Rennen um Marktanteile

Wenn Aprilias Motorräder wieder einmal einen Rennsieg davontragen, sieht das italienische Unternehmen darin gleichzeitig einen MarkterfolgDie tiefschwarze Farbe eines Aprilia-Motorrades sieht möglicherweise neben Ferraris blutrotem Blechgewand etwas blaß aus, aber im Juni 1999, als das Aprilia-Team sowohl in der 125-Kubikzentimeter- als auch in der 250er-Klasse den Grand Prix von Italien gewann, spielte das für die Motorradfans keine Rolle mehr.

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Wenn Aprilias Motorräder wieder einmal einen Rennsieg davontragen, sieht das italienische Unternehmen darin gleichzeitig einen MarkterfolgDie tiefschwarze Farbe eines Aprilia-Motorrades sieht möglicherweise neben Ferraris blutrotem Blechgewand etwas blaß aus, aber im Juni 1999, als das Aprilia-Team sowohl in der 125-Kubikzentimeter- als auch in der 250er-Klasse den Grand Prix von Italien gewann, spielte das für die Motorradfans keine Rolle mehr.

Tausende von Italienern griffen nach der nächstbesten rot-weiß-grünen Flagge, strömten auf die Rennbahn von Mugello und stürzten sich auf den Sieger Valentino Rossi, so daß dieser fast von seinem Aprilia-Motorrad herunterfiel. „Die jungen Italiener sind völlig verrückt auf Aprilia“, sagt der Journalist Filippo Falsaperla, der bei Gazetto dello Sport über Motorradrennen schreibt. „Fahrer wie Rossi und Marco Melandri (125er Klasse) sind bei den italienischen Teenagern die großen Helden.

Obwohl Aprilias Motorräder erst 1985 auf Initiative des Konzernchefs Ivano Beggio im Grand-Prix-Zirkus Einzug hielten, hat Aprilia bereits das Erbe von Italiens langjähriger Erfolgstradition im Zweiradsport übernommen.

28 Siege, darunter zwölf Weltmeisterschaftstitel (neun in den letzten fünf Jahren) und vier Markentitel gehen auf das Konto des italienischen Motorradherstellers. „Wir sind die einzige europäische Marke, die bei WM-Rennen mit den japanischen Giganten mithalten kann.“, sagt Beggio.

Erfolgsspirale

In der diesjährigen Saison nahm Aprilia an allen drei Motorradweltmeisterschaften sowie an der Superbike-Weltmeisterschaft teil. Allein in der Klasse bis 250 Kubikzentimeter starteten sieben Motorräder für das Aprilia-Rennteam. 1998 erzielte das Unternehmen einen Jahresumsatz von einer Billion Lire (rund eine Milliarde DM oder 519 Millionen Euro).

„Für Aprilia ist der Erfolg auf der Rennbahn und der Markterfolg dasselbe: Der eine bringt den anderen mit sich“, meint Beggio. „Dank unserer zwölf WM-Titel ist die Marke Aprilia jetzt überall in der Welt bekannt.“

Angesichts des verkaufsfördernden Effekts der internationalen Rennerfolge schätzt man, daß alle zwei Minuten irgendwo in der Welt ein Aprilia-Motorrad verkauft wird. Die Produktion ist von 50.000 Stück 1991 auf 300.000 im Jahre 1998 angestiegen, was als natürliches Nebenprodukt von Aprilias Erfolgsspirale zu werten ist. Ungefähr die Hälfte aller Motorräder gehen an Märkte außerhalb Italiens, weswegen Aprilia mittlerweile Niederlassungen in Frankreich, Deutschland, Spanien, Holland, Großbritannien, Amerika und Brasilien betreibt.

Aprilias Geschäftsbereich Motorsport hat seinen Sitz in Noale, die Hauptfabrik befindet sich jedoch in Scorzè. Beide Orte liegen im Herzen der Region Veneto im Nordosten Italiens. In dem kürzlich modernisierten Noale-Werk bietet sich dem Besucher der beeindruckende Anblick von 20 rechnergestützten Testkabinen, in denen die Ingenieure Stress und Belastung eines virtuellen Grand-Prix-Rennens simulieren können.

Vom bescheidenen Moped

In den siebziger und achtziger Jahren hätte kaum jemand geglaubt, daß der Newcomer unter den Motorradherstellern so bald in die Fußstapfen der anderen großen italienischen Marken wie Moto Guzzi oder Ducati treten würde. Beggios Vater gründete Aprilia in den siebziger Jahren als bescheidene Mopedfabrik, und nur das leidenschaftliche Interesse seines Sohnes für Moto-Cross ließ damals die glorreiche Zukunft des Unternehmens ahnen. Selbst als Ivano seine ersten Versuche bei Rennen in der 250er-Klasse unternahm, gab es noch keinen Hinweis darauf, daß Aprilia erfolgreich sein würde. Das Rennteam lief unter dem Namen Aprilia, obwohl das Motorrad einen österreichischen Motor hatte. Der Pilot Loris Reggiani landete auf einem der hinteren Plätze.

Wie Filippo Falsaperla vom Gazetto dello Sport erzählt, begann Aprilias Erfolgskurs im Jahre 1990, als Jan Witteveen Chefkonstrukteur des Motorsportsegments wurde. Der Holländer setzte rasch die innovativen Konstruktionspläne und technischen Lösungen in die Praxis um, die Beggio immer für seine kommerziellen Motorräder angestrebt hatte, und übertrug dieselbe Logik auf den Motorsportbereich. „Wenn Aprilia an den Japanern vorbeiziehen wollte, schloß Witteveen, mußte das Unternehmen seinen eigenen Weg gehen“, erinnert sich Falsaperla.

Das Ergebnis war eine Reihe von extrem innovativen Karosserie- und Motorlösungen wie etwa ein optimiertes Verfahren für die Luft-/Kraftstoffmischung im Brennraum. Witteveens Neuerungen waren der Auftakt zu der erfolgreichsten Periode in Aprilias Rennsportgeschichte. 1992 gewann Alex Gramigni den WM-Titel in der 125er-Klasse, und 1994 gelang dem Team direkt ein doppelter Triumph: Max Biaggi trug den Sieg in der 250er-Klasse und Kazuto Sakata in der 125er-Klasse davon.

Witteveens technologische Innovationen aus dieser Saison haben Aprilia Erfolge in der 125er, 250er- und 500er-Klasse eingebracht. Der Japaner Tetsuya Harada fährt ein zweizylindriges Aprilia-Modell.

Flexibilität ein Vorteil

Im Laufe der Jahre hat sich außerdem gezeigt, daß Aprilias bescheidene Anfänge als kleine Mopedfabrik dem Unternehmen heute einen wichtigen Vorteil bringt, nämlich Flexibilität. Als sich die Motorradfans für Aprilia zu interessieren begannen, stellten sie überrascht fest, daß dieselbe Innovationsfreudigkeit und Flexibilität, die das Unternehmen im Rennsport an den Tag legte, auch bei den kommerziellen Motorrädern zu beobachten war. Aprilia bietet die gesamte Palette, von 50ccm-Motorrollern bis hin zu schweren Superbikes, an.

„Der Rennsport ist nicht nur ein Weg, um unsere Verkaufszahlen anzukurbeln“, so Beggio. „Wir sind davon überzeugt, daß wir durch die Entwicklung von Motorrädern für den Rennsport unseren Kunden ein besseres Produkt anbieten können. So war es in der Vergangenheit und so wird es auch in Zukunft bleiben.“

Aprilias technologische Fortschritte hätten allerdings vermutlich nicht die gleichen Auswirkungen auf die Verkaufszahlen gehabt, wenn das Unternehmen nicht die richtigen Fahrer engagiert hätte, um die Rennen zu gewinnen. Hier setzte Aprilia ebenfalls einen neuen Trend. Fest entschlossen, den verkaufsfördernden Effekt von Weltmeisterschaftserfolgen maximal auszunutzen, sucht sich Aprilia Fahrer aus, die den Markt ansprechen.

Im Laufe der Jahre hat das Unternehmen bewußt junge Talente wie Biaggi, Gramigni und kürzlich Rossi gefördert, um sich ein breiteres Publikum für seine Produkte zu verschaffen. Für alle Rennmotorräder von Aprilia gibt es eine entsprechende Straßenversion auf dem Markt. Rossi, dessen rebellisches Image bei den Teenagern in ganz Italien zu einem Kult geworden ist, wirbt für eine neue Serie von Motorrollern, ein Segment, das bei Aprilia zu den umsatzstärksten gehört.

Eine derartige Produktvielfalt wird durch eine Unternehmensstruktur ermöglicht, die auf der koordinierten Fertigung einer Reihe von kleinen Firmen beruht. Während sich die Bereiche Planung, Marketing, Forschung und Entwicklung sowie Qualitätskontrolle auf Noale und auf das Werk von Scorzè konzentrieren, hat man die Bauteilfertigung auf ein Netz von kleineren und mittelgroßen Zulieferern verteilt.

Um seine Spitzenposition in der Branche zu behaupten, arbeitet Aprilia überdies mit der technischen Fakultät der Universität von Padua zusammen mit dem Ziel, einen Aufbaukurs in Motorradtheorie und –technik einzurichten. Ähnliche Initiativen wurden bereits in Zusammenarbeit mit der Universität von Venedig und der renommierten Bocconi-Universität in Mailand ergriffen.

Als Moto Guzzi 65 Markenmeisterschaften gewonnen hatte, zog sich das Unternehmen im Jahre 1957 vom Rennsport zurück. Bisher gibt es noch keine Anzeichen dafür, daß Aprilia diesem Beispiel folgen könnte. Beggio meint dazu: „Ich bin sicher, daß unser Rennteam in der Lage sein wird, die Fahne für italienische Motorradtechnik hochzuhalten, und zwar nicht nur auf der Rennbahn, sondern auch auf den Märkten in allen Teilen der Welt.“

Chris Endean

Korrespondent für Sunday Telegraph in Rom

Foto Aprilia

 

 

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