Mehr Leistungsvermögen mit Abgasturboladern
Antriebssysteme stehen im Mittelpunkt der Entwicklungsarbeit der Automobilindustrie, um die Leistung von Dieselmotoren zu verbessern, damit sie die äußerst strengen Vorschriften der EU- und US-Gesetzgebung erfüllen. SKF ist sowohl bei der Entwicklung spezieller Wälzlager als auch bei der Entwicklung komplexer Abgasturbolader aktiv beteiligt
Antriebssysteme stehen im Mittelpunkt der Entwicklungsarbeit der Automobilindustrie, um die Leistung von Dieselmotoren zu verbessern, damit sie die äußerst strengen Vorschriften der EU- und US-Gesetzgebung erfüllen. SKF ist sowohl bei der Entwicklung spezieller Wälzlager als auch bei der Entwicklung komplexer Abgasturbolader aktiv beteiligt
Ein potenzieller Kandidatfür die Anwendung in Dieselmotoren ist das Turbocompound- Antriebssystem. Es ist besonders vielversprechend in Lkw-Anwendungen. SKF hat die Lösung einer Lagereinheit für diesen Markt entwickelt, die auf einem zweireihigen, abgedichteten Schrägkugellager mit Flansch basiert. Dies ergibt ein Lagersystem, das die Bedürfnisse der immer komplexer werdenden Turboladerausführungen erfüllt und eine verbesserte Leistung, sowie niedrigere Emissionswerte bringt.
Abgasturbolader haben für Dieselmotoren eine besondere Bedeutung erlangt, da sie einen beträchtlichen Zuwachs an Motorenleistung bei einer nur geringen Gewichtszunahme bieten. Sie spielen eine Schlüsselrolle bei der Förderung des Trends in Richtung kleinerer Verbrennungsmotoren und Gewichtseinsparung. Diese Technologie bietet dem Auto- bzw. Lkw-Besitzer beträchtliche Vorteile in Bezug auf Treibstoffeinsparungen, Fahreigenschaften und eine saubere Umwelt.
Verbrennungsmotoren benötigen zweierlei: Luft und Kraftstoff. Die Abgasturbolader komprimieren die angesaugte Luft und drücken sie in den Brennraum.
Heiße Abgase, die den Motor nach der Verbrennung verlassen, werden direkt zur Turbinenradseite des Turboladers geleitet und versetzen diesen in Rotation. Eine gemeinsame Welle verbindet das Turbinenrad mit dem Kompressorrad. Das drehende Kompressor(pumpen)rad saugt Umgebungsluft an und komprimiert sie, bevor sie in die Verbrennungskammer des Motors gepresst wird (Bild 1). Turbolader leiden oftmals an der sogenannten „Turboansprechverzögerung“. Aufgrund der Trägheit des Turbolader-Rotors muss die Turbine zunächst auf Drehzahl gebracht werden, bevor sie die Luft wirkungsvoll komprimieren kann. Im unteren Drehzahlbereich, wenn der Rotor sich zu drehen beginnt, erfolgt daher kaum eine zusätzliche Leistungssteigerung.
Um das Ansprechverhalten zu verbessern, werden bei Dieselmotoren Turbolader verwendet, die so klein sind, dass sie schon bei relativ geringen Motordrehzahlen genügend Motorfüllungsgrad erreichen (circa 1.700/min bei Pkw, circa 1.400/min bei Lkw). Ein negativer Aspekt hierbei ist jedoch, dass mit derartigen kleinen Turboladern die maximale Motordrehzahl nicht erreicht werden kann.
Eine Kombinationvon Leistungssteigerung bei relativ geringen Drehzahlen und der Erzielung der maximalen Motorleistung kann durch Verwendung von entweder einer mehrstuen Turbine oder einer variablen Turbinengeometrie (VTG) erreicht werden. Diese beiden Hauptkonstruktionen stellen den Stand der Technik im Turboladerdesign dar.
Die mehrstue- oder Registeraufladung (Sequentielle Aufladung) verwendet zwei Kompressoren, die entweder in Serie oder parallel geschaltet sind. Ein zweistues System verwendet zwei Turbolader in Serie zur Erzielung eines hohen Verdichtungsverhältnisses im Gesamtsystem ohne die Notwendigkeit, einen der Kompressoren bei hoher Drehzahl zu betreiben. Durch Verwendung eines kleinen trägheitsarmen Turboladers für eine Stufe und einen größeren Turbolader für die andere Stufe sind zweistue Turboladersysteme in der Lage, im unteren Drehzahlbereich höhere Leistungen zu erbringen als konventionelle einstue Turbolader, wobei sie gleichzeitig hohe Verdichtungsverhältnisse erzielen können und somit einen breiten Einsatzbereich abdecken.
Die VTG (Variable Turbinen Geometrie) für handelsübliche Dieselmotoren verwendet verstellbare Leitschaufeln im Zustrom der Turbine (Bild 2). Sind die Leitschaufeln geschlossen, strömt der Abgasstrom tangential in das Turbinenrad, wodurch ein Höchstmaß an Energie in der Turbine zur Verfügung steht und den Turbolader dazu bringt, die Drehzahl zu erhöhen. Sind im Gegensatz dazu die Leitschaufeln geöffnet, erfolgt der direkte Zustrom in die Turbine in einer eher radialen Richtung, wodurch der Drehimpuls des Abgasstroms verringert und somit die Leistung der Turbine herab gesetzt und der Turbolader verlangsamt wird. Das zunehmende Interesse am Turbocompoundantrieb erwächst aus der Notwendigkeit, schädliche Emissionen weiter zurückzubringen. Nach der EU-Richtlinie 1999/96/EG müssen die Emissionen schädlicher gasförmiger Stoffe und Schadstoffe aus internen Verbrennungsmaschinen innerhalb bestimmter Grenzwerte liegen. (Tabelle 1)
Im Fall vonDieselmotoren im Automobil- Bereich bedeutet „Turbocompound“ die Einführung einer Zusatz-Nutzturbine, die dem normalen Turbolader nachgeschaltet ist. Die Turbocompound-Turbine erzeugt mehr Motor-Leistung durch die Verwertung sonst ungenutzter im Abgas enthaltener thermischer Energie. Die durch diese Turbine umgewandelte Energie wird über ein Reduktionsgetriebe mechanisch auf die Kurbelwelle übertragen. Die Turbine des Turbocompounds unterscheidet sich von einem normalen Turbolader dadurch, dass sie keine Verdichterstufe besitzt (Bild 3). Darüber hinaus ist auch ein mechanisch gekoppeltes System möglich, bei dem das Drehmoment direkt vom „Standard“-Turbolader abgenommen wird. Durch die zusätzliche Entnahme und Rückführung von Energie aus den Abgasen ergibt sich eine Erhöhung des thermischen Wirkungsgrads des Motors (46 % anstelle von 42 % bei Spitzenleistungen). Mit einfachen Worten: aus dem verbrauchten Kraftstoff wird mehr Energie herausgeholt. Hierdurch wird ein leistungsfähigerer Motor mit einem verbesserten Wirkungsgrad geschaffen.
Als Teil desTurbocompound-Konzepts ist die Turbine (Bild 4) ein Schlüsselelement, das sich mit einer Drehzahl von bis zu 70.000/min dreht. Das Übersetzungsverhältnis von der Nutzturbine zur Turbocompound- Zwischenwelle beträgt 6:1, das Übersetzungsverhältnis von der Zwischenwelle zur Kurbelwelle 5:1. Aus dem Verbrennungsprozess resultierende Drehschwingungen würden sich mit dem ergebenden Gesamt-Übersetzungsverhältnis von 30:1 an der Turbine verstärken und zu deren Zerstörung führen. Die Zwischenwelle wird zur Dämpfung der Drehschwingungen durch eine hydrodynamische Kupplung (nach „Föttinger“-Prinzip) verwendet. Der Schlupf in der Turbokupplung beträgt circa 2 %. Dieser Schlupf spiegelt die Kupplungsverluste durch Motoröltemperaturanstieg wieder (Bild 4).
Für diese Anwendung hat SKF eine zweireihige abgedichtete Schrägkugellager-Einheit mit Flansch entwickelt (Bild 5). Diese ist auf der Rotorwelle mit einer Sicherungsmutter festgesetzt. Das Profil des Außenrings ist so konstruiert, dass es das Antriebszahnrad der Turbokupplung auf der Außenseite tragen und unterstützen kann. Auf der Gegenseite liegt das Pumpenrad. Das Turbinenrad der Turbokupplung ist auf der Turbocompound-Zwischenwelle fixiert.
Das Lager muss in der Lage sein, in einem Temperaturbereich von -40°C bis 125°C zu arbeiten. Die Kupplungsantriebsseite dreht sich nominell schneller, das heißt, der Außenring des Lagers dreht sich immer schneller (+) oder langsamer (-) als der Innenring. Die Lagereinheit ist radial und axial belastet und trägt zum Teil auch Kippbelastungen, da das Abtriebszahnrad schräg verzahnt gestaltet ist (Bild 6). Die hydraulischen Belastungen wirken nur axial. Es wurde ein repräsentativer Belastungszyklus über die Betriebszeit angenommen: Leerlauf wird für 5 % der Zeit, Bremsbelastung für 10 % der Zeit angenommen, dann zwei nominelle Lastfälle für die restliche Zeit (Tabelle 2). Die Lebensdauer beträgt für alle Belastungsfälle mehr als 56.000 Betriebsstunden. Das liegt derzeit über den Anforderungen eines Dieselmotors, der normalerweise eine Lebensdauer von 15.000 Stunden aufweist.
Zur Analyse der Kippmomente und Optimierung des Lagers wird ein fortschrittliches, von SKF entwickeltes, computerunterstütztes Werkzeug, das Simulationsprogramm „Beacon“ verwendet. Die Beacon-Berechnung liefert Ergebnisse für die nominelle Lebensdauer des Lagers (Tabelle 2). Es sind jedoch auch andere Lagerfaktoren wichtig, um ein gutes Gesamtergebnis zu erzielen. Das Lager muss eine höhere Laufgenauigkeit als ein Standardlager aufweisen (P5 für alle Komponenten), das Wälzlagerfett eine lange Lebensdauer (> 15.000 Stunden) haben und vor allem müssen alle statischen und dynamischen Unwuchten auf ein Minimum herabgesetzt werden. Deshalb wurden zusätzlich zu den theoretischen Ergebnissen die Lager auch im Betrieb getestet. Es war auf den Laufbahnen der Lager beziehungsweise auf den Wälzkörpern kaum Verschleiß festzustellen. Alles in allem kann dieses System den maximalen Wirkungsgrad des Carnotkreisprozesses von ca. 42 % auf ca. 46 % erhöhen.
Die Einheit wurdenach folgenden Kriterien optimiert:
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Außenring: Der Außenring wurde im Hinblick auf Wärmebehandlung (Induktionshärten) und Geometrie (FEM Simulation) optimiert.
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Innenringe: Besondere Aufmerksamkeit wurde auf Vorspannung und Passungen gelegt.
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Wellendichtring: Dieser bietet bei hohen Fliehkräften Schutz gegen Fettaustritt, außerdem muss die Dichtungslippe Schutz vor Verschmutzungen durch das Motoröl gewährleisten.
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Kä: Das verbesserte Polymerkämaterial PEEK (Poly-Ether-Ether-Keton) wird verwendet. Dieses Material bietet besonders Schutz vor Alterung bei hohen Betriebstemperaturen.
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Das ausgewählte Polyharnstoff Fett ist für die zu erwartende Lebensdauer des Lkw-Motors, von mehr als 15.000 Betriebsstunden (> 1 Mio. km) ausgelegt.
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Wälzkörper: Die Kugeln werden als kritische Komponenten betrachtet und unterliegen zu 100% speziellen Untersuchungen, einschließlich Rissprüfung.
Eine weitere Entwicklungder Turbokupplung im Turbocompoundsystem ist die Integration des Zahnrads in die Flanschlagereinheit (Bild 7). Als Ergebnis dieser Entwicklung sind folgende Verbesserungen möglich: die weitere Herabsetzung der rotierenden Massen, weniger Komponenten und damit einfachere Logistik, weitere Bauraumoptimierung, einfachere Fertigungstoleranzkette sowie weitere Verbesserungen bezüglich der Auswuchtgüte der Turbokupplung.
Eine weitere interessante Anwendung ist der Turbolader selbst. Die Innovation besteht in der Verwendung von Wälzlagern anstelle von Gleitlagern (Bild 8). Die Erfordernisse, niedrigeres Reibungsmoment und höhere Geschwindigkeiten sowie erhöhte Laufgenauigkeit, wurden hier mit Hilfe einer gekapselten Lagereinheit gelöst. Obwohl konventionell Gleitlager für Lkw Diesel-Turbolader verwendet wurden, begannen die Entwickler von Turboladern auf der Suche nach verbesserter Leistung diese durch Wälzlager zu ersetzen. Es stellte sich heraus, dass spezielle einreihige Hybrid-Schrägkugellager mit einem Sonderkä aus Leichtmetall auch bei hohen Geschwindigkeiten und hohen Temperaturen sehr gute Ergebnisse bringen können. Bei dem SKF Design wurde eine angepasste Lagereinheit mit speziellen Abstandsringen, einschließlich Öleinspritzschmierung, gewählt, um den relativ hohen Geschwindigkeiten (n · dm bis zu 2.000.000) in dieser Anwendung standzuhalten.
Die berechneten Lagerlebensdauerergebnisse überschreiten für alle Belastungsfälle die Mindestanforderung von 15.000 Betriebsstunden (mit der Voraussetzung ausreichender Schmierung). Das heißt, der Verunreinigungsbeiwert des Schmierstoffs ηc muss besser als 0,3 sein. Besondere Aufmerksamkeit muss der Öleinspritzung geschenkt werden. Der Ölstrahl muss die Luftturbulenz (Windwirbel) rund um jede Lagerreihe durchstoßen, um die Kontaktflächen der Wälzkörper und Käe zu schmieren.
Diese Funktionmuss in allen Belastungsfällen gewährleistet sein, einschließlich dem als „Thermoschock“ bekannten kritischen Zustand, der bei einem Motor-Notstopp eintritt. Darüber hinaus beeinflussen bei hohen Geschwindigkeiten die auf die Wälzkörper wirkenden Zentrifugalkräfte die inneren Lagerkräfte stark (Bild 9). Dieser Einflussfaktor ist vor allem bei Lagern mit großem Berührungswinkel dominant, da die Axialkomponenten der Zentrifugalkräfte mit größerem Berührungswinkel zunehmen und alle wirken in derselben Richtung. Bei gepaarten Schrägkugellagern bedeutet dies, dass sich die Lager intern gegenseitig zusätzlich belasten.
Aufgrund der erzielten Ergebnisse mit dem SKF Design kann man erwarten, dass die derzeit verwendeten Gleitlager in Turboladern weitestgehend durch Wälzlager ersetzt werden. Leistungstests von Dieselmotoren haben bei der Verwendung von Register-Turboladersystemen mit Wälzlagern eine Steigerung des Carnot-Wirkungsgrads auf bis zu 49 % bestätigt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in den nächsten Jahren mit einer Steigerung des Carnot-Wirkungsgrads auf bis zu 50 % zu rechnen sein wird. Wälzlager tragen durch ihre tribologisch optimierte (Einheiten-) Konstruktion, sowie durch speziell bearbeitete Oberflächen und die Verwendung spezieller Werkstoffe maßgebend dazu bei. Es ist abzusehen, dass immer mehr Lkw-Hersteller komplexere Turbolader-Systeme vorstellen, bei denen das Turbocompoundsystem gemeinsam mit zum Beispiel dem SCRKatalysator eine wichtige Rolle spielen wird.
Durch die Kombination all dieser Technologien kann bei Wälzlagern der Durchbruch in der Konstruktion von Motoren für die Lkw-Industrie ausgelöst werden. Diese helfen innovativen Unternehmen, sich im härter werdenden Wettbewerb zu behaupten.