Paul Saffo
Die Zukunft der TechnikPaul Saffo mag es nicht, als Visionär bezeichnet zu werden, obgleich ihn viele als typischen Vertreter dieser Kategorie beschreiben würden. Er nennt sich lieber Prognostiker. Das klingt zwar nicht so aufregend, trifft aber eher auf die Tätigkeit zu, die Saffo als Leiter des Institute of the Future (IFTF) im kalifornischen Silicon Valley ausübt.
Die Zukunft der TechnikPaul Saffo mag es nicht, als Visionär bezeichnet zu werden, obgleich ihn viele als typischen Vertreter dieser Kategorie beschreiben würden. Er nennt sich lieber Prognostiker. Das klingt zwar nicht so aufregend, trifft aber eher auf die Tätigkeit zu, die Saffo als Leiter des Institute of the Future (IFTF) im kalifornischen Silicon Valley ausübt.
„Meine Aufgabe sind Prognosen, nicht Prophezeiungen. Visionäre engagieren sich für bestimmte Aspekte der Zukunft, während ich mich damit befasse herauszufinden, was voraussichtlich geschehen wird. Ich trete für keine besondere Richtung ein. Alles in allem bin ich wohl langweiliger als ein Visionär“, erklärt der 42jährige.
Das IFTF ist eine renommierte gemeinnützige Stiftung, die seit über 30 Jahren kritische Prognosen zu technologischen, demographischen und unternehmerischen Trends anfertigt, um Unternehmen und Regierungsinstitutionen bei einer erfolgreichen Zukunftsplanung zu unterstützen. Als Zukunftsforscher für Technologie widmet sich Saffo hauptsächlich dem Bereich Elektronik, und hier insbesondere der Entwicklung innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre. Je nach Projekt kann jedoch auch ein Zeitraum von bis zu 30 Jahren aktuell sein.
Wir treffen Saffo im Rahmen des New Economy Forum 2000, das im Oktober in Stockholm stattfand. Er präsentiert seine Ideen prägnant und mit dem für ihn typischen Humor.
Ganz in Schwarz gekleidet (mit einem weißen Kragen am Halsausschnitt seines Hemds hätte man ihn für einen Hohepriester der Technologie halten können) sitzt Saffo zurückgelehnt in einem Plüschsessel im Salon des traditionsreichen Stockholmer Grand Hotel und denkt über die ”Neue Wirtschaft” in dieser „Alten Welt“ nach.
„Wir sind gerade erst am Anfang, und schon zeichnet sich ab, welche enormen Auswirkungen der E-Commerce auf Wirtschaft und Handel hat“, sagt er. „Die große Welle steht noch aus. Wir erleben viel Rummel und auch Enttäuschungen, aber es ist der Anfang einer großartigen Entwicklung. Wir integrieren das „E“ in „commerce“, so dass am Ende der Begriff „E-Commerce“ verschwinden wird. Die Digitaltechnik wird die altvertrauten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen aufweichen. Sämtliche Bereiche der Wirtschaft werden vom Cyberspace invadiert werden. Dadurch wird sich alles verändern.“
„Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass es im Cyberspace keine Entfernung zwischen zwei Punkten gibt“ fährt Saffo fort. „Sie können von Ihren potenziellen Kunden 3.000 Kilometer entfernt sein und dennoch mit einem einzigen Klick großartige Handelsmöglichkeiten schaffen. „Dies verschafft kleinen Unternehmen eine einzigartige Gelegenheit, Märkte in einem größeren geographischen Raum anzusprechen.“
Dank ihrer Flexibilität und Kreativität steht diese schöne neue Welt nahezu jedem offen, so Saffo. „Es ist kein Nullsummenspiel. Das Geschäftsumfeld wird insgesamt größer. Wenn ein Unternehmer von der Bildfläche verschwindet, liegt es nicht daran, dass er von der Konkurrenz aus dem Rennen geschlagen wurde. Er ist seine Schuld, wenn er sich nicht beizeiten angepasst und verändert hat. Sieger werden diejenigen Unternehmen sein, die nach neuen Wegen suchen, um Geschäfte zu machen, und die den Herausforderungen mit Fantasie und Kreativität begegnen. Neue Kanäle verlangen nach neuen Produkten und neuen Denkweisen.“
Entscheidend für den Erfolg im digitalen Handel ist, die Annahmen ständig in Frage zu stellen, meint Saffo. „Setzen Sie nie etwas als selbstverständlich voraus. Das Rennen beginnt jeden Tag aufs Neue. Ich will damit nicht sagen, dass die alte Form des Handels passé ist. Im Gegenteil. Viele alteingesessene Unternehmen werden neue Vertriebswege finden und dadurch ihre Effizienz und ihre Chancen verbessern. Wir sehen heute schon, dass Unternehmen von der produktorientierten Linie abrücken und eine mehr serviceorientierte Strategie verfolgen.
„Allgemein kann man sagen, dass sich der Erfolg im E-Commerce aus einer Vielzahl von Merkmalen zusammensetzt. Der Schwerpunkt verlagert sich vom kommerziellen auf den industriellen Sektor.
Man gewinnt Kunden, die man früher nie hätte erreichen können, und die Transaktionskosten sind trotzdem niedriger. Dadurch gerät das Preisgefüge durcheinander.“
Das Geheimnis bei der Arbeit eines Zukunftsforschers ist laut Saffo „nach Dingen zu suchen, die nicht ins Bild passen, nach Ungereimtheiten zu suchen. Die meisten von uns sind bestrebt, alles bestimmten Kategorien zuzuordnen, die wir bereits kennen. Auf diese Weise übersieht man jedoch leicht etwas. Dinge, die nicht ins Bild passen, können unter Umständen ein Indikator für zukünftige Entwicklungen sein.“
Saffo begann seine berufliche Laufbahn als Jurist, eine Erfahrung, die – wie er sagt – für seine heutige Tätigkeit von unschätzbarem Wert ist. „Als Jurist, der sich mit Geschäftsfinanzierungen und Existenzgründungen in Silicon Valley befasste, konnte ich Innovation in der Praxis aus nächster Nähe beobachten, und Innovation ist ein bedeutender Teil meiner Tätigkeit als Zukunftsforscher.“
Was ihm an seiner Arbeit am besten gefällt, ist die Tatsache, „dass man nie weiß, was als Nächstes hereinschneit. Als professioneller Zukunftsforscher muss man ständig auf Überraschungen vorbereitet sein. Und das ist phantastisch. Anstrengend, aber phantastisch.“
Nach Ansicht von Saffo geht der Trend nicht nur dahin, dass zu Hause ein Arbeitsplatz eingerichtet wird, sondern auch, dass das Privatleben zunehmend in das Berufsleben integriert wird. Ein Trend, der durchaus positiv ist, findet er, „weil wir keine andere Wahl haben. Die Geschäftspartner sind oft über mehrere Zeitzonen verstreut. Das heißt, die Arbeit kann heute nicht mehr zwischen 9.00 und 17.00 Uhr erledigt werden. Aber es muss auch noch Zeit für ein Privatleben geben. Das Problem ist nicht die Arbeit zu Hause, sondern die Überstunden zu Hause. Viele nehmen heutzutage Arbeit mit nach Hause und sitzen bis spät in die Nacht. Das muss irgendwie kompensiert werden.“
Er nennt Procter & Gamble in Schweden als Beispiel für ein modernes Unternehmen, das sich bemüht, hier einen Ausgleich zu finden. Das Unternehmen hat Waschmaschinen im Hause, damit die Beschäftigten ihre Schmutzwäsche mit zur Arbeit bringen können. Zwar hat P&G ein spezielles Verhältnis zu Reinigungsmitteln, aber damit waren die arbeitnehmerfreundlichen Maßnahmen keineswegs erschöpft. So wurde unter anderem ein Büro mit einem Ruhebett und einigen Spielzeugen ausgestattet. Wenn also einmal an einem Tag Familie und Beruf nicht in Einklang zu bringen sind, können Eltern ihre Kinder mitbringen.
Eine der Lektionen, die Unternehmer der alten Schule gelernt haben, wird auch im digitalen Zeitalter fortleben, und die lautet: Zufriedene Kunden sind das A und O. Saffo sieht in Amazon.com das perfekte Beispiel. „Man kann sagen was man will über dessen Lagerbestände, aber es ist ein phantastisches Unternehmen, das sich extrem um seine Kunden bemüht und dafür sorgt, dass die Kunden etwas Neues und Spannendes erleben. Hier bieten sich hervorragende neue Möglichkeiten, das gute alte Prinzip des Kundenservice auf die Cyber-Welt zu übertragen, zum Beispiel durch Lesezirkel, Leserrezensionen und eine nie dagewesene Einflussnahme von Seiten der Kunden. Das Unternehmen benutzt die Technologie, um Service zu bieten, aber der Service war immer das Ziel. Auf diese Weise vermischt der E-Commerce das Beste aus der alten und der neuen Welt.“
Amy Brown
Wirtschafts- und Technikjournalistin in Stockholm
Fotos Steve Castillo