Rannveig Rist Maschinenbau, Motoren und Management

alafur Stephensen

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Auch wenn Rannveig Rist als einzige Frau in Island in einem großen Industrieunternehmen die Spitzenposition bekleidet, findet sie die Frage nach dieser Sonderstellung allmählich etwas lästig. „Nichts von dem, was ich tue, hat etwas damit zu tun, daß ich eine Frau bin“, sagt sie. „Mein Geschlecht ist kein Thema und beeinflußt meine Arbeit nicht. Ich bin Ingenieur und Manager, weiter nichts.“Diese knappe Beschreibung enthält eine ganze Menge. Die 36jährige Rannveig Rist ist Vorstandsvorsitzende von ISAL, einem in schweizer Besitz befindlichen Aluminiumhüttenwerk in Straumsvik am Rande von Reykjavik, wo jährlich ein Umsatz von 270 Millionen US-Dollar (486 Millionen Mark) erzielt wird. Dies entspricht zehn Prozent des isländischen Exports.
Frau Rist hat nicht ihr ganzes Berufsleben auf Vorstandsetagen verbracht. Sie begann als Assistentin ihres Vaters, der jeden Sommer im isländischen Hochland hydrologische Untersuchungen durchführte. Sie erinnert sich an lange Fahrten auf schlechten Straßen in unbequemen Autos und an lange Fußmärsche. „Manchmal mußten wir den ganzen Tag lang gehen und noch schwere Geräte mitschleppen. Seitdem scheue ich keine schweren Arbeiten mehr.“
Diese Mühen härteten sie ab für eine Reihe von schwierigen Aufgaben. Bevor sie ihre Universitätsausbildung begann (sie hat einen Abschluß als Maschinenbauingenieur), brach Rannveig Rist an der isländischen Hochschule für Schiffsmaschinenbau eine lange Tradition. Sie war nämlich damals die erste Frau, die an dieser Schule studierte, und ist seit ihrem Eintritt 1983 die einzige Frau geblieben, die dort ein Examen gemacht hat. Später war sie auch die erste Frau in Island, die eine Mechanikerausbildung abschloß. „Es war einfach vorbestimmt, daß ich eine gute Ausbildung bekommen sollte, und Maschinenbau, Motoren und Management waren mein großes Interesse. Ein Hochschulstudium in Maschinenbau war da ein naheliegender Schritt, aber ich befürchtete, daß eine Frau mit einem Abschluß als Maschinenbauingenieur in dieser Branche nie ernst genommen würde. Ich würde ganz einfach gezwungen sein zu beweisen, daß ich einen soliden Hintergrund hatte.“
Zu diesem Hintergrund gehörte auch, daß sie der erste – und bisher einzige – weibliche Schiffsoffizier auf einem isländischen Fischereifahrzeug wurde. Das war keineswegs leicht. „Niemand glaubte, daß ich gut war“, erinnert sich Frau Rist. „Man wollte mich als Koch oder Decksmann anheuern, aber nicht als Offizier. Sieben Trawler verließen den Hafen mit Leuten im Maschinenraum, die eine geringere Qualifikation hatten als ich, bis ich schließlich einen Posten auf einem Trawler von den Westmännerinseln erhielt.“
Nach Abschluß ihrer Universitätsausbildung ging Rannveig Rist in die USA, um an der University of San Francisco (Kalifornien) einen Abschluß als Betriebswirt zu erlangen. Bei ihrer Rückkehr 1989 trat sie eine Stelle bei ISAL als Leiterin der Abteilung Sicherheit und Umwelt an. Sie wurde dann zur Leiterin der Gießerei befördert und übernahm außerdem die Rolle der Unternehmenssprecherin. Als 1996 der Vorstandsvorsitzende Christian Roth in Pension ging, bot ihr die Konzernleitung der schweizer Gesellschaft Alusuisse-Lonza, in deren Besitz sich ISAL befindet, die Nachfolge an, ein Angebot, das sie ohne zu zögern annahm. „Obwohl ich es nicht auf diesen speziellen Posten abgesehen hatte, stand für mich immer fest, daß ich eine einflußreiche Stellung erreichen wollte. Es war keine Frage von Zufall oder Glück.“
Frau Rist gefällt am besten der „menschliche“ Teil ihrer Arbeit. Bei ISAL arbeiten 500 Mitarbeiter in mehreren Schichten rund um die Uhr und produzieren 162.000 Tonnen Aluminium pro Jahr. Wenn Rannveig Rist im Werk herumgeht, trägt sie den gleichen Helm und den gleichen blauen Arbeitsanzug wie jeder andere auch. Sie sagt von sich selbst, sie könne gut Signale deuten, egal ob sie von Maschinen oder Menschen kommen. „Ich liebe meine Arbeit und finde meine Führungsfunktion bei ISAL eine interessante Herausforderung. Ich engagiere mich stark für alles, was ich tue, und ich habe das Glück, mit wirklich guten Leuten zu arbeiten.“
Nach Ansicht von Rannveig Rist hat die Aluminiumindustrie in Island eine rosige Zukunft vor sich. „Wir müssen uns anstrengen, wenn wir in einem Land mit einem solch hohen Lebensstandard Aluminium produzieren wollen“, sagt sie und meint damit, daß man in anderen Ländern Aluminium erheblich billiger herstellen kann. „Aber Island hat billige saubere Wasserkraft, gute Häfen und qualifizierte Arbeitskräfte zu bieten.“ Diese Stärken locken ausländische Investoren an. Ein amerikanischer Aluminiumhersteller, Columbia Enterprises, beabsichtigt, in diesem Jahr dort ein Hüttenwerk mit einer Kapazität von 60.000 Tonnen zu eröffnen. Darüber hinaus verhandelt die isländische Regierung mit mindestens zwei weiteren potentiellen Investoren aus der Aluminiumbranche.
Frau Rist ist auch von ISALs Wettbewerbsfähigkeit innerhalb dieser Industrie überzeugt. Vor einigen Jahren hatte das Hüttenwerk zu viele Mitarbeiter und war nicht gerade umweltfreundlich, erzählt sie. Es wurde ein Programm zur Erhöhung des Automatisierungsgrades und zur Umstrukturierung des Produktionsprozesses eingeleitet, das nun gute Ergebnisse zeigt. Die Produktion wurde gesteigert, und die Zahl der Arbeitskräfte, die benötigt wird, um eine gewisse Menge Aluminium zu produzieren, gesenkt. „Ich glaube, daß die Zukunftsaussichten für ISAL sehr gut sind“, meint Rannveig Rist. „Das Werk hat genau die richtige Größe, was die Lebenserwartung erhöht. Es ist groß genug, um wettbewerbsfähig zu sein, aber Aluminium ist eben nicht gleich Aluminium. Wir müssen uns weiterhin darum bemühen, Spezialprodukte herzustellen und kürzere Lieferzeiten anzubieten.“
Wie ihr Vorgänger Christian Roth engagiert auch sie sich stark für Umweltfragen. Große Industrieanlagen sind immer umstritten, vor allem in einem Land wie Island, das auf seine unberührte Natur sehr stolz ist. Frau Rist ist allerdings davon überzeugt, daß sich die Interessen der Industrie und der Umwelt miteinander vereinigen lassen, insbesondere wenn Schwerindustrie in kleinen Bereichen angesiedelt ist.
In Island gibt es so wenige industrielle Großbetriebe, daß jedes Unternehmen einen entscheidenden Beitrag leisten kann, wenn es um die Durchführung von Umweltschutzmaßnahmen geht. So konnte beispielsweise in der Zeit von 1990 bis 1995 der bei ISAL bewirkte Abbau von Schadstoffemissionen, und hier vor allem bei dem Treibhausgas Fluorchlorkohlenwasserstoff, FCKW, die erhöhten Schadstoffemissionen in anderen Industriezweigen des Landes mehr als ausgleichen.
„Umweltbewußtsein ist in diesem Sektor von großer Bedeutung“, meint Rannveig Rist abschließend. „Man hat in der Vergangenheit Umweltfragen nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet, aber das hat sich nun geändert. Wir wollen an oberster Spitze stehen, wenn es um die Formulierung von Umweltschutzbestimmungen geht. Die Aluminiumproduktion trägt zu einer besseren Umwelt bei, da sich nur wenige Materialien so gut recyceln lassen. Aluminium wird auch das grüne‘ Metall genannt, und das ist einer der Gründe, weswegen der Aluminiumbranche eine vielversprechende Zukunft bevorsteht.“

alafur Stephensen

Journalist bei der isländischen Tageszeitung Morgunbladid

 

 

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