Mehr als nur Transport
Die Logistikbranche hat sich von einem einfachen Lager- und Transportservice
zu einem komplexen Billionengeschäft entwickelt, von dem jedes erfolgreiche
Weltunternehmen abhängig ist.In Zeiten wirtschaftlicher Schwäche arbeiten die meisten Unternehmen mit
extrem geringen Gewinnspannen. Sie versuchen sich an dem Balanceakt, die Kosten
zu senken, das Produktangebot zu verbessern und ein hohes Service- und
Qualitätsniveau beizubehalten.
Die Logistik ist deshalb im modernen Geschäftsleben zu einem entscheidenden
Faktor geworden und umfasst inzwischen eine komplexe und effiziente Industrie
mit einem Volumen von schätzungsweise drei Billionen Dollar (rund drei Billionen
Euro). Es handelt sich längst nicht mehr nur um die Bereitstellung von Lagerraum
und Transportmitteln.
„Auf dem Markt sind diametral entgegengesetzte Kräfte am Werk
– Globalisierung, Konsolidierung, Standardisierung, die Forderung nach niedrigen
Preisen und größerem Produktangebot bei gleichzeitigen Kostensenkungen. Im
Grunde geht es bei der Logistik darum, das Unmögliche möglich zu machen“, sagt
Alan Braithwaite, Vorstandsvorsitzender des führenden britischen
Beratungsunternehmens Logistics Consulting Partners (LCP Consulting) in
Berkhamsted, Hurts, das sich auf Supply Chain Management und Logistik
spezialisiert hat.
Einige wesentliche Erfolge sind bereits zu verzeichnen. So
hat man zum Beispiel auf dem so wichtigen Gebiet der Transportwirtschaft große
Errungenschaften erzielt. Wie Braithwaite sagt, sind in Großbritannien die
tatsächlichen Kosten für den überregionalen Expressversand von Paketen im
Vergleich zu den achtziger Jahren um 80 bis 90 Prozent gesunken. Das ist das
Ergebnis gut durchdachter Transportnetzwerke, hoch entwickelter
Warenumschlagsysteme und fortschrittlicher IT-Lösungen. Auch Verbesserungen im
Straßennetz dank öffentlicher und privater Infrastrukturinvestitionen haben
entscheidend zu dieser Entwicklung beigetragen.
Nach Aussage von Braithwaite liegen heute die effektiven
Kosten pro Stellplatz auf einem Containerschiff um 60 Prozent unter dem Niveau
von vor 20 Jahren. „Das sind bahnbrechende Verbesserungen“, meint er. „Sie haben
es der Logistikindustrie ermöglicht, mit dem Wachstum Schritt zu halten.“
Zentralisierung
Richtungsweisend für die Logistikbranche ist auch der Trend zur Zentralisierung.
Als erstes wurde in den Unternehmen wegen Überkapazität die Fertigung
zentralisiert und rationalisiert. Der nächste Schritt war die Zentralisierung
der Distribution und Logistik infolge des Kostendrucks. Hierbei konnte man sich
die enormen Fortschritte im Transport- und Logistikwesen zu Nutze machen. Der
Vorteil eines einzigen nationalen oder regionalen Auslieferungslagers ist, dass
die Unternehmen die Risiken eines breiten Produktsortiments wesentlich besser
auffangen können. Durch ein Zentrallager lässt sich Produktvielfalt mit
niedrigen Lagerbeständen bewerkstelligen.
„Das ist wichtig, weil die Wahlmöglichkeit der Kunden einen
gewissen Lagerbestand voraussetzt, wobei die Gefahr besteht, dass die Waren
unmodern werden, und die Kosten für ein veraltetes Lager sind beängstigend“, so
Braithwaite.„Die Computerindustrie ist zum Beispiel extrem anfällig für dieses
Problem. Aber auch andere Branchen bemühen sich verzweifelt darum, nicht auf
ihren Produkten sitzen zu bleiben, weil sie die Kosten für die Finanzierung und
Lagerung der Warenbestände nicht tragen wollen. Einer unserer Kunden, der
Telekomriese Ericsson, erzielte eklatante finanzielle Vorteile, als er den
Reparatur- und Wartungsservice auf regionaler Basis zentralisierte.“
Die zunehmende Komplexität der Logistik hat auf dem Markt
einige Giganten entstehen lassen, darunter die Deutsche Post als Eigentümer von
DHL und Danzas sowie Exel mit Sitz in Großbritannien und das amerikanische
Unternehmen United Parcel Service (UPS), das mit seinem weltweiten Geschäft
ständig expandiert. Diese Unternehmen gehören zu einer Kategorie, die
normalerweise als Fremdanbieter von Logistikleistungen bezeichnet werden. Das
bedeutet, ein Fabrikant beauftragt ein Unternehmen, die Warendistribution und
den Logistikservice in seinem Namen auszuführen. In den letzten Jahren ist das
Geschäftsvolumen an Fremdleistungen dieser Art um jährlich 20 Prozent gestiegen,
und der Trend soll langfristig anhalten.
Immer mehr Unternehmen kommen zu der Einsicht, dass die
Logistik auf Betriebsniveau nicht zur Kerntätigkeit gehört und dass sich durch
externe Logistikdienstleister enorme Kosten sparen lassen. Solche
Logistikunternehmen können zudem eine ganze Palette von Serviceleistungen
anbieten, die neben Transportdiensten auch die Lagerung, Überwachung der
Bestellabwicklung und Distribution sowie die Einrichtung von Kundendienstzentren
umfassen. Outsourcing von logistischen Dienstleistungen ist ein profitables
Geschäft – für beide Seiten.
Franchise-Konzept
„Wir nutzen unsere Kaufkraft, damit ein Unternehmen unsere Dienstleistungen im
Rahmen eines Franchise-Konzepts weltweit in Anspruch nehmen kann“, erklärt Pete
Westerman, Leiter der Geschäftsentwicklung für das amerikanische
Logistikgeschäft von UPS. „Nicht der Kunde stellt Kapital bereit, sondern wir.
Aber wir machen trotzdem einen guten Gewinn daran, während der Kunde in der Lage
ist, sein Kapital nutzbringender einzusetzen. Die Technologie hat diesen Trend
maßgeblich vorangetrieben. Die Unternehmen erhalten einen immer besseren
Überblick über ihre Lieferkette durch Zugang zu Daten und Informationen auf
breiter Front.“
Der Vormarsch der Informationstechnologie hat in der Tat den
Logistiksektor revolutioniert. Sie ermöglicht Unternehmen, sich auf regionaler
oder globaler Basis zusammenzuschließen, um so gemeinsame Transaktionsrahmen mit
einem hohen Maß an Transparenz zu schaffen – Transparenz sowohl im Hinblick auf
die Warenbestände als auch auf die Strategie.
„Das bedeutet, ein Unternehmen kann sein weltweites Geschäft
mit einer einzigen Datenbank ausführen“, sagt Braithwaite. „Wenn Sie in Boston
sitzen, können Sie in Ihr System gehen und nachschauen, wie der Produktionsplan
und die Lagerbestände in Brasilien aussehen. Wir neigen dazu, derartige
Informationen heutzutage als selbstverständlich zu betrachten, aber es handelt
sich um einen bahnbrechenden Fortschritt. Die Informationstechnologie hat die
Globalisierung im Grunde erst ermöglicht. Sie sorgt dafür, dass sich Märkte
schnell und problemlos an das zentrale Liefernetzwerk anschließen können.“
Wie mit allen umwälzenden Veränderungen ist auch die hoch entwickelte Logistik
von heute nicht ganz ohne Probleme entstanden. Technische Lösungen funktionieren
nicht immer gleich beim ersten – manchmal nicht einmal beim zweiten – Mal. Wie
Braithwaite sagt, war die kulturelle und organisatorische Anpassung der
Geschäftstätigkeit zwischen unterschiedlichen Ländern sehr schwierig.
Ian Chong, Leiter der Geschäftsentwicklung für Europa, Afrika
und den Nahen Osten bei UPS Logistics Group, ist der Meinung, dass in Europa die
Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern durch die enorme Vielzahl von
geographischen und kulturellen Eigenheiten auf dieser relativ kleinen Landfläche
noch verstärkt werden. „Beim Handel innerhalb Europas stößt man jedoch auf
weitaus größere Unterschiede, was die Steuergesetzgebung und die Rechnersysteme
betrifft, und das macht die Logistik zu einer noch schwierigeren Aufgabe.“
Ökologische Zwänge
Ökologische Zwänge üben ebenfalls Druck auf die Logistikbranche aus. Braithwaite
glaubt, dass es für die Länder äußerst schwierig sein wird, die Trends, die
Wachstum und Konkurrenzkraft vorantreiben, zu fördern und gleichzeitig die
negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu bremsen.
Auch was diesen Punkt betrifft, meint Chong, dass in Europa das Problem größer
sei als in anderen Teilen der Welt, weil hier die Anforderungen an Straßenbau,
Besteuerung und Absatzvolumen ständig zunehmen. „Wenn die Infrastruktur
weiterhin solchem Druck ausgesetzt bleibt, werden die Akteure auf dem Markt
enger zusammenarbeiten müssen.“
Die Anpassung der logistischen Konzepte an umweltgerechtere
Lösungen geht allerdings bisher nur schleppend voran. Andere Trends hingegen
stoßen laut Braithwaite bei den Unternehmen auf weitaus größeres Interesse. Er
beschreibt eine ganze Palette von neuen, sich auf Internet stützenden Systemen,
die eine unternehmensübergreifende Transparenz sowie eine engere Zusammenarbeit
unter den Handelspartnern und eine bessere Koordination der Aktivitäten
ermöglichen.
„Das wird die Lösung der Zukunft sein“, meint Braithwaite.
„Man geht ins Internet und kann sich über den Stand der Dinge bei seinem Händler
in Singapur informieren, der die aktuellen Absatzzahlen und Warenbestände
automatisch über das Internet vermittelt. Gemeinsam werden dann Beschlüsse über
den jeweiligen Versandbedarf gefasst. Auf diese Weise lassen sich
Geschäftsprozesse optimal integrieren. Wir haben das in einigen Fällen innerhalb
Europas praktiziert und festgestellt, dass mit diesem System nahezu 40 Prozent
des Lagerbestands aus der gesamten Lieferkette eliminiert werden können.“
Darüber hinaus, so Braithwaite, sind die Unternehmen mit diesem engmaschigen
System von Datenintegration und Transparenz eher in der Lage, ihre
Fertigungsverfahren umzustellen, so dass dem Bedarf nach einem breiten
Produktangebot mit kleinen Absatzmengen Rechnung getragen werden kann. Solche
Waren werden in der Regel auf Anfrage hergestellt und per Luftfracht weltweit
verschickt. „Dieses System schafft einen völlig neuen Mechanismus, um
Kundenwünsche zu befriedigen.“
Amy Brown
Journalistin Stockholm, spezialisiert auf Wirtschaft,Technik und Umwelt
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