Renaissance für den Schiffbau
Für die Schiffbauindustrie heißt es zurzeit weltweit „volle Fahrt voraus” dank des Wirtschaftswachstums, vor allem in Asien
Für die Schiffbauindustrie heißt es zurzeit weltweit „volle Fahrt voraus” dank des Wirtschaftswachstums, vor allem in Asien
Die Schiffbauindustrie läuft weltweit auf Hochtouren. Von Südkorea, Japan und China, den drei bedeutendsten Schiffbaunationen der Welt, über Rumänien, Brasilien, Norwegen bis Frankreich werden nicht nur mehr, sondern auch immer größere Schiffe gebaut.
Der Schiffbau war immer schon eine konjunkturabhängige Branche. Zurzeit boomt der Industriezweig, da immer mehr Güter aus boomenden Wirtschaftsnationen wie China, Chile und Vietnam auf den Weltmarkt gebracht werden müssen.
Wenn der Welthandel wächst, werden nicht nur mehr Schiffe gebraucht, sondern auch die damit verbundenen Industriezweige profitieren – Häfen, Reedereien, Stahlunternehmen und so weiter. 2004 wuchs zum Beispiel die internationale Containerflotte um 9,8 Prozent auf insgesamt 3.362 Schiffe. Laut BRS-Alphaliner, dem führenden Informationsdienst der Schifffahrtsbranche, soll die Zahl der Containerschiffe bis 2008 um 14 Prozent pro Jahr steigen.
„Nach dem Katastrophenjahr 2001 war 2002 ein Jahr der Erholung. Erst 2003 war die Branche wieder völlig gesundet“, schreibt BRS-Alphaliner in seinem Geschäftsbericht 2004 über den Containermarkt. „2004 war ein Jahr der Superlative. Die Schifffahrt hat einen Boom erlebt, wie es ihn seit Anfang der 1970er Jahre nicht mehr gegeben hat.“ Nicht bestätigte Schiffbaudaten deuten auf eine ebenso positive Entwicklung in 2005 hin.
Im selben Geschäftsbericht ist zu lesen, dass die Zahl der Containerschiffe mit einer Kapazität von 7.500 TEU (Twenty-foot Equivalent Unit = Zwanzigfuß-Containereinheit, ungefähr die Größe eines Containers) oder mehr um nahezu 50 Prozent pro Jahr zunehmen wird – von 49 Anfang 2005 auf 226 in 2009.
Im Januar 2005 kündigte der internationale Schiffbaugigant, Hyundai Heavy Industries (HHI), den Bau von vier der weltweit größten Containerschiffe mit jeweils 10.000 TEU an. Der Besteller ist Cosco Asia, Chinas größte Reederei mit einer Flotte von 600 Schiffen. Die vier Ozeanriesen werden angesichts ihrer gigantischen Ausmaße von 349 Metern Länge, 45,6 Metern Breite und 27,2 Metern Gesamthöhe weder den Suez-Kanal noch den Panama-Kanal befahren können. Sie erreichen die beachtliche Geschwindigkeit von 48 Kilometer pro Stunde.
Die Nachfrage nach immer größeren Schiffen basiert auf der Annahme, dass die Schifffahrtindustrie weiterhin im gleichen Tempo wachsen wird wie die chinesische Wirtschaft, also offiziell um jährlich 9,4 Prozent (inoffiziell geht man von höheren Raten aus). Dies gilt vor allem für Langstreckenrouten zwischen Asien und Europa beziehungsweise Nordamerika.
Das größte Containerschiff, das bisher gebaut wurde, fasst 8.200 Container oder TEU. Es stammt ebenfalls von HHI und steht im Dienst der deutschen Hapag Lloyd AG. HHI hat Aufträge für 35 solcher übergroßen Containerschiffe erhalten und kontrolliert damit 35 Prozent dieses Wachstumsmarkts.
„Bei den globalen Reedereien geht der Trend in Richtung extrem große Containerschiffe, um den wachsenden Welthandel über die Schifffahrt abwickeln zu können“, sagt Hwang Moo-soo von HHI. „Wir arbeiten zurzeit an der Entwicklung von Technologien, die den Bau von noch größeren Schiffen mit über 12.000 TEU ermöglichen.“
Schiffe dieser Größenordnung erfordern jedoch Häfen mit entsprechender Gewässertiefe. Der Hafen von Melbourne, der größte Containerhafen Australiens, musste 2002 die Hafenzufahrten vertiefen, da die Superschiffe einen Tiefgang von 13 Metern erreichen, während die Gewässertiefe nur elf bis zwölf Meter je nach Gezeitenstand hatte.
Im Dezember 2005 kündigte Shanghai, China, den Bau der ersten Etappe eines gigantischen Hafenbauprojekts an. Es handelt sich um den wahrscheinlich größten Containerhafen der Welt, eine gewaltige Hafenanlage auf einer Insel 32 Kilometer vor der Küste.
Der Yangshan-Tiefseehafen wird Supertanker aufnehmen können und Shanghai zum weltweit größten Containerhafen machen. Bisher waren Hongkong und Singapur die Spitzenreiter. Geschätztes Umschlagvolumen 2020: 20 Millionen TEU (oder 20 Millionen Container). Das entspricht einer Verdreifachung des heutigen Güterumschlags in Shanghai.
Aber nicht nur Chinas Häfen werden größer. Die Schiffbauindustrie des Landes überholte schon 1995 die deutsche und liegt seit einigen Jahren bei einer konstanten Wachstumsrate von 17 Prozent pro Jahr. Im Juli 2005 gab China bekannt, dass man auf der Insel Chanxing vor Shanghai den Bau der weltweit größten Werft plane. Es ist ein weiterer wichtiger Schritt in Chinas Bestreben, die größte Schiffbaunation der Erde zu werden. China baut heute 15 Prozent der gesamten Schiffstonnage in der Welt und rangiert damit auf dem dritten Platz hinter Südkorea und Japan.
Auch in anderen Ländern nimmt die Schiffbaukapazität zu. In Brasilien beteiligt sich das staatliche Unternehmen Petrobas an einem Großgeschäft mit einheimischen Werften, bei dem es um den Bau von 42 Tankern geht. Für Präsident Luiz da Silva stand die Sicherung von Arbeitsplätzen in Brasilien im Vordergrund („Build Brazilian“). Das Geschäft wird wesentlich dazu beitragen, eine seit Ende der 1990er Jahre praktisch tote Industrie zu neuem Leben zu erwecken.
In Europa bewegt sich ebenfalls einiges. Anfang 2006 wurde bekannt, dass sich der französische Alstom-Konzern mit Norwegens Aker Yards zu einem Schiffbaugiganten zusammenschließt. Alstom besitzt die berühmte Werft Chantiers de l’Atlantique im französischen
St Nazaire.
Auch der osteuropäische Schiffbau reitet auf der Erfolgswelle mit. Die Werft von Daewoo Mangalia Heavy Industries, die in Mangalia an der rumänischen Schwarzmeerküste gelegen ist, erhielt im April 2005 von Deutschland Aufträge im Wert von 850 Millionen US-Dollar (rund 710 Millionen Euro) zum Bau von zehn Containerschiffen.
Nach Ansicht von Martin Stopford vom Erasmus Centre for Maritime Economics and Logistics an der Erasmus University School of Economics im holländischen Rotterdam hat die Schiffbauindustrie in den letzten 20 Jahren eine außerordentliche Entwicklung erlebt.
„1988 lag das Produktionsvolumen bei kümmerlichen 15,2 tdw (tons dead weight) und führte dazu, dass die Schiffbauindustrie den Stempel ‚Sunset Industry’ (Untergangsindustrie) erhielt“, meint Stopford. „Seitdem ist der Schiffbau um zehn Prozent pro Jahr oder mehr gewachsen. Die Branche gilt heute als eine der bedeutenden Wachstumssektoren in der Welt, und die Werften gehen offenbar einer sonnigen Zukunft entgegen. Inzwischen spricht man beim Schiffbau von einer ‚Sunrise Industry’ (Aufstiegsindustrie).“