So entstehen Krisen
Finanzkrisen sind nichts Neues. Die aktuelle hat vieles gemeinsam mit früheren Krisen, obgleich ihr Ausmaß nur noch mit der Großen Depression von 1929 vergleichbar ist. Finanzkrisen haben jedoch eine Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte, und das ist vielleicht der Grund, warum sie immer wiederkehren und die Experten überraschen
Finanzkrisen sind nichts Neues. Die aktuelle hat vieles gemeinsam mit früheren Krisen, obgleich ihr Ausmaß nur noch mit der Großen Depression von 1929 vergleichbar ist. Finanzkrisen haben jedoch eine Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte, und das ist vielleicht der Grund, warum sie immer wiederkehren und die Experten überraschen
Obwohl es bereits vor mehr als einem Jahr erste Anzeichen für eine globale Finanzkrise und einen drohenden Konjunkturrückgang gab, traf die volle Wucht der Krise die internationalen Finanzmärkte erst im September 2008. Was seither geschehen ist, wird man später einmal in den Wirtschafts- und Finanzlehrbüchern nachlesen können. Das Kapitel über die exakten Auswirkungen der Finanzkrise auf die reale Wirtschaft ist allerdings noch nicht geschrieben.
Die aktuelle Krise begann damit, dass die Immobilienblase platzte und die bis an die Grenzen ihrer Kapazität belasteten Finanzinstitute ihre Fremdverschuldung abbauen mussten. Finanzkrisen sind jedoch meist auch eine Bedrohung der globalen oder regionalen Wirtschaft, und genau wie die Wirtschaft und das Finanzsystem selbst entwickeln solche Krisen eine Eigendynamik.
Konkreter ausgedrückt sind die derzeitigen Tumulte auf den Finanzmärkten eine Folge des Sub-Prime-Geschäfts in den USA. Hauskäufern mit schlechter Bonität wurden Hypothekendarlehen mit kaum einer oder keiner Tilgung und ohne Kreditprüfung aufgedrängt. Banken und Finanzinstitutionen schnürten diese Darlehen mit anderen hochriskanten Kreditschulden zu einem Paket und verkauften sie an Anleger in allen Teilen der Welt. Sie schufen damit Finanzinstrumente, die unter dem Überbegriff „Collateralized Debt Obligations“ (CDO) zusammengefasst werden.
Was man jedoch zunächst nur für eine amerikanische Immobilienblase hielt, entwickelte sich zu einer weltweiten Krise, die eine Reihe von Finanzinstitutionen zu Fall brachte. Schon bald traten die Konsequenzen der finanziellen Globalisierung und deren Auswirkungen bei einem plötzlichen Vertrauensverlust mit aller Deutlichkeit zutage.
Um die globalen Finanzsysteme in Gang zu halten, ist Vertrauen genauso wichtig wie die finanziellen Mittel selbst. Wenn die Partner einander nicht mehr vertrauen und daran zweifeln, ob die Gegenseite das Abkommen oder die Transaktion vereinbarungsgemäß ausführt, werden sie zu gemeinsamen Geschäften kaum noch bereit sein. Damit kommt das gesamte System praktisch zum Stillstand. Wenn Unternehmen Investitionen nicht mehr mit Krediten finanzieren können, die Möglichkeit der Handelsfinanzierung verschwindet oder Lieferanten keine Kreditversicherungen mehr bekommen, hat das folgenschwere Auswirkungen auf die Wirtschaft.
Dennoch hat es viele Experten überrascht, wie stark die Finanzsysteme miteinander verflochten sind und wie wenig die einzelnen Akteure über die Risiken wussten, die sie eingegangen waren. Das explosive Wachstum des Finanzsystems schuf ein komplexes Netz, in dem Risiken ohne die übliche Regulierung oder Kontrolle gestreut wurden.
Begünstigt wurde diese Entwicklung zudem durch das in den letzten 25 Jahren entstandene „Schattenbanksystem“ in Form von Investmentfirmen, Hedge Fonds und Derivate-Händlern, die denselben Risiken ausgesetzt sind wie Banken, sich jedoch den üblichen Regulierungsmechanismen entziehen. Die gesamte Finanzwelt ist in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren immer komplexer geworden, und die derzeitige Krise deckt Schritt für Schritt diese Komplexität auf.
Als die amerikanischeImmobilienblase platzte und der kreditfinanzierte Konsum abrupt zum Stillstand kam, wurde wieder einmal – genau wie bei früheren Krisen – deutlich, was eine unkontrollierte Risikobereitschaft in Kombination mit mangelhaftem Regelwerk anrichten kann. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch, dass frühere internationale Krisen wichtige Erkenntnisse über die Mechanismen einer Finanzkrise und wie man sie meistert, gebracht haben. Mit der aktuellen Krise wird es nicht anders sein.