Ugo Nespolo – Ein Künstler auf „seine Art“

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Seine unersättliche künstlerische und intellektuelle Neugier gepaart mit einer großen Portion Eigenwilligkeit ist das Markenzeichen des italienischen Künstlers Ugo Nespolo

Mit Andrea Bocelli zu singen, mit Woody Allen zu dinieren, mit Brian de Palma zu filmen und mit Andy Warhol zu konversieren, erfordert mehr als Energie und Kreativität. Dafür braucht man eine unermüdliche intellektuelle Neugier auf alles und alle in der Welt. Der italienische Künstler Ugo Nespolo besitzt diese Neugier und hat im Laufe seiner 50-jährigen Karriere all diese Dinge getan.

Nespolo wurde 1974 mit Italiens renommiertem Bolaffi-Preis ausgezeichnet, und seine One-Man-Shows werden in Europa, Nord- und Südamerika sowie in Japan viel gepriesen. Er befasst sich mit Opernproduktionen ebenso wie mit Werbekampagnen und entwirft Titeldesigns für Fernsehsender und Layouts für Buchverlage. Nur wenige Künstler gehen derart offen mit so vielen verschiedenen Medien um und noch weniger haben dafür so viel Lob von den Kritikern geerntet. Nespolos künstlerisches Werk umfasst Gemälde, Skulpturen aus Keramik, Glas und Bronze, experimentelle Filme, Möbel- und Teppichdesigns, Bühnenbilder und Kostüme sowie Werbeplakate. Er arbeitet bei seinen Kreationen mit Stickereien, Alabaster, Ebenholz, Perlmutt, Silber und Holzintarsien.

Vor allem aber macht er es „auf seine Art“, wie er Besuchern seines 4.000 Quadratmeter großen Ateliers in der Turiner Innenstadt stolz erklärt. Es ist wohl kein Zufall, dass Frank Sinatras „My Way“ eines seiner Lieblingslieder ist und als Titel für eine italienische Ausstellung von 2007 über das künstlerische Schaffen Nespolos gewählt wurde.

Nespolos Studio ist eine dreigeschossige Porzellanfabrik. Er hat sie Stück für Stück seit Anfang der 1980er Jahre erworben und auf seine Art renoviert. Das Ergebnis ist bunt, kreativ und fast infantil in seiner Überschwänglichkeit. Am hinteren Eingang steht ein von ihm bemaltes und signiertes Motorrad. Das Erdgeschoss umfasst eine Ausstellungsfläche fast in der Größe einer kleinen Galerie. In der obersten Etage, die der Filmkunst gewidmet ist, gibt es einen Vorführraum und ein Auditorium mit 40 Sitzplätzen. Nespolos Büro, sein Labor und andere Arbeitsflächen zum Beispiel für Keramik- und Glasarbeiten befinden sich im mittleren Stockwerk. Einige Möbel hat er selbst entworfen.

Nespolo studierte an der Universität von Turin moderne Literatur einschließlich Semiotik und Kunstgeschichte und an der Accademia delle Belle Arti, ebenfalls in Turin, Kunst unter Enrico Paulucci. „Ich habe das eine nicht für das andere opfern müssen und immer nach einem ausgewogenen intellektuellen Leben gestrebt“, betont der Künstler.

Sein Hochschulabschluss berechtigte Nespolo, an weiterführenden Schulen Kunst zu unterrichten, aber er wusste schon damals, dass er Künstler werden wollte. Die frühen 1960er Jahre waren eine Zeit des intellektuellen Aufbruchs in Turin, und der junge Maler schloss sich der Turiner Avantgarde-Bewegung an. Wenn er nicht unterrichtete, malte er mit wilder Leidenschaft und stellte seine Arbeiten in örtlichen Galerien aus. Eine Begegnung mit dem Mailänder Galeristen Arturo Schwartz führte schließlich zu einem kleineren Vertrag. Schwartz hatte großen Einfluss in der italienischen und internationalen Kunstwelt und verhalf dem jungen Mann zu einer Ausstellung in New York. Er erinnert sich an seinen Protegé als „einen der interessantesten uren der Nachkriegszeit, als Künstler wie auch als Persönlichkeit.“

Mit Schwartz Hilfe machte sich Nespolo einen Namen. Als er schließlich mit der Malerei mehr Geld verdiente als mit dem Unterrichten, entschied er sich für eine Laufbahn als Vollzeit-Künstler.

Damals war gerade die Arte Povera (Kunstobjekte aus einfachen Elementen) zu einer bedeutenden Bewegung in Europa geworden. Es war auch die Zeit, in der Nespolo begann, die herrschenden Kunstvorstellungen in Frage zu stellen und mit Medien auf seine persönliche Art zu experimentieren. Er schuf Arte Povera-Skulpturen und Bilder in Form von Puzzles. Die italienische Schriftstellerin und Übersetzerin Fernanda Pivano inspirierte ihn dazu, sich mit dem experimentellen Film zu befassen. Sein Erstlingswerk Grazie a mamma Kodak („Danke Mamma Kodak“) entstand 1967. „Der Gedanke war, die Kamera als Malerpinsel zu verwenden“, erklärt er.

In den 1980er Jahren entwarf er seine ersten Bühnenbilder und Kostüme für Opern. Er verbrachte in dieser Zeit jedes Jahr einige Monate in den USA. Als die Oper von Stamford in Connecticut ihn engagieren wollte, nahm er das Angebot an, weil ihn die Herausforderung lockte. „Kunst kann in jede Richtung gehen“, meint er. „Da gibt es keine Zwänge. Als Künstler studiert man die Materialien und entwickelt seine Ideen.“

In den 1990er Jahren entdeckte er zwei neue Lieben: Keramik und Glas. Als ihm die Porzellanmanufaktur Richard Ginori anbot, Art Director zu werden, übernahm er den Posten. Ein früherer Art Director war der Industriedesigner Gio Ponti, für den Nespolo größten Respekt hatte. Die Murano-Glashütte Barovier & Toso war an einer Zusammenarbeit mit ihm interessiert, und er kam zu dem Schluss, dass Glasskulpturen „etwas Wunderbares an sich haben“.

„Ein Künstler darf sich nicht begrenzen“, sagt Nespolo. „Ich tue, was mir gefällt, und habe kein Problem damit, von einem Medium zum anderen zu wechseln. Ich bin eben einfach neugierig. Kunst ist in jedem Medium immanent, mit dem ich arbeite.“

Auf seine Art natürlich.


Ugo Nespolo erzählt, wie sich seine Kunst seit den 1960er Jahren verändert hat

„Meine künstlerische Vision hat sich nicht verändert, ich habe sie nur verfeinert. Als ich jünger war, machte ich mir vielleicht mehr Gedanken darüber, was die Kritiker von meiner Arbeit halten würden. Ein Künstler soll sich der zeitgenössischen Strömungen in der Kunst bewusst sein, muss aber über dem Tagesgeschehen stehen.

Was mich inspiriert, ist die Verflechtung von Alltag und Kunst. Früher sprach man von „Hochkultur“ und „Volkskultur“ – Kultur für die Elite und Kultur für die Massen. So ist das heute nicht mehr. Ein Künstler muss beides kombinieren können, indem er alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel nutzt, nicht nur das klassische Medium, das mit Kunst assoziiert wird, sondern auch Graffiti, B-Filme, Werbung und so weiter.

Andy Warhol war ein künstlerisches Genie, aber auch ein Marketing-Genie, und er verstand die Beziehung zwischen Kunst und dem Rest der Welt. Er hatte ein Gespür für den Zeitgeist der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und versuchte, ihn einzufangen.

Kunst ist nicht per Definition schön. Wir sind umgeben von hässlicher Kunst und schönem Industriedesign. Roger Scruton [ein englischer Kunstkritiker] meint, wir sollten Harmonie in der Kunst suchen, wenn wir sie nicht in unserem wirren Alltag finden können. Wir wünschen uns ein schönes Leben, aber es scheint hässlich zu sein. Wenn wir jedoch unser Leben mit dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts vergleichen, ist das heutige viel schöner.

Wir nehmen die Politik nicht mehr Ernst. Da kann es ganz nützlich sein, die Grenzen ein wenig zu überschreiten und ein bisschen Ironie an den Tag zu legen. Wir müssen eklektischer sein und die Welt akzeptieren, wie sie ist. Eine infantile Welt kann durchaus positiv sein.“

„Art is not ‘beautiful’ by definition. We are surrounded by ugly art and beautiful industrial design. Roger Scruton [an English art critic] suggests we should find harmony in art if we can’t find it in our discordant daily lives. We have the desire to live a beautiful life, but life seems ugly. Yet, if we compare our lives to those at the beginning of the 20th century, life today is much more beautiful.

„We don’t take politics seriously anymore. So a bit of transgression and irony can be useful. We need to be more eclectic to accept and see the world as it is. An infantile world can be positive.“

 

 

 

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