Ingenieurswissen

Eine Zauberformel für Maschinen

In den 1990er-Jahren erfand der SKF Entwicklungsingenieur Magnus Kellström einen völlig neuen Lagertyp. Seine Ideen gelten auch heute noch als bahnbrechend.

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Für Magnus Kellström sind Konventionen kein Hinderungsgrund, um gute Ideen umzusetzen. Das sieht man schon an seinem Fahrrad. Der Teilzeitrentner benutzt ein Liegerad. Es hat einen nach hinten geneigten Sitz, und die Pedale sind weit vorn über dem Vorderrad angebracht. Enthusiasten behaupten, eine solche Konstruktion sei bequemer als ein herkömmliches Fahrrad und habe bessere aerodynamische Eigenschaften.

Dieselbe Bereitschaft, Bestehendes zu verändern, charakterisiert auch Kellströms 39-jährige Laufbahn bei SKF als Produktentwickler in zahlreichen Projekten. Bis er 2005 in Rente ging, entwickelte er die Wissenschaft und Technik der Lagerkonstruktion weiter und steuerte neue Werkzeuge und innovative Ideen zu Produkten bei, die die Welt buchstäblich in Bewegung halten.

Ende der 1960er-Jahre war Magnus Kellström an der Einführung von Rechnern im Konstruktionsprozess beteiligt. „Damals bekamen alle Industrieunternehmen Computer“, erinnert er sich. „Sie waren so groß wie ein ganzer Raum, aber erheblich weniger leistungsstark als ein Smartphone von heute. Trotzdem konnten sie Berechnungen sehr viel schneller durchführen als Menschen.“

Besonders benutzerfreundlich waren diese frühen Rechnermodelle allerdings nicht. Kellström und seine Kollegen mussten Programme auf Lochkarten stanzen, die sie dann zur weiteren Verarbeitung im Rechenzentrum abgaben. Ob das Programm funktionierte, erfuhren sie erst, wenn die Ergebnisse circa einen Tag später zurückkamen. „Natürlich unterliefen uns Fehler“, sagt Kellström, „aber jeweils nur einmal, danach machten wir denselben Fehler nie mehr.“

CARB wird heute weltweit in vielen extrem anspruchsvollen Anwendungen eingesetzt, darunter in den elektrischen Antriebssystemen hochmoderner Kreuzfahrtschiffe.

Weltweit im Einsatz

Als Experte für rechnergestützte Lagerkonstruktion bereiste Kellström in den 1970er-Jahren viele Länder. Er verbrachte auch ein Jahr in den USA, wo er ein Computerprogramm für automatisierte Wärmeberechnungen bei der Konstruktion von Lagern entwickelte. Damals war die Globalisierung in vollem Gange, und wie viele andere Industrieunternehmen verstärkte auch SKF seine Präsenz mit Kompetenzzentren in verschiedenen Produktgruppen auf globalen Märkten.

Anfang der 1980er-Jahre kam Kellström in sein Heimatland Schweden zurück und übernahm im SKF Hauptwerk in Göteborg eine Tätigkeit zur Entwicklung und Fertigung von Pendelrollenlagern. Das Produkt, damals ein Eckpfeiler der Lagerindustrie, hat eine lange Tradition. Es geht auf die innovativen Ideen des SKF Gründers Sven Wingquist zurück.

„Sven Wingquist erfand das Pendelrollenlager, um ein Problem in der Fabrik zu lösen“, erklärt Kellström. „Kugellager haben eine sehr geringe Reibung, aber sie sind nicht für hohe Lasten geeignet. SKF entwickelte ein Pendelrollenlager, das ist belastbarer.“

Wie Wingquists ursprüngliche Innovation sind Pendelrollenlager konstruiert, um Probleme zu bewältigen, die an Maschinen in der Praxis auftreten. Sie sind für radiale und axiale Kräfte ausgelegt und gleichen Fluchtungsfehler aus, ohne dass es zu einer nennenswert höheren Reibung oder der Gefahr des Blockierens kommt. Das ist wichtig, weil Maschinen in der Lage sein müssen, gewisse Mängel im Fertigungsprozess oder Verzerrungen aufgrund schwerer Lasten zu bewältigen.

In Göteborg arbeiteten Kellström und sein Team an der Weiterentwicklung des SKF Pendelrollenlager-Sortiments und schufen Konstruktionen mit geringerer Reibung, höherer Lastkapazität und längerer Gebrauchsdauer. Die Lager waren gut, aber sie hatten ihre Begrenzungen.

An einer Erfindung zu arbeiten, ist für mich wie das Lösen eines Puzzles, das die meisten Menschen nicht einmal als solches erkennen.

Magnus Kellström, SKF Entwicklungsingenieur

Das Geheimnis von CARB

Ein Problem war die Wärmeeinwirkung. Wenn Maschinen während des Betriebs die Temperatur verändern, können Komponenten expandieren oder sich zusammenziehen. Standard-Pendelrollenlager bewältigen axiale Bewegungen, die an langen Wellen auftreten können, nicht gut. Das führt oft zu höherer Reibung und vorzeitigem Verschleiß. Maschinenbauer untersuchten verschiedene Lösungen, aber keine war ideal. Zylinderrollenlager vertragen Fluchtungsfehler schwer, und der Einbau von Pendelrollenlagern in spezielle verschiebbare Gehäuse führt zu zusätzlichem Volumen, höheren Kosten und mehr Komplexität.

Im Zuge seiner Bemühungen, vorzeitige Lagerausfälle in industriellen Planetengetrieben zu vermeiden, kam Kellström auf ein komplett anderes Konzept. Er skizzierte eines völlig neuen Lagertyp, der axiale Bewegungen bewältigen und die für Pendelrollenlager charakteristische Toleranz gegenüber Fluchtungsfehlern beibehalten konnte.

Es dauerte einige Jahre, bis Kellström seine Kollegen davon überzeugen konnte, dass seine Erfindung die erheblichen Anstrengungen, daraus ein marktfähiges Produkt zu machen, rechtfertigen würde. Schließlich gelang es ihm jedoch, Forschungs- und Entwicklungsmittel für ein kleineres Projekt zu sichern. „Unser Auftrag war, die Pendelrollenlager zu verbessern und nicht, neue zu erfinden. Deshalb fand die Arbeit anfangs im Verborgenen statt“, erinnert er sich. „Mein Name steht zwar auf dem Hauptpatent, aber dahinter steckt noch einiges mehr. Es bedarf mehr als nur einer Idee. Ich war umgeben von echten Koryphäen. Ohne sie wäre CARB nie zum Erfolg geworden.“ Kellström und sein Team setzten ihre Entwicklungsbemühungen Anfang der 1990er-Jahre fort und legten schließlich eine Konstruktion vor, die sie „Compact Aligning Roller Bearing“, kurz CARB, nannten.

Das Geheimnis von CARB war seine Form, die die Merkmale von drei vorhandenen Lagertypen vereinte: dem Pendelrollenlager, dem Zylinderrollenlager und dem Nadellager.

Analysen, Prüfungen und Verbesserungen nahmen mehrere Jahre in Anspruch. Am Ende lag eine Konstruktion vor, die alle Zielsetzungen erfüllte. Wie bei vielen anderen Entwicklungsprojekten war der Abschluss ein eher unspektakulärer Augenblick. „Ich erinnere mich noch daran, dass ich mit einer Gruppe von Ingenieuren in meiner Werkstatt stand und wir plötzlich wussten: ‚Es ist vollbracht‘“, erzählt Kellström.

Durchbruch in der Papierindustrie

Das stimmte aber nicht ganz. Die Entwicklungsarbeit ist nur ein Teil einer Innovation. Kellström musste SKF noch zu den für die Produktion von CARB notwendigen Investitionen überreden. Einen Beweis, dass der Markt für ein neues Lagerkonzept bereit war, gab es nicht. „Zu der Zeit war Produktentwicklung anders als heute“, meint er. „Wir kamen mit neuen Ideen, und unsere Vertriebskollegen und Anwendungstechniker prüften dann, ob es dafür einen Markt gab.“

Der erste große Durchbruch für CARB erfolgte in der Papierindustrie. Anfang der 1990er-Jahre entwickelten Maschinenbauer neue, extrem schnelllaufende Papiermaschinen. Für die Walzen in diesen Maschinen suchten sie nach einer Lagerlösung, und Kellströms neue Konstruktion war dafür perfekt. „CARB-Lager kamen in einer Maschine zum Einsatz, die den Weltrekord für die Herstellung von Zeitungspapier brach“, so Kellström. „Ich glaube, das war der Moment, in dem ich wusste, dass unsere Idee bedeutende Auswirkungen haben würde.“

SKF brachte CARB 1995 auf den Markt. Schon bald zeigten Kunden aus vielen Branchen – von der Metallproduktion bis zu erneuerbaren Energien – Interesse an dem innovativen Konzept. „Als ein deutscher Windturbinenhersteller eine herkömmliche Lageranordnung durch eine CARB-Lösung ersetzte, sank das Gewicht der Lager in der Turbine um 2.600 Kilogramm. Außerdem führte das leichtere, kompaktere Gehäuse des kleineren Lagers zu einer weiteren Gewichtseinsparung von drei Tonnen“, erklärt Kellström. „Diese Einsparung ermöglichte eine Gewichtsreduzierung des Turms um mehrere weitere Tonnen.“

Ergänzung statt Austausch

Die besonderen Eigenschaften des CARB Konzepts basieren auf der einzigartigen Form des Lagers. Die Rollen von CARB Lagern sind im Verhältnis zu ihrem Durchmesser relativ lang, etwa vergleichbar mit einem Nadellager. Wie bei Pendelrollenlagern haben diese Rollen eine konvexe Form, obwohl sie erheblich flacher sind als bei herkömmlichen Lagern dieses Typs. Die Innen- und Außenringe haben ein konkaves Profil, angepasst an die Rollenprofile. Die Rollen sind in den Laufbahnen frei beweglich und können so Winkelfehler wie ein Pendelrollenlager und axiale Bewegungen wie ein Zylinderrollenlager ausgleichen.

Das CARB Lager war immer als Ergänzung und nicht als Ersatz für das Pendelrollenlager gedacht. So kann zum Beispiel an einem Ende einer Welle ein herkömmliches Pendelrollenlager eingebaut sein, das die axialen Kräfte aufnimmt und die Welle in der richtigen Position hält, während am anderen Ende ein CARB-Lager jede durch Wärmeausdehnung verursachte axiale Bewegung kompensiert.

Die Kompensation von axialen Bewegungen ist nicht der einzige Vorteil von CARB. Das neue Lager hat noch weitere positive Eigenschaften. Beispielsweise können die langen Rollen hohe Lasten tragen. Gleichzeitig macht ihr relativ geringer Durchmesser die gesamte Lagereinheit extrem kompakt. Das Endergebnis ist ein Lager, das weniger wiegt und geringeren Platz einnimmt als herkömmliche Konstruktionen.

Potenzial für Einsparungen

Seitdem schwimmt CARB auf einer Erfolgswelle. Das innovative SKF Lager wird heute weltweit in vielen extrem anspruchsvollen Anwendungen eingesetzt, darunter in den elektrischen Antriebssystemen hochmoderner Kreuzfahrtschiffe.

„Reibung zu reduzieren, ist eine wahre Zauberformel für eine Maschine. Weniger Reibung sorgt für einen ruhigeren, geräuschärmeren Betrieb und verlängert die Lebensdauer bei gleichzeitiger Einsparung von Energie“, stellt Kellström fest. „Hitze, Vibration und zusätzliche Lasten können die Lager abnutzen. Jede Stunde Stillstand ist eine Stunde Umsatzverlust und Gewinneinbuße. Zudem könnten auch die Instandhaltungskosten steigen und die Sicherheitsrisiken zunehmen. Wenn man sich Ausfälle wie diese nicht leisten kann, ist Zuverlässigkeit die einzige Option.“

Das ursprüngliche, vom CARB-Entwicklungsteam entworfene Konzept hat sich im Laufe der Jahre immer wieder aufs Neue bewährt. Die heutigen CARB-Lager profitieren von zahlreichen aufeinander aufbauenden SKF Innovationen: modernen neuartigen Stählen, hochentwickelten Dichtungslösungen und cleveren Käfigkonstruktionen. Ihre Grundgeometrie hat sich jedoch kaum verändert.

Kellström widmete sich danach anderen Projekten bei SKF, aber CARB ist ein wichtiger Teil seines Lebens geblieben. Seit seiner Pensionierung arbeitet er in Teilzeit als Fachberater und unterstützt Maschinenhersteller bei der Wahl von Lagerkonstruktionen und Lagertypen. „Es macht mir Spaß, Lagerprobleme zu lösen, die es gar nicht gegeben hätte, wenn CARB von Anfang an zum Einsatz gekommen wäre“, erklärt er.

Wenn Kellström nicht gerade auf seinem Liegerad unterwegs ist oder weltweit führende Maschinenhersteller bei der Lagerwahl berät, tüftelt er in seiner Garage an neuen Erfindungen. „An einer Erfindung zu arbeiten, ist für mich wie das Lösen eines Puzzles, das die meisten Menschen nicht einmal als solches erkennen. Problemlösung ist meine Triebfeder. Ich möchte für viele Branchen und für die Gesellschaft insgesamt etwas erreichen. Was gut für SKF ist, ist gut für die Welt“, schließt Kellström.

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