PR-Expertin aus Leidenschaft
Anne Gregory, Leiterin von Europas größtem Hochschulinstitut für Public Relations, erklärt Evolution, warum ihr Metzger ein Musterbeispiel für vorbildliche Unternehmenskommunikation ist.
Für Public Relations gelten drei einfache Grundregeln: ehrlich sein, präzise Fakten vermitteln und Zutritt für den PR-Leiter zum Top-Management. Diese Regeln könnten aus einem beliebigen PR-Handbuch entnommen sein, sie stammen jedoch tatsächlich von Ivy Ledbetter Lee, einem amerikanischen Publizisten, der vor 100 Jahren lebte und so legendäre Geschäftsleute wie den Ölmagnaten John D Rockefeller zu seinen Kunden zählte.
Seit Lees Zeiten hat sich die Welt verändert. Aus der Industriegesellschaft ist eine Informationsgesellschaft geworden, auf diesem Weg begleitet von unzähligen kommunikationstechnischen Revolutionen. Die PR-Wirklichkeit hat etwas von ihrem schillernden Flair behalten, obwohl heute eine eher pragmatische Einstellung vorherrscht, die mehr mit Handwerk als mit Wissenschaft zu tun hat (wenn auch mit einem anderen Dresscode!). Dinge ändern sich – und zu diesem Wandel hat Anne Gregory, Expertin im Bereich Unternehmenskommunikation, nicht unwesentlich beigetragen.
Gregory begann in den 1980er Jahren, sich mit Unternehmenskommunikation zu befassen, nachdem sie zuvor war sie als Journalistin für BBC Radio tätig war. Nach zwölf Jahren schlug sie eine akademische Laufbahn ein. Sie gründete an der Leeds Metropolitan University die Public Relations Group, inzwischen die größte und eine der einflussreichsten Institutionen für PR-Studiengänge in Europa.
Heute ist Gregory eine begehrte Dozentin sowie Autorin einer Reihe von Büchern und Skripten über PR und Kommunikation. Trotz ihrer Erfolge ist ihre Leidenschaft für dieses Thema ungebrochen. Manch anderer ist darüber schon zum Zyniker geworden.
„Es ist ein Privileg, mit Kommunikation zu arbeiten, weil sie uns als Menschen definiert“, sagt Gregory im Gespräch mit Evolution. Wir reden über Kommunikation, wie sie heute von Unternehmen betrieben wird.
Wie hat sich die Rolle der Kommunikation im Geschäftsleben im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert?
„Die Unternehmen haben sich in ihrem Charakter grundlegend gewandelt. Früher ging es nur um den ‚Shareholder Value‘, das heißt, das Unternehmen stand vor allem und fast ausschließlich im Dienst seiner Anteilseigner. Heute haben wir es mit einer ‚Stakeholder-Gesellschaft‘ zu tun. Unternehmen definieren sich zunehmend über ihre Kommunikation und das, was sie kommunizieren. Das Aussehen der Gebäude, in denen sie tätig sind, die Art, wie Telefonate beantwortet werden, wie der Kundendienst funktioniert, wie Beschwerden gehandhabt werden – all das gehört zur Unternehmenskommunikation. Sogar die Ausdrucksweise und Kleidung der Mitarbeiter kommunizieren eine Botschaft.“
Die meisten Organisationen sprechen von Offenheit in der Kommunikation, aber werden sie diesem Anspruch auch gerecht?
„Sie müssen sich gezwungenermaßen mit dem Thema auseinandersetzen. Nehmen Sie zum Beispiel die gegenwärtige Situation von BP. Eine Vielzahl von betroffenen Gruppen und Einzelpersonen, deren Meinung für BP von Gewicht ist, verlangen lautstark Rechenschaft, und das Unternehmen kann sich dieser Forderung nicht entziehen. Das war in der Vergangenheit anders, aber die Zeiten haben sich geändert“, erläutert Gregory.
Wie gut hat denn BP die Ölkatastrophe gemeistert?
„In vieler Hinsicht hat sich BP genau richtig verhalten. Kein Wort der Klage, was dieses Desaster dem Unternehmen kostet. Stattdessen hat man nach technischen Lösungen gesucht und alles Erdenkliche getan. Der entscheidende Punkt, der gute von schlechter Kommunikation unterscheidet, ist für mich das Erkennen von Zusammenhängen. Ist sich BP zum Beispiel über die politischen Verhältnisse in Amerika voll im Klaren? Bald stehen Kongresswahlen an. Das ist nur eine Dimension. Hat sich das Unternehmen mit der Kultur der Fischerdörfer am Golf von Mexiko ernsthaft befasst? BP schien gar nicht zu wissen, wie diese kleinen Küstengemeinden leben und hat sich deren Erfahrungen und Kenntnisse nie zunutze gemacht. Man hätte zu den Leuten hingehen müssen und sagen: ‘Ihr kennt die Gegend hier am besten. Wir brauchen eure Hilfe‘, und sie dann in die Lösungsfindung einbeziehen sollen!“
Kennen Sie Beispielefür gute PR- und Kommunikationsstrategien?
„Der Metzger in meinem Vorort ist für mich der beste Kommunikator. Als Geschäftsinhaber kennt er jeden Kunden beim Namen, und sobald man seinen Laden betritt, ist ein Kontakt hergestellt. Er hat mir noch nie ein Stück Fleisch verkauft, das nicht gut war. Er zeigt sich stets interessiert, hat immer Zeit für ein kleines Schwätzchen und er lebt nach seinen Wertvorstellungen. Er nimmt sogar seine unternehmerische Sozialverantwortung wahr, indem er um eine kleine Spende von 50 Pence für wohltätige Zwecke bittet. Als Dankeschön bekomme ich ein Paket Knochen für meinen Hund. Er sammelt jedes Jahr große Summen für Wohltätigkeitsorganisationen, die er genauso gut in die eigene Tasche hätte stecken können. Ich finde, das ist ein schönes Beispiel für ein gutes unternehmerisches Verhalten: nach den eigenen Wertvorstellungen handeln, seine Stakeholders kennen und respektieren und gesellschaftlich korrekt auftreten.“
Als Journalistin haben Sie den gleichen Hintergrund wie viele PR-Profis. Wie hat sich das Verhältnis zwischen PR und dem Journalismus in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
„Ich mache mir Sorgen um den Journalismus. Das Gleichgewicht hat sich zugunsten der Unternehmenskommunikation verändert, weil hier alle Ressourcen stecken. An Zeitungen gehen nur noch anspruchslose Pressemitteilungen oder sie kopieren Artikel, die für sie geschrieben wurden. Das ist aber nicht ihre Aufgabe. Zeitungen und Journalisten sollen von Unternehmen und Organisationen Rechenschaft verlangen. Stattdessen entzieht man ihnen die notwendigen Ressourcen, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Es macht mir Kummer, dass Journalisten Informationen nur noch zusammentragen. Das kann nicht richtig sein. PR-Leute sollten sich für guten Journalismus und eine dynamische Presse stark machen. Das ist ganz wichtig für die Demokratie.“
Gibt es eine Ethik für PR?
„Das hoffe ich doch sehr. Es ist jedenfalls das, was ich lehre, denn ein Unternehmen wird nach seinem Ruf und Werterahmen beurteilt. Niemand will etwas mit einer Organisation zu tun haben, die nicht Integrität als Leitsatz hat. Menschen in die Irre zu führen, ist grundsätzlich falsch und sollte auch niemals Ziel von PR sein.“