Richard Branson

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Virgin – die Macht des MarkenzeichensSir Richard Branson , Milliardär und Gründer von Virgin Records saß, im Dezember letzten Jahres an einem Donnerstag Nachmittag im Schlafzimmer seines Hauses im Westteil Londons. Er war zu nervös, um in sein Büro hinunterzugehen, wo John Jackson, der beim Lizenzgebot von Bransons People’s Lottery eine wichtige Rolle gespielt hatte, neben dem Faxgerät wartete. Um 16.01 Uhr kam die Nachricht, dass Branson die Lottolizenz für Großbritanniens National Lottery nicht bekommen hatte.
   In der unteren Etage standen Familienmitglieder, Journalisten und Mitarbeiter von People’s Lottery bereit, um die Champagnergläser zu füllen und auf Branson und seinen Erfolg anzustoßen. Als plötzlich jemand flüsterte, dass People’s Lottery die Lizenz an den bisherigen Lottoveranstalter Camelot verloren habe, fiel eine Kiste Champagner zu Boden und einige Mitarbeiter begannen zu weinen. Was ein Freudenfest werden sollte, verwandelte sich in eine Trauerstunde.

   Jeder andere hätte in einer solchen Lage aufgegeben, aber die Mitteilung, die Branson auf dem Handy von Camelots Geschäftsführerin hinterließ, macht seinen unverbesserlichen Optimismus deutlich. „Ihr braucht kein Mitleid mit mir zu haben“, richtete er Dianne Thompson aus. „Ich habe gerade eben festgestellt, dass ich von meinem Büro aus eine herrliche Aussicht habe.“ Innerhalb weniger Tage kündigte er ein nicht kommerzielles Spiel an, das der National Lottery Konkurrenz machen sollte.
   Das überraschte keineswegs. Immerhin hatte es die Welt mit einem Mann zu tun, der schon mehrmals in einem Ballon vom Himmel gefallen war und 1985 beinahe ertrunken wäre, als sein Rennboot bei dem Versuch sank, die Blue Riband-Auszeichnung zu gewinnen. Ein Jahr später holten er und seine Mannschaft den Preis für die schnellste Atlantiküberquerung in einem Ballon.
   Branson hatte eine glückliche Kindheit. Sein Vater Ted, von Beruf Anwalt, unterstützte ihn auf seine ruhige Art, während seine temperamentvolle Mutter Eve in ihm und seinen beiden Geschwistern die Abenteuerlust erweckte. „Fernsehgucken durften wir nicht“, erinnert er sich. „Sie sagte immer: ‚Mach’ was Aktives stattdessen!‘“
Die Schule war für Branson ein Alptraum. Seine Dyslexie war für ihn ein großes Problem, und was es mit Mathematik auf sich hatte, verstand er erst, als er sich im Alter von zwölf Jahren erstmalig unternehmerisch betätigte. Er pflanzte Tausende von Fichtensämlingen und war fest davon überzeugt, er würde mit dem Verkauf von Weihnachtsbäumen ein Vermögen machen (leider fraßen Kaninchen alles weg). Als er 17 Jahre alt war, verließ er die Schule mit einem schlechten Zeugnis. Noch heute hat er die Worte seines Rektors im Ohr: „Richard, du landest entweder im Gefängnis oder wirst Millionär.“
   Dem Rektor war zweifellos Bransons Erfolg bei der Herausgabe der Schülerzeitung Student 1968 nicht entgangen. Er produzierte die Zeitung sogar noch, als er die Schule bereits verlassen hatte. Von den starren schulischen Regeln und Vorschriften frustriert, veranlassten ihn die aufblühenden Studentenunruhen der späten sechziger Jahre zur Herausgabe einer eigenen Schülerzeitung. Seine penetranten Bemühungen, bekannte Persönlichkeiten zu Interviews in seiner Zeitung zu bewegen, zahlten sich aus.
   1971 verkaufte Branson Schallplatten zu Niedrigpreisen, indem er im Student für seinen Schallplattenversand warb. Das winzige Verlagsbüro war bald mit Aufträgen überflutet, und kurze Zeit später wurde der erste Plattenladen von Virgin Records eröffnet. Der Rest ist Geschichte.
Im Alter von 50 hat Branson ein Vermögen von einer Milliarde Dollar angehäuft, und das mit Geschäften, über die Wirtschaftsstrategen nur abwertend die Nase rümpfen. Er hat es immer vorgezogen, die betriebliche Organisation seiner jeweiligen Geschäfte im kleineren Stil zu halten, und war am Aufbau von Großunternehmen wenig interessiert. Sein Virgin-Firmenzeichen ist auf Handys, Kondomen, Computerspielen und sonstigen Produkten sowie an Restaurants und Hotels wiederzufinden. Er peilt etablierte Branchen mit alteingesessenen Unternehmen an, wie zum Beispiel Fluggesellschaften, die Plattenbranche oder den Einzelhandel, und geht dann zum Angriff über. Seine enorme Publicity hat Großbritanniens idealistischer Magnat einer Reihe von halsbrecherischen Kunststücken sowie seinem unverblümten natürlichen Auftreten zu verdanken. Deshalb erstaunt es wenig, dass unter den Managern bei Virgin ständig der Witz kursiert, sie würden dafür bezahlt, ihren Chef bei seinen wildesten Ideen etwas zu zügeln.
   „Er geht enorme Risiken ein und hat keine Angst vor Fehlschlägen“, kommentiert der Manhattaner Entertainment-Anwalt, Elliot Hoffman, der Branson beim Aufbau von Virgin Records in den USA half. „In den meisten Fällen warfen seine Risiken beachtliche Erträge ab. Er hat die Einstellung ‚Ich schaffe das‘. Für Richard ist das Leben keine Kostümprobe, sondern etwas Reales.“
   Ein Kommentator der Finanzwelt formulierte es kürzlich so: „Virgin hat in der Regel Erfolg, weil Branson das Alltägliche, das Banale auf spektakuläre Weise gut macht und weil er ein nahezu untrügliches Geschick besitzt, zu Kunden, vor allem zu den jüngeren, eine Beziehung aufzubauen. Sein ausgeprägter Geschäftssinn wird noch durch die Fähigkeit ergänzt, die Leute zu motivieren, die für ihn arbeiten.“ Und wer würde nicht gerne für ihn arbeiten? Branson sorgt dafür, dass jeder bei Virgin genauso viel Spaß hat wie er selbst. „Ein Produkt oder eine Dienstleistung muss etwas lustiges oder freches an sich haben“, sagt er. „Wir haben festgestellt, dass die Leute wesentlich besser darauf ansprechen als auf die voraussehbaren geraden Aussagen unserer Konkurrenten, selbst wenn es um so etwas Trockenes wie Finanzdienstleistungen geht.“
   Trotz seiner Waghalsigkeit ist Branson so traditionell wie ein englischer Five-o-clock-tea, wenn es um das Wichtigste seines Imperiums geht – das Markenzeichen. Er glaubt auf die gleiche Weise an die Kraft von Markenzeichen wie die multinationalen Konzerne Coca-Cola und McDonald‘s. „Ich bin davon überzeugt, dass es für die Kraft eines Markenzeichens keine Grenzen gibt, wenn es nur richtig eingesetzt wird“ bemerkte er einmal.
   Trotz des Prominentenstatus leben Branson und seine Frau Joan ein bescheidenes Leben. Joan kocht am liebsten selbst und distanziert sich von den Virgin-Geschäften. Ihre beiden Kinder haben örtliche Schulen besucht. Die Wochenenden verbringt die Familie in ihrem schlichten Haus in Oxfordshire und die Wochentage in ihrer Wohnung im Westteil Londons. „Obwohl ich während meiner beruflichen Laufbahn aus den verschiedensten Gründen viele Erfolge verbuchen konnte, ist meine Familie für mich immer das wichtigste in meinen Leben geblieben“ schrieb er in seiner Autobiographie.
   Diesem bescheidenen Familienleben in Kombination mit seiner Einstellung, Anwalt der Verbraucher sein zu wollen, hat Branson seine Popularität bei den Briten zu verdanken.

   Nach Ansicht seiner Kritiker, die in der Regel seine Konkurrenten sind, verbirgt sich jedoch hinter dem vertrauenserweckenden Lächeln eine Schattenseite.
   Etwas Geheimnisvolles liegt über seinen Geschäftsaktivitäten. Aktuelle Informationen über seine Geschäfte zu bekommen, ist nicht leicht, da sie nicht in einen Konzern eingebunden sind, sondern vielmehr von überseeischen Kapitalgesellschaften getätigt werden, vorzugsweise in irgendwelchen Steuerparadisen, wo keine Verpflichtung zur Veröffentlichung von Bilanzen besteht. Registrierte Aktionäre gibt es auch nicht.

   Trotz seiner unternehmerischen Erfolge behauptet Branson, für ihn kämen die Verbraucher und seine „Virgins“ an erster Stelle. „Letztendlich geht es um Menschen“, sagte er in einem Interview im Forbes Magazine. „Nichts [anderes] ist auch nur annähernd so wichtig.“
Christine Aziz  
Journalistin in London  
Fotos Mike Collins Studio

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