Schwimmende Engel

Auf den Öltankerrouten in Alaska wachen kraftvolle Schlepper über ihre großen Brüder

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Die Natur setzt uns gerne ihren Launen aus, damit wir ihre Gaben zu schätzen lernen.

Ein gutes Beispiel ist die komplexe und schwierige Aufgabe, Rohöl von den arktischen Ölvorkommen in Alaska in die „Lower 48“, also in die 48 Staaten der USA südlich von Kanada, zu bringen.

Zunächst fließt das Rohöl durch die 1.300 Kilometer lange Trans-Alaska-Pipeline zum Ölterminal in Port Valdez im Süden Alaskas, wo es auf gut 300 Meter lange Tanker verladen wird. Die schwer beladenen, tief liegenden Ungetüme begeben sich dann in Richtung Süden und nehmen Kurs auf Häfen an der amerikanischen Westküste.

Bis sie ihr Ziel erreichen, müssen sie jedoch eine wahre Hindernisbahn überwinden. Nach dem Auslaufen aus dem Hafen von Port Valdez passieren sie zunächst die Valdez-Enge, die auf gefährliche 500 Meter Breite schrumpft – extrem wenig Platz für einen Tanker, wenn dieser zum Beispiel durch mechanische Probleme manövrierunfähig wird. Als nächstes durchqueren die Tanker den Prince-William-Sund, ein phantastisches Gebiet von über 40.000 Quadratkilometern mit Fjorden und engen Buchten. Weiter südwärts auf der Route gilt es, die trügerischen Gewässer um Middle Rock zu bewältigen, bevor sie den Columbia-Gletscher erreichen, von dem ständig gewaltige Eisschollen abbrechen. Außerdem müssen sie auf der gesamten Strecke auch ab und zu verirrten Fischerbooten und herumtreibenden Netzen ausweichen.

Hinzu kommt die ständige Angst vor einem Maschinenschaden. Bei einem Ausfall der Antriebs- oder Steuerungsanlage könnte der Tanker auf Grund laufen und Leck schlagen. Tausende oder sogar Millionen Barrel Rohöl würden dann ins Meer gelangen. Die Havarie des Tankers Exxon Valdez 1989 ist allen noch in lebhafter Erinnerung.

Diese Risiken sind heute jedoch erheblich geringer, dank neuer Tankerkonstruktionen, moderner Sicherheitsverfahren und einer Flotte von Schutzengeln, jenen Schleppern, die einfahrende Schiffe sicher bis an die gewaltigen Ladebrücken lotsen, wo sie mit Rohöl befüllt werden, und beladene auslaufende Tanker bis auf das offene Meer hinaus begleiten.

„Alles in allem sind die Gefahren auf See heutzutage minimal“, meint Lawrence Hill, Kapitän des Hafenschleppers Attentive. „Natürlich gibt es einige Herausforderungen, aber meistens verläuft alles ziemlich ereignislos, und so soll es auch bleiben.“

Die neuen Tanker- und Schleppergenerationen leisten einen wichtigen Beitrag dazu.

Rumpf im Rumpf
Nehmen Sie einen Schuhkarton und setzen Sie Trennwände ein – zwei parallel zu den Längsseiten und fünf parallel zu den Querseiten. So ungefähr sieht das Innere eines modernen Tankers aus. Wären Tanker leere Hüllen, würde das geladene Rohöl herumschwappen und das Schiff hin- und herschaukeln lassen. Es wäre dann sehr schwierig, den Tanker zu navigieren. Die Trennwände sorgen für eine Stabilisierung der Ladung.

Die neueren Doppelhüllentanker – jeweils mit einem Rumpf im Rumpf und einem Hohlraum dazwischen – minimieren das Risiko, im Falle einer Havarie Öl zu verlieren. Bei einer Kollision oder wenn das Schiff auf Grund läuft, wird vielleicht der äußere Rumpf beschädigt, aber der innere Rumpf hält das Schiff über Wasser und schützt die Ladung.

Trotz stabiler Bauweise muss der Rumpf eines Tankers flexibel sein. Bei einer zu starren Konstruktion, die die Gier-, Stampf- und Rollbewegungen des Schiffes bei hohem Wellengang nicht absorbiert, könnte der Rumpf zerbrechen. Doppelhüllentanker hängen selbst bei Stillstand in der Mitte bis zu einem halben Meter durch.

Auch die Schlepper des 21. Jahrhunderts sind hoch entwickelte Schiffe – größer und kraftvoller, als es sich die meisten „Landratten“ so vorstellen.

„Die Schlepper von heute haben nahezu genauso viele PS wie einige Öltanker“, sagt Nathaniel F. Leonard, genannt „Frosty“, der bei Crowley Marine Services Inc in Valdez für den Seeverkehr zuständig ist. Crowley Marine Services hat einen Vertrag mit der Alyeska Pipeline Service Company, um Tanker zu eskortieren und bei Unfällen Ölbekämpfungsmaßnahmen zu ergreifen. Crowley erfüllt diese Aufgabe im Rahmen seines „Ship Escort Response Vessels System“ (SERVS).

Das Unternehmen unterhält eine Flotte von Schleppern und Ölbekämpfungsschiffen, darunter fünf der stärksten und fortschrittlichsten Schlepper der Welt.

Die drei Schlepper zur Verhinderung und Bekämpfung von Ölunfällen – Alert, Attentive und Aware – sind etwa 40 Meter lang und werden von Messern angetrieben, die an einer frei drehenden Platte angeordnet sind. Durch Ansteuern der einzelnen Messer kann der Schlepper in jede Richtung, auch seitwärts, manövriert werden. Alle Schlepper sind mit 10.000-PS-Motoren und etwa 600 Metern Ölschlängel ausgestattet, um gegebenenfalls einen Ölteppich auf der Meeresoberfläche einzugrenzen. Darüber hinaus verfügen die Schlepper über so genannte „Skimmers“, Pumpen, die das ausgelaufene Öl aufsaugen können. Jedes Schiff ist leuchtend gelb gestrichen, damit es jederzeit gut sichtbar ist.

Zu Crowleys Alaska-Armada gehören auch die hellroten ETTs (Enhanced Tractor Tugs), Nanuq und Tanerliq. Die 45 Meter langen Schiffe sind mit einem 10.000-PS-Antrieb ausgestattet und ebenfalls in alle Richtungen manövrierbar.

„Jedes Schiff ist rund um die Uhr im Einsatz“, erklärt Leonard, „und hat eine Besatzung von sechs Leuten, die alle von der Küstenwache zugelassen sind.“

Sichere Fahrt
Zweifellos atmet jedes Crowley-Besatzungsmitglied erleichtert und zufrieden auf, wenn am Ende eines Eskortiereinsatzes der auslaufende beladene Tanker sicher das offene Meer ansteuert. Niemand ist betrübt, wenn wieder einmal alles ereignislos abgelaufen ist.


Einfache Rechnung

Rohöl aus Alaska ist nur eine Sorte von vielen. Tatsächlich variieren die Rohölsorten von Ölvorkommen zu Ölvorkommen, was das Leben der Ölproduzenten und derer, die Öl zu Benzin, Heizöl und anderen petrochemischen Produkten verarbeiten, erschwert.

Rohöl gibt es in vielen verschiedenen Versionen – von leichten, dünnflüssigen Sorten bis schwere, dickflüssige Restprodukte (den „Bodensatz aus dem Ölfass“).

„Was die Sache verkompliziert, ist der im Rohöl enthaltene Schwefel, der das Produkt verunreinigt“ erklärt Michael Lobue, der beim American Petroleum Institute für Raffinierungsfragen zuständig ist. „Er muss bei der Verarbeitung von Öl zu Kraftstoff entfernt werden, damit die Motoren nicht rosten, und aus den Schornsteinen der Raffinerien beseitigt werden, damit er die Luft nicht verpestet.“

Raffinerien wollen  Rohöle, die leicht (dünnflüssiger) und süß (mit geringem Schwefelgehalt) sind. Solche Rohöle sind einfacher und billiger zu raffinieren, aber sie sind teurer und immer schwieriger zu finden.

Die „sauren“ (hoher Schwefelgehalt), „schweren“ Öle sind zwar billiger, aber schwieriger und kostenaufwändiger zu raffinieren. Sie zu Benzin oder Düsentreibstoff zu verarbeiten, erfordert zusätzliche Schritte.

Die Raffinerien stehen also vor der Alternative: Entweder für das süße, billiger zu raffinierende Rohöl einen teureren Preis zu bezahlen oder das saure Rohöl günstiger einzukaufen und stattdessen in entsprechende Ausrüstung zu investieren, um es zu raffinieren.

 

 

 

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