anzugehen
Es sieht aus, als ob demografische Veränderungen und die Wertvorstellungen einer neuen Generation in einem erheblichen Mangel an Talenten resultieren werden. Unternehmen sind deshalb gezwungen, für ihr Überleben und Wohlergehen das Thema Kompetenzmanagement ernsthaft anzugehen
Welche knappen Ressourcen sind es wohl, die schon bald Wirtschaftswachstum und Wohlstand in den westlichen Ländern behindern könnten? Öl? Kapital? Nein, Leute mit Köpfchen. „Talentierte Leute“, meint Bengt Lejsved, Hauptanteilseigner und stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Heidrick & Struggles International, führender Dienstleister im Bereich Führungskräftebeschaffung und -entwicklung.
Und er fährt fort: „Die Kompetenz in der eigenen Organisation zu fördern und zu erhalten, gehört zu den wichtigsten Aufgaben, mit denen Unternehmen heutzutage konfrontiert werden. Das wird in noch höherem Maße für die Zukunft gelten, wenn der Kampf um Talente in vollem Gange ist.“
In dieser Hinsicht haben viele Unternehmen offenbar noch einen weiten Weg vor sich, zumindest wenn man einer Untersuchung glaubt, die 2001 von der Beratungsfirma McKinsey durchgeführt wurde. Sie zeigte, dass sich von 410 Führungskräften der 35 größten Unternehmen der USA nur 19 Prozent als geschickt in der Rekrutierung von Talenten betrachten, und nur acht Prozent meinen, sie seien gut darin, Talente zu halten.
Der drohende Talentemangel, der für zahlreiche Industrieländer charakteristisch ist, liegt in der Bevölkerungsstruktur begründet. Sie zeichnet sich durch eine beängstigende Anzahl von älteren Arbeitnehmern aus, die in absehbarer Zukunft in den Ruhestand treten werden. So sagt etwa das Statistische Zentralamt in Schweden voraus, dass 2008 rund 8.000 Ingenieure auf dem schwedischen Arbeitsmarkt fehlen werden. In den USA prognostiziert das Amt für Arbeitsmarktstatistik, dass das Defizit an Arbeitskräften bis 2010 auf rund zehn Millionen angewachsen sein wird.
„Auch wenn wir es uns heute kaum vorstellen können, werden wir bald den schlimmsten Arbeitskräftemangel aller Zeiten erleben. Die Bevölkerungsentwicklung bestätigt diese Prognose. Die ’Babyboom’-Generation, die heute einen großen Teil der berufstätigen Bevölkerung ausmacht, wird sich bald vom Arbeitsmarkt zurückziehen. In den kommenden Jahren werden 70 bis 75 Millionen Arbeitnehmer in Pension gehen“, sagt Jeff Taylor, Gründer der führenden globalen Online-Stellenbörse, Monster.
Laut Lejsved gelten bei den meisten immer noch Maschinen, Kapital und Markennamen als die wichtigsten Triebfedern, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. „Aber in fünf Jahren“, sagt er voraus, „werden es talentierte Mitarbeiter sein. Wenn es um die Anschaffung neuer Maschinen und anderer Sachanlagen geht, verlegen die Unternehmen viel Zeit auf ihre Investitionsentscheidungen, aber dem Aufbau von Qualifikation und Kompetenz wird immer noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.“
Der Übergang vom Kompetenz- zum Arbeitskräftemangel wird in den nächsten zehn Jahren eine Revolution auf dem Arbeitsmarkt auslösen, glaubt Jeff Taylor. „Die Unternehmen werden gezwungen sein, den Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter stärker Rechnung zu tragen. Die Arbeitnehmer werden eine Machtposition haben, und die Arbeitgeber müssen ihr Personal gut behandeln, wenn sie es halten wollen. Wer sich auf diese neue Arbeitsmarktsituation nicht vorbereitet, geht ein großes Risiko ein. Es ist durchaus denkbar, dass ein Unternehmen scheitert, nur weil es nicht in der Lage ist, sein Personal zu halten“, erklärt Taylor.
Verbesserte Produktivität und zunehmende Automatisierung können allerdings den Kompetenzmangel in gewisser Weise kompensieren, weil weniger Arbeitskräfte benötigt werden. Eine andere Maßnahme ist die Verlegung der Produktion in aufstrebende Märkte außerhalb der westlichen Welt. „Es ist schwer zu sagen, was diese Lösung langfristig für Folgen haben wird“, gibt Lejsved zu bedenken. Er meint jedoch, gar nichts zu unternehmen, sei fatal.
„Unternehmen, die kein Konzept zur Unterstützung und Förderung ihrer Talente haben und nicht wissen, wie man neue Talente findet, anstellt und behält, sind die Verlierer von Morgen“, erklärt er.
Welche Strategie sollen also Unternehmen angesichts des bevorstehenden Kampfes um Talente verfolgen? „Wer sich heute um seine Mitarbeiter bemüht, kann die Schäden verhindern, die eine hohe Fluktuation bei einer Verbesserung der Arbeitsmarktlage anrichten würde. Personalleiter sollten außerdem Jobsucher professioneller behandeln, auch wenn das Unternehmen gerade keinen Einstellungsbedarf hat. Sie sollten deren Unterlagen aufbewahren, denn viele dieser Kandidaten könnten für das Unternehmen die Nachwuchskräfte von Morgen sein“, so Jeff Taylor.
Auf ihrer Suche nach neuen Talenten müssten die Unternehmen vielleicht einmal über ihr traditionelles Terrain hinausschauen. Lejsved nennt Beispiele: Indien als Reservoir für IT-Talente sowie viele Teile Asiens mit modernen Produktions- und Managementfertigkeiten.
Lejsved rät Unternehmen, neue Wege zur Talentsuche auszuprobieren. Viele qualifizierte Leute sind vielleicht schon im Unternehmen beschäftigt, ohne dass ihr wahres Potenzial erkannt worden ist. „Erleichtern und fördern Sie die gegenseitige Befruchtung von Qualifikationen innerhalb Ihrer Organisation und stimulieren Sie den geistigen Austausch“, schlägt er vor.
Unternehmen müssen aufhören, an Kosteneinsparungen zu denken, wenn die Herausforderung lautet, einen begabten Mitarbeiter zu behalten oder zu verlieren, fährt Lejsved fort. „Gute Leute zu verlieren, ist gefährlich. Der Arbeitgeber könnte Geschäftsmöglichkeiten verpassen, nur weil er nicht das geeignete Personal hat, um diese entsprechend zu nutzen.“
Kompetenz ist also auf dem besten Weg, ein knappes Gut zu werden. Hinzu kommt noch, dass der Begriff ‚Kompetenz am Arbeitsplatz’ inzwischen in einem weiteren Sinne definiert wird und mehr als nur die Qualifikation zum Lösen einer bestimmten Aufgabe bezeichnet. Er umfasst auch die Fähigkeit, mit anderen Menschen zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten – innerhalb wie außerhalb des Unternehmens. Der Bedarf an Führungskräften mit hoher sozialer und emotionaler Kompetenz nimmt deshalb ständig zu und wird vermutlich bald einen ebenso hohen Stellenwert einnehmen wie der Bedarf an technisch qualifiziertem Personal, vermutet Lejsved.
„Die Fähigkeit zur Kommunikation und Inspiration nimmt immer mehr an Bedeutung zu, weil das Personal heute kritischer ist als früher, eine höhere Ausbildung hat und an demokratische Entscheidungsprozesse gewöhnt ist“, sagt er. „Man muss heutzutage in der Lage sein, seinen Kollegen eine Vision zu verkaufen und sie von den notwendigen Dingen zu überzeugen. Einfach Befehle und Anweisungen zu erteilen, reicht nicht mehr, jedenfalls nicht in hoch industrialisierten Ländern.“