Kernkompetenz
In einer Welt, die ständig nach mehr und sauberer Energie verlangt, hat das SCK•CEN (Belgian Nuclear Research Centre) eine wichtige Mission, nämlich Kernenergie noch sicherer zu machen
In einer Welt, die ständig nach mehr und sauberer Energie verlangt, hat das SCK•CEN (Belgian Nuclear Research Centre) eine wichtige Mission, nämlich Kernenergie noch sicherer zu machen
In einem Waldgebietaußerhalb der Stadt Mol im Nordosten Belgiens liegt versteckt hinter einem hohen Zaun das SCK•CEN (Belgian Nuclear Research Centre). Das Kernforschungszentrum beherbergt einen der weltweit leistungsstärksten Kernreaktoren und ein Team von engagierten Forschern, deren Ziel es ist, die Welt der Kernphysik noch sicherer zu machen.
Das SCK•CEN wurde 1952 gegründet. Aufgabe des Forschungszentrums ist es, durch Forschung, Ausbildung, Kommunikation und Serviceleistungen die Entwicklung voranzutreiben, um die nukleare Sicherheit und den Strahlenschutz, die medizinische und industrielle Nutzung von radioaktiver Strahlung sowie die Aufbereitung und Entsorgung von nuklearen Abfällen zu verbessern. Bei den Forschungsprojekten geht es hauptsächlich um gesellschaftlich relevante Themen wie Reaktor- und Brennstoffsicherheit, Entsorgung von radioaktivem Abfall, die Stilllegung von nuklearen Anlagen und den Strahlenschutz. Das SCK•CEN leistet darüber hinaus einen wesentlichen Beitrag zu belgischen und europäischen Ausbildungs- und Schulungsprogrammen.
Der Stolz des Forschungszentrums ist der Materialprüfreaktor BR2, ein Druckwasserreaktor mit besonders hoher thermischer Neutronenflussdichte, bei dem bis zu 1015 Neutronen je Sekunde durch eine Fläche von einem Quadratzentimeter strömen. „Es ist Europas leistungsstärkster Forschungsreaktor“, sagt Bernard Coupé, Leiter der Abteilung Nuclear Instrumentation & Control des SCK•CEN. Der BR2 erzeugte seine erste Kettenreaktion im Juli 1961 und wurde 1963 in Betrieb genommen. Er wird mit hoch angereichertem Uran beschickt, das zu 90 bis 93 Prozent aus Uran-235 besteht.
Der Reaktor wird nicht nur vom SCK•CEN für wissenschaftliche Forschungszwecke verwendet, sondern kann auch von externen Kunden für Versuche genutzt werden. „Wir arbeiten zum Beispiel zurzeit daran, die Sicherheit einiger neuartiger Brennstoffe für einen neuen Reaktor zu testen, der im Kernforschungszentrum von Cadarache in der südfranzösischen Region Aix de Provence gebaut werden soll“, erklärt Coupé. „Wir haben die Kapazität, die Reaktionen und die Langlebigkeit der Brennstoffe gemessen und deren Verhalten im Reaktor bei sehr hohem Neutronenfluss getestet.“
Der BR2 hat jedoch noch eine weitere Funktion. Er wird nicht nur zu Versuchszwecken eingesetzt, sondern auch für die Produktion von Radioisotopen und von durch Transmutation dotiertem Silizium. „Etwa 30 Prozent unseres Etats kommt vom Staat. Der Reaktor ist als Forschungseinrichtung nicht unbedingt rentabel. Die Einkünfte aus unserer kommerziellen Tätigkeit decken einen Teil unserer Kosten ab“, meint Coupé.
„Der BR2 Reaktor ist eine bedeutende Anlage zur Produktion von Radioisotopen für medizinische und industrielle Anwendungsbereiche sowie zu Forschungszwecken“, sagt Bernard Ponsard, Projektleiter für den Bereich Radioisotope und ASC Silizium. „Es gibt sechs Hochflussreaktoren in der Welt, aber in Europa ist der BR2 der einzige, der Isotope wie Tungsten-188 (W-188) für die Herstellung von Tungsten-188/Rhenium-188-Generatoren erzeugen kann. Gemeinsam mit anderen Forschungsreaktoren in Europa bietet BR2 ausreichend Kapazitäten im kommerziellen Bereich“, fügt Ponsard hinzu.
Das wichtigste Spaltproduktist Molybden-99 (Mo-99), das von externen Abnehmern für die Herstellung von Molybden-99/Technetium-99m-Generatoren aufbereitet wird. „Technetium-99m wird in 80 Prozent aller Geräte zur Strahlendiagnostik in der Medizin verwendet und hat eine Halbwertzeit von nur sechs Stunden. Deshalb ist stetige Zulieferung sehr wichtig“, so Ponsard. „Wir haben Absprachen mit anderen Reaktoren, damit wir kontinuierliche Lieferungen gewährleisten können“, erklärt er.
„Bei uns werden außerdem eine große Auswahl von Radioisotopen zur Behandlung von Krebserkrankungen erzeugt, darunter Samarium-153, Rhenium-186 und Lutetium-177 sowie Iridium-192 (Ir-192) für die Bestrahlung kleiner Tumore“, erläutert Ponsard. „Die Produktion dieser Isotope für medizinische Therapien macht den größten Teil unserer kommerziellen Tätigkeit aus.“
IR-192 wird auch für einen wichtigen industriellen Anwendungsbereich benutzt. Weltweit wird dieses Isotop für Durchstrahlungsprüfungen mittels Gammastrahlen eingesetzt, um beispielsweise die Stärke von Schweißnähten zu prüfen. „Wir produzieren zudem Elemente wie Quecksilber Hg-203, mit dem sich die Homogenität chemischer Prozesse nachweisen lässt“, erklärt Ponsard.
Der dritte Anwendungsbereich für Radioisotope ist die Forschung. Ponsard meint dazu: „Wir werden manchmal von anderen Forschern gebeten, exotische Spaltprodukte wie Neodymium-147 herzustellen, das als Tracer in der Forschung über spaltbares Material genutzt wird.“ Das SCK•CEN unterstützt darüber hinaus akademische Einrichtungen. So erhielt die Universität von Antwerpen kürzlich Kupfer-67 für ein Forschungsprojekt, bei dem untersucht werden soll, wie Fische in verunreinigten Gewässern bestimmte Schwermetalle in sich aufnehmen.
Eine weitere bedeutende Einnahmequelle des Forschungsinstituts ist die Siliziumdotierung für Kunden in der Elektronikindustrie, hauptsächlich in Japan. „Wir bestrahlen Siliziumingots im Reaktor, um ihre Beständigkeit zu verändern“, so Ponsard. „Der Kunde schneidet dann die Blöcke auf zwei Millimeter dünne Scheiben, die durch Fotoätzung geformt und anschließend in ein elektronisches Bauteil eingelötet werden.“ (Siehe auch Artikel auf Seite7).
Im vergangenen Jahr wurden im SCK•CEN rund fünf Tonnen Silizium verarbeitet. „Zurzeit können wir nur Siliziumingot mit einem Durchmesser von bis zu 127 Millimetern bearbeiten. 2008 werden wir jedoch im Zuge eines neuen Projekts unter der Bezeichnung POSEIDON in der Lage sein, Ingot von über 202 Millimetern zu handhaben und somit unsere Kapazität auf 20 Tonnen pro Jahr zu erhöhen. Damit lässt sich ein sechster Betriebszyklus pro Jahr rechtfertigen“, erzählt Ponsard. Der BR2 ist fünf Mal pro Jahr in Betrieb, jeweils für die Dauer von 21 Tagen. In der übrigen Zeit wird der Reaktor gewartet, beschickt oder entladen und auf neue Versuche vorbereitet.
Neben dem BR2 verfügt das Forschungszentrum über weitere Anlagen, darunter einen grafitmoderierten gasgekühlten Reaktor, BR1, der als Neutronenquelle für Aktivierungsanalysen, dosimetrische Eichungen und Kalibrierungen, Verfahren der Neutrographie sowie als Referenzreaktor bei Versuchen eingesetzt wird, die VENUS-Anlage (Zero Power Critical Facility) zur Analyse von Reaktorkernkonurationen und das unterirdische HADES-Labor, in dem die Möglichkeiten der Atommülllagerung untersucht werden. Da jedoch die Zahl der Hochflussreaktoren weltweit immer weiter zurückgeht, spielt der BR2 eine immer wichtigere Rolle. „Mit seinen Möglichkeiten ist er so etwas wie ein Rolls Royce unter den Reaktoren!“, kommentiert Ponsard abschließend.
Schnelle Reaktion
Der mittlere Reaktorteil des BR2 ist eine Beryllium-Matrix von 79 sechseckigen Strahlungskanälen, die Brennelemente, Regelstäbe aus Cadmium und andere Stäbe enthalten. Hier werden Versuche oder kommerzielle Aufträge wie etwa die Siliziumdotierung durchgeführt.
Da die Cadmium-Regelstäbe Neutronen absorbieren können ohne sich selbst zu spalten, steuern sie den Neutronenfluss. Dadurch lässt sich die Zahl der Kernspaltungen regulieren.
Die Stäbe bewegen sich im Inneren des Reaktors mit Hilfe von SKF Rollengewindetrieben aus Edelstahl auf und ab. Die Rollengewindetriebe erhalten zur Verbesserung ihrer Haltbarkeit eine spezielle Beschichtung und haben eine garantierte Lebensdauer von mindestens zehn Jahren.
Um die Kettenreaktion zu unterbrechen, werden Regelstäbe zwischen die Brennstäbe geführt. Eine Kettenreaktion wird innerhalb von zehn Sekunden ausgelöst. Die Regelstäbe brauchen jedoch weniger als 200 Millisekunden, um 250 Millimeter nach unten zu fahren.
BR2 Reaktor
Der Reaktor von SCK Mol hat einen Kern mit einem mittleren Kanal von 200 Millimetern Durchmesser. Alle anderen Kanäle sind so um den mittleren Kanal angeordnet, dass sie ein Hyperboloid bilden. Diese kompakte Struktur gewährleistet eine hohe Energiedichte. Der Reaktor kann für eine Vielzahl von Versuchen verwendet werden. Hinzu kommen vier periphere Kanäle für Bestrahlungsvorrichtungen. Die Anlage lässt sich äußerst flexibel nutzen. Konuration und Betriebsart können an die jeweiligen Erfordernisse der Versuche angepasst werden.