Strategischer Vorteil durch langfristige Beziehungen

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Das von Bosch praktizierte Modell langfristiger Geschäftsbeziehungen trägt dazu bei, die Ausschläge des Konjunkturpendels abzufedern, das Geschäftsklima berechenbarer zu machen und den Marktanteil langfristig zu sichernDamit die Warenauslieferung an den Kunden nicht ins Stocken gerät, gilt es, Teile für die von Zulieferern beigestellten Produkte zu lagern. Unter Bedingungen eines flüssigen Marktes muss ein Unternehmen vorausschauend planen und langfristige, beständige Beziehungen mit seinen Zulieferern entwickeln, damit es seinerseits als zuverlässiger Lieferant gegenüber seinen Kunden aufzutreten vermag. Dies erfordert eine solide, intelligente und wohldurchdachte Beschaffungsstrategie.
   Für Alfons Lesch, Einkaufsdirektor, und Udo Breitwieser, Abteilungsleiter im Bereich Einkauf bei Bosch Karosserieelektronik, sind dies keine neuen Erkenntnisse. Im Hauptwerk des Unternehmens im badischen Bühl tragen ihre Einkaufsentscheidungen dazu bei, dass bei den 3.700 Arbeitern des Standortes die Fertigung kleiner Elektromotoren für Automobilhersteller auf der ganzen Welt nicht ins Stocken gerät, die sich später in allem nur Erdenklichen vom Kühlgebläse über elektrische Fensterheber, elektrisch verstellbare Außenspiegel, Schiebedächer, Scheibenwischer, Innenraumgebläse, Klimaanlagen bis hin zu elektrisch verstellbaren Sitzen wiederfinden.
   Bosch stellt Tag für Tag etwa 500.000 Kleinmotoren her, die Hälfte davon stammt aus dem Werk Bühl. Diese Zahl steht für an die 1.000 Produkte der verschiedensten Art, darunter 300 Typen von Scheibenwischermotoren für unterschiedliche Fahrzeugmodelle. Die Abteilung Einkauf hat mit 7.000 unterschiedlichen Teilenummern zu tun. Alles in allem, so Breitwieser, verlassen täglich 1.200 Frachtpaletten das Werk.
   Damit all diese Produkte ohne unplanmäßige Unterbrechung produziert werden können, ist ein nicht abreißender Nachschub an Teilen erforderlich. Und an genau diesem Punkt kommen Lesch und Breitwieser ins Spiel. Im Konferenzraum beschreiben sie die symbiotische Beziehung zwischen Lieferant und Kunden.
Die langfristige Perspektive
„Unsere Einkaufsstrategie besteht nicht darin, jeden Tag aufs neue dem billigsten Anbieter hinterher zu jagen“, erläutert Lesch, „sondern im Aufbau einer langfristigen Beziehung mit unseren Zulieferern.“ Er weist auf den sich rasch wandelnden Markt hin. In den zurückliegenden beiden Jahren (2000 und 2001) sei es ein Markt der Verkäufer gewesen, nun aber verlagere sich der Markt hin zum Einkäufer.
   Die Lagertechnik durchlief bereits in den späten Achtziger- und den frühen Neunzigerjahren einen ähnlichen Zyklus. Paul-Gerhard Hoch, Verkaufs- und Marketingleiter bei SKF erinnert sich noch daran: „Ende der Achtziger wurden die Lager knapp, und es wurde immer schwieriger, die Kundenwünsche zu erfüllen. Zu Beginn der Neunzigerjahre folgte dann eine etwa dreijährige Rezession. Auf jedem lastete ein enormer Druck.“
   Lesch beschreibt, was dann geschah. „Die Lieferzeiten für Lager betrugen 10 bis 15 Monate. Viele Kunden überlegten: ‚Ich brauche zwar bloß 100, bestelle aber vielleicht doch besser 200.‘ Und da die Lager nun einmal knapp waren, verfügte dann der Hersteller: ‚Jeder Kunde erhält nur 50 Prozent der Bestellmenge‘. Plötzlich brach dann die Rezession herein, und mit einem Mal gab es keine Bestellungen mehr. Die Verkaufsmitarbeiter erhielten nur noch Stornierungen.“ Der Aufbau langfristiger Geschäftbeziehungen habe es Bosch nun ermöglicht, die Dinge anders anzugehen.
   „Wir arbeiten nun sowohl auf dem Verkäufer- als auch auf dem Einkäufer-orientierten Markt mit konkreten Ansprechpartnern zusammen“, fährt Lesch fort. „Mit unseren langjährigen Zulieferern funktioniert das. Selbst in Zeiten wie den letzten beiden Jahren auf dem Elektronikmarkt hatten wir keine Probleme, weil wir von unseren Lieferanten weiter bedient wurden. Das ist der springende Punkt.“
   Langfristig angelegte Geschäftsbeziehungen tragen dazu bei, die Ausschläge des Konjunkturpendels abzufedern, das Geschäftsklima berechenbarer zu machen, und sie sorgen für ein geregeltes Wachstum auf beiden Seiten. Dieses Konzept ist nicht nur eine gute Verteidigungsstrategie. Wichtiger ist, dass es den Unternehmen ermöglicht, schwierige Perioden auf Kosten der Konkurrenz zu ihrem strategischen Vorteil zu nutzen. Der Umstand, dass die geknüpften langfristigen Beziehungen eine unterbrechungsfreie Versorgung mit Komponenten auch in konjunkturellen Schwächeperioden gewährleistet, bedeutet, dass Bosch gegenüber seinen Kunden aus der Automobilindustrie als allzeit zuverlässiger Teilelieferant aufzutreten vermag.
   „Dies ist für uns sehr wichtig“, unterstreicht Lesch. „2001 gab es Verknappungen im Bereich von Kunststoffen und Spezialstählen auf dem Markt. Aufgrund der Euroschwäche kauften US-Amerikaner und Vertreter anderer Länder der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA Stahl und Kunststoffe in Europa. Gegenüber Anbietern, deren Rechnungen in Yen oder US-Dollar beglichen werden mussten, war Europa zu jener Zeit preisgünstig, was Verknappungen auf dem Markt zur Folge hatte. Einige unserer Wettbewerber im Bereich der Karosserieelektronik bekamen daraufhin Probleme, ihre Kunden zu beliefern. Auch wir blieben von der schwierigen Marktlage nicht unberührt, dank unserer Strategie langfristiger Beziehungen mit unseren Lieferanten gab es jedoch keinen einzigen Fall, in dem wir nicht die benötigte Menge hätten liefern können. Es war nicht einfach, doch stets haben wir die Bestellwünsche unserer Kunden erfüllen können, während unsere Konkurrenz in dieser Hinsicht eine Menge Probleme hatte.“
   Die Schwerpunktsetzung auf langfristig angelegte Beziehungen verschaffte Bosch einen Wettbewerbsvorteil, der es dem Unternehmen ermöglichte, in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs dem Wettbewerb Marktanteile abzujagen. Der Bereich Einkauf nutzt diese Philosophie als Geschäftsstrategie, indem er sie unternehmensweit anwendet.
Immer mehr Kleinmotoren
Wie sieht die Zukunft aus? Zunächst einmal wird als allgemeiner Trend die Zahl an Kleinmotoren in Fahrzeugen im Durchschnitt weiter zunehmen. Derzeit finden sich in einem brasilianischen Fahrzeug etwa vier davon, in Europa sind es bereits etwa 20. Den Spitzenwert auf dem Markt bot Ende 2001 die Mercedes-S-Klasse mit sage und schreibe bis zu 95 Elektromotoren. Darin sind dann aber auch Sitze mit eigenem Kühlgebläse bereits enthalten.
   „Die Zukunft verspricht einen überaus interessanten Markt, was die Sitze angeht“, ist Lesch überzeugt. „Bislang sind nur wenige Sitze mit Motoren ausgestattet. In einem Sitz lassen sich gut und gerne acht oder neun Motoren unterbringen. Derzeit finden Sie solche Motoren allerdings erst in Oberklassefahrzeugen. Es wird eine Weile dauern, bis sie auch in Fahrzeugen der Mittelklasse Einzug halten werden.“
   Ein weiterer noch nicht erschlossener Markt ist der für elektrische Fensterheber. „In Europa“, so Lesch, „beträgt die Marktdurchdringung gerade einmal erst 80 Prozent.“ Inzwischen entwickeln die Automobilhersteller Programme zur Ankurbelung des Absatzes. So erhält man beispielsweise zu einem geringen Aufpreis elektrische Fensterheber in beinahe jedem Fahrzeugmodell.
   Und zur Geschäftsstrategie, die sie so weit gebracht hat, meint Breitwieser: „Wir haben großes Interesse an der Fortführung der langfristigen Beziehung mit unseren Zulieferern, damit wir gemeinsam mit unseren Kunden wachsen können. Es handelt sich um eine echte Partnerschaft.“
Jim McDonald  
Freier Journalist in Frankfurt  
Fotos Bosch und DaimlerChrysler

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