Industrie

Städtischer Lärm

Intelligente Sensoren und Datenanalysen senken die Lärmbelastung in Köln.

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Durch Menschen verursachter Lärm verfolgt und schadet uns. Die Frage ist, wie wir den Geräuschpegel senken können, ohne dabei auf die Vorteile unserer Transporttechnik zu verzichten. Denn unser Lärm dringt sogar bis in abgelegensten Stellen der riesigen amerikanischen Nationalparks vor. Bei einer 2019 durchgeführten Analyse von nahezu 1,5 Millionen Tonaufzeichnungen aus 66 Nationalparks belegten Wissenschaftler in 37 Prozent der Aufzeichnungen von Menschen verursachte oder erzeugte Geräusche. An 77 Prozent der Stellen waren diese anthropogenen Geräusche mindestens doppelt so laut wie das natürliche Hintergrundgeräusch in dem Gebiet. An über einem Drittel der Messorte waren sie sogar mehr als zehnmal so laut.

Diese Tonaufzeichnungen wurden in den entlegensten Gebieten gemacht. Dort, wo viele Menschen leben und arbeiten, beherrscht der Lärm von Verkehr und Fabriken längst das akustische Umfeld, und er kann uns krank machen.

Die Europäische Umweltagentur (EEA) schätzt, dass 20 Prozent der Bevölkerung tagtäglich Geräuschpegel ertragen müssen, die die empfohlenen Grenzwerte überschreiten. In vielen Großstädten können es sogar 50 Prozent sein. Stress durch chronische Lärmexposition trägt in Europa jedes Jahr zu schätzungsweise 48.000 neuen Fällen von Herzerkrankungen und 12.000 Todesfällen bei.

Der Schienen- und Schiffsverkehr ist lauter als die vom Straßen- und Flugverkehr verursachte Lärmbelastung.

Lärmermittler

Stark befahrene Straßen und große Flughäfen sind offenkundige Verursacher von Lärm. Aber auch in der Industrie kann der Geräuschpegel für manche Menschen unerträgliche Dimensionen erreichen.

Ein Mann, der sich für Geräuschminderung einsetzt, suchte in seinem Wohnort in Arizona monatelang jede Nacht zu Fuß oder per Fahrrad nach der Quelle des ständigen niederfrequenten Summens, das ihn nicht schlafen ließ. Schließlich fand er sie: Es waren die Kühlsysteme eines nahe gelegenen Rechenzentrums.

Doch es geht um mehr als stetiges Brummen. Oft werden gerade zeitweilig auftretende und somit schwer zu erfassende Geräusche als besonders störend und unangenehm empfunden.

Regionale Behörden, Unternehmen und Anwohner verwenden zunehmend technische Verfahren, um solche Störgeräusche zu ermitteln und zu eliminieren. Paris zum Beispiel führte 2022 ein System von Lärm-Radarfallen ein. Die Mikrofone der an Laternenmasten befestigten Lärmradare erfassen Geräusche von besonders lauten Autos und Motorrädern. Kameras identifizieren diese Fahrzeuge dann mithilfe automatischer Kennzeichenerfassung, und die Halter müssen mit einer Geldstrafe rechnen.

Andere Verkehrsakteure verwenden Sensoren und Analyseverfahren, um Störgeräusche von ihren Infrastruktureinrichtungen und Anlagen zu beseitigen. Mit entsprechender Technologie und den richtigen Managementsystemen unerwünschten Lärm unter Kontrolle zu halten, kann nach Meinung vieler ein Schlüsselfaktor für zuverlässigere und kostengünstigere Transportsysteme sein.

Für eine ruhigere Stadt

Die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) sind in Deutschlands viertgrößter Stadt für den Betrieb eines Stadtbahnnetzes von 199 Kilometern mit insgesamt 236 Haltestellen zuständig. In den vergangenen fünf Jahren hat Christian Burk, der Leiter des Bereichs Fahrweg, die neuesten digitalen Technologien und Managementwerkzeuge im Kölner ÖPNV eingeführt.

„Lärm und Vibrationen im Schienenverkehr sind für uns ein wichtiges Thema“, sagt er. „Der Bahnbetrieb findet in einem dicht besiedelten innerstädtischen Umfeld statt. Wenn unsere Bahnen zu viel Lärm verursachen, besteht die Gefahr, dass wir Anwohner verärgern. Übermäßige Vibrationen wiederum können, wenn sie nicht schnell beseitigt werden, die Lebensdauer der Gleisanlage erheblich verkürzen.“

Lärm und Vibrationen im Schienenverkehr sind für uns ein wichtiges Thema.

Christian Burk, Leiter des Bereichs Fahrweg, Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB).

Elektrisch betriebene Stadtbahnen sind grundsätzlich sehr leise. Ihr Hauptgeräusch entsteht durch die Wechselwirkungen zwischen Rad und Schiene, wenn die Strecke Dellen oder Unebenheiten aufweist. Solche Unebenheiten zu erkennen, war bisher ein manueller Vorgang. Die KVB verließ sich auf Berichte von Zugführern und Wartungspersonal, das das Schienennetz regelmäßig beging und auf Schwachstellen absuchte.

Burk suchte nach einer besseren Lösung und nahm Kontakt mit den Stadtbahn-Spezialisten von SKF auf. SKF beliefert die Kölner Verkehrsbetriebe schon seit vielen Jahren mit Komponenten und Ausrüstung, diesmal ging es um mehr. „Ich hatte von einem Gleisüberwachungssystem gehört, das SKF in Schweden installiert hatte“, erinnert sich Burk. „Und ich war davon überzeugt, dass ein ähnliches Konzept unsere Arbeitsweise bei der KVB verbessern könnte.“

Nach mehrmonatiger Entwicklung hat die KVB nun ein Überwachungssystem, das auf einer seit 2019 in Göteborg eingesetzten SKF Lösung basiert. Sechs Schienenfahrzeuge wurden mit speziellen Lagern ausgerüstet, deren Sensoren mit einem Datenerfassungssystem verbunden sind. Während ihrer Fahrt auf der normalen Strecke erfassen Beschleunigungsmesser in den Lagern Vibrationen in den Rädern. Zusätzlich nehmen Mikrofone die Geräusche der Räder auf, um lärmverursachende Gleisabschnitte ausfindig zu machen. Diese Daten werden von einem SKF Multilog IMx-Rail Datenlogger aufgezeichnet und über ein sicheres drahtloses Netzwerk an die SKF Cloud übermittelt.

Wenn die Räder über Unebenheiten im Gleis rollen, registrieren die Beschleunigungsmesser die jeweiligen Stöße und Vibrationen. Über einen GPS-Positionsgeber in Kombination mit einem am Schienenfahrzeug angebrachten Entfernungsmessgerät kann die Wartungstechnik der KVB nun die potenzielle Problemstelle exakt bestimmen. Das System funktioniert sogar in Tunneln ohne GPS-Abdeckung. Erleichtert wird die Arbeit durch ein interaktives Dashboard, das den Ort von Beschleunigungsspitzen als Punkt auf einer Karte anzeigt und zur Unterstützung von Wartungspersonal und Managementteams eine Reihe von Berichten generiert.

„Wir nutzen die Daten der Sensoren auf dreierlei Weise“, erklärt Burk. „Zum einen erstellen wir detaillierte Berichte über den Zustand bestimmter Gleisabschnitte. So können sich unsere Wartungsteams bei ihren regelmäßigen Inspektionen besonders auf diese Abschnitte konzentrieren. Zum Zweiten sind wir in der Lage, auf erfasste Probleme schneller zu reagieren, indem wir Techniker an die jeweiligen Stellen schicken, um die Unregelmäßigkeiten umgehend zu beheben. Ich nenne das ‘die roten Spitzen ausschalten’, weil sie als solche auf unserem Dashboard erscheinen. Und drittens verwenden wir die Daten, um uns einen umfassenden Überblick über Qualität und Leistungsfähigkeit unseres Wartungskonzepts für das gesamte Schienennetz zu verschaffen.“

Unebenheiten und Vibrationen können durch verschiedene Gleismängel entstehen, zum Beispiel schlecht durchgeführte Schweißnähte oder Rissbildung und Verschleiß an der Rollfläche. Die Wartungsteams können Schweißnähte nachbessern, unebene Oberflächen abschleifen oder fehlerhafte Schienenstränge austauschen.

Die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) haben ein Überwachungssystem eingeführt, um der Ursache von Lärmbelästigung auf den Grund zu gehen.

Kreischende Räder

In Lager eingebaute Schwingungssensoren können allerdings nicht alle Quellen unerwünschter Geräusche erfassen. Ein Problem bei Straßen- und Stadtbahnen sind Quietschgeräusche bei Bogenfahrt, die durch die Reibung zwischen Rad und Schiene entstehen. „Kurvenquietschen kann für Menschen, die nahe einer Bahnstrecke wohnen oder arbeiten, äußerst unangenehm sein. Aber es war bisher nur sehr schwer zu lokalisieren“, erläutert Dr. Bernd Bauer, Industrial Sales, Manager, Training & Contract Management, der das KVB-Projekt für SKF leitet. „Zum einen kann der Lärm extrem intermittierend sein und wird von Laub oder Schmutz auf den Schienen, den Witterungsverhältnissen und sonstigen Veränderungen des Gleiszustandes beeinflusst. Zum anderen wissen wir durch unsere Arbeit in Göteborg und die in Köln durchgeführten Tests, dass Beschleunigungsmesser in Lagern, die für Körperschallmessungen optimiert sind, Luftschall wie das Kurvenquietschen nicht sehr gut erfassen.“

Wie in der ersten Anwendung des SKF Bahnüberwachungssystems in Schweden sollen spezielle Mikrofone in witterungsbeständigen Gehäusen, die an den überwachten Schienenfahrzeugen angebracht werden, das Problem lösen. Sie sind auf die Räder gerichtet und nehmen das Quietschen und Kreischen auf. Diese Daten werden über den von den Schwingungssensoren genutzten IMx Logger und dasselbe drahtlose Netzwerk übermittelt.

Die KVB erstellt aus den Mikrofon-Daten eine separate Karte, mit der der Kundendienst des Bahnbetreibers die Ursache der von der Öffentlichkeit gemeldeten Störgeräusche identifizieren kann. Ist der Ort des Quietschgeräuschs exakt festgestellt, ergreifen die Wartungsteams geeignete Gegenmaßnahmen, etwa das Abschleifen der Schienen oder der Einbau eines Schmiersystems im Gleis des betroffenen Streckenabschnitts.

Das Gleisüberwachungssystem der KVB ist seit rund einem Jahr im Einsatz. Die Ergebnisse sind so positiv, dass Burk und seine Kollegen das System weiter ausbauen. „Zurzeit haben wir sechs Wagen damit ausgerüstet und zwei weitere werden in Kürze in Betrieb genommen“, erklärt er. „Das reicht, um uns mit sehr wertvollen Daten zu versorgen. Aber es macht nur einen Bruchteil der insgesamt 360 Fahrzeuge in unserem Schienennetz aus.“ Mit der Ausdehnung dieses Konzepts auf weitere Schienenfahrzeuge und mit der Einführung von digitalen Lösungen wie der Fernüberwachung der circa 300 im Schienennetz verteilten SKF Schmiersysteme wird die KVB Lärm- und Vibrationsquellen einfacher proaktiv bekämpfen. So wird der schienengebundene öffentliche Personennahverkehr in Köln zuverlässiger und die Stadt leiser.

Lärmbelastung durch Transportmittel

Ein Großteil der unwillkommenen Geräuschkulisse stammt von Transportmitteln. Tonaufzeichnungen belegen, dass Fluglärm das häufigste von Menschen verursachte Geräusch in entlegenen Nationalparks der USA ist. In der Nähe von Orten ist der Straßenverkehr die bei Weitem überwiegende Lärmquelle. In Europa gilt das für rund 70 Prozent der gesundheitsgefährdenden Lärmbelastung.

Lärm von anderen Transportmitteln ist zwar nicht so verbreitet, aber er kann trotzdem negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben. Geräusche von Schienenfahrzeugen und Schiffen kamen in den Tonaufnahmen der Wissenschaftler nicht so oft vor, aber wenn sie doch auftauchten, waren sie häufig noch lauter als der Geräuschpegel in Ortschaften, in denen Straßen- und Flugverkehr dominierten.

Regelungen zur Lärmminderung

Seit Jahrzehnten wird versucht, gesundheitsschädigende Lärmbelastung durch Verordnungen zu regeln. So verlangt etwa die Europäische Union (EU) seit 2002 im Rahmen ihrer Umweltlärm-Richtlinie, dass die Mitgliedsstaaten die Lärmbelastung in Städten, an Hauptverkehrsstraßen, Bahnstrecken und Flugplätzen überwachen und begrenzen. Auch die Industrie unterlieget immer strengeren Auflagen. Nach einer EU-Verordnung von 2016 soll der Geräuschpegel von Autos über einen Zeitraum von zehn Jahren schrittweise reduziert werden.

Der Druck, die Lärmbelastung noch schneller zu senken, wächst. Lärm gehört auch zum „Aktionsplan Schadstofffreiheit von Luft, Wasser und Boden“ (Zero Pollution Action Plan) der EU. Mit diesem Plan soll eine schadstofffreie Umwelt bis 2050 erreicht sein. Damit will die EU-Kommission den Anteil der EU-Bürger, die ständigem Verkehrslärm ausgesetzt sind, bis 2030 um 30 Prozent verringern.

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