Virtuelle Fertigung – ein wachsender Automationstrend
Die Entwicklung in der industriellen Automation schreitet rasch voran, aber der Lebenszyklus der Produkte wird immer kürzer. Virtuelle Fertigung könnte den Druck auf die Hersteller verringern
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Alles, was wir konsumieren oder kaufen, ist zu irgendeinem Zeitpunkt und in irgendeiner Form mit einem automatisierten Prozess in Kontakt gekommen. Unsere Handys, Joghurts, Kleider und Zeitungen wurden alle irgendwann – entweder in der Fabrik oder beim Versand – von leistungsstarken, intelligenten und oft vernetzten Fördersystemen von einem Punkt zum anderen transportiert.
Die industrielle Automation geht zurück auf die Zeit der industriellen Revolution, als die Fließbandfertigung eingeführt wurde. Seitdem hat sie auf ihrem unaufhaltsamen Vormarsch zahlreiche Arbeitsplätze überflüssig gemacht und durch Maschinen ersetzt. Inzwischen ist daraus ein komplexer Bereich entstanden, in dem Computer, Sensoren, Netzwerke und Ethernets zunehmend die Steuerung und Überwachung der Produktion übernehmen.
„So kompliziert muss es jedoch nicht immer sein“, meint Björn Langbeck vom Stockholmer Forschungsinstitut IVF Research & Development Corporation. „Ein Auto ist unter der Motorhaube kompliziert, aber es ist leicht zu fahren. Die IT-Systeme in einer Fabrik sind kompliziert, sollten aber für den Benutzer einfach in der Handhabung sein.“
Der Website von Siemens zufolge wird es schon in naher Zukunft möglich sein, die Produktion in einer Fabrik von einem Webbrowser aus zu steuern. „Die treibenden Kräfte für die Automatisierung sind und bleiben die Mikroelektronik und die Software“, erklärt Klaus Wucherer, Mitglied des Zentralvorstands der Siemens AG, in einem Artikel, der im Juli 2003 in der Fachzeitschrift IEE Computing & Control Engineering erschien.
Der digitale Traum
„Der Traum eines jeden Fabrikplaners und Automationsspezialisten ist eine digitale Fabrik“, meint Wucherer. „Bald werden die Konstrukteure eines Automobilherstellers erleben, wie das virtuelle Fahrzeug die virtuelle Fabrik verlässt. Es wird tatsächlich so sein, dass Hersteller ein neues Modell erst dann in die Produktion aufnehmen, wenn das digitale Fahrzeug alle Stufen der digitalen Fabrik durchlaufen hat – und nachdem alle konstruktions- und produktionstechnischen Möglichkeiten des Fahrzeugs ausgeschöpft worden sind.“
Was jedoch den Automatisierungsprozess in den Fabriken unter Druck setzt, ist das Tempo, in dem Unternehmen neue Produkte mit neuen Funktionen auf den Markt bringen. Bei immer kürzeren Lebenszyklen müssen kostenbewusste Produktionsunternehmen allmählich ihre Fertigungsroutinen überdenken.
Daimler Chrysler lancierte 2002 ein Pilotprojekt in zwei Automobilwerken nach dem Modell der digitalen Fabrik. Der Gedanke war, in einem frühen Stadium alle Schritte und Prozesse des Automobilbaus zu simulieren. Der deutschen Automobilzeitschrift Auto Magazin zufolge ließen sich auf diese Weise Probleme voraussehen, bevor sie tatsächlich auftraten. Die Zeit bis zur Markteinführung konnte um bis zu 40 Prozent verkürzt und die Produktivität um 70 Prozent gesteigert werden, schreibt das Magazin.
„Immer mehr Produkte kommen auf den Markt, und das schneller als je zuvor“, sagt Anders Kinnander, Experte für Produktionstechnik an der Chalmers Technischen Universität im schwedischen Göteborg. „Kürzere Lebenszyklen bedeuten außerdem, dass Fertigungsstraßen heute flexibler denn je sein müssen. Das hat erhebliche Konsequenzen für Unternehmen, die industrielle Automation für ihre Produktion benötigen.“
Modulare Automation
Deutlich zu erkennen ist auch der Trend zum modularen Aufbau von Automationstechnologien, um sie leicht rekonfigurieren zu können, wenn besonderen Kundenwünschen Rechnung getragen werden soll. Etwa 70 Prozent der Kosten eines Produktes sind Herstellungskosten. Durch Flexibilität in der Automationstechnik lassen sich diese Kosten erheblich senken.
Laut Fredrik Jönsson, Geschäftsführer von FlexLink, einem Anbieter von industriellen Automationslösungen, können Fertigungsunternehmen durch modulare Automation und virtuelle Produktion (digitale Fabrik) die größten Kosteneinsparungen erzielen.
Zusammen mit IBM und anderen Unternehmen lancierte FlexLink Ende 2002 ein eigenes Konzept für eine digitale Fabrik. Durch Integration aller Aspekte des Fertigungsprozesses – CAD (Computer-assisted Design), Produktionsdatenmanagement, MES (Manufacturing Execution Systems), SCM (Supply Chain Management) und ERP (Enterprise Resource Planning) – in ein System haben FlexLink und seine Partner eines der flexibelsten Automationssysteme der Welt entwickelt. FlexLink nennt es die PLM-Fabrik (PLM = Product and Process Life-cycle Management).
„Statt die Produktionskapazität auf ein geschätztes Maximalvolumen zuzuschneiden, basiert die PLM-Fabrik auf dem Konzept, die Kapazität schrittweise auszubauen und so an die Bedürfnisse des Marktes anzupassen“, meint er. „Wenn sich die Bedürfnisse ändern, lassen sich die Module problemlos für ein anderes Produkt verwenden. Mit anderen Worten, wir bauen Flexibilität in den Automatisierungsprozess ein und senken auf diese Weise drastisch die Kapitalaufwendungen in der Fabrik“, erklärt Jönsson.
Zu viel des Guten?
Die Entwicklung der industriellen Automation orientiert sich zwangsläuan den Fortschritten in der Informationstechnologie. Manche sehen jedoch die latente Gefahr einer übertriebenen Technisierung der Fabriken. So gibt es tatsächlich aktuelle Beispiele von Fertigungsbetrieben, die nach der Umstellung auf Robotermontage einsehen mussten, dass manuelle Arbeitskraft wesentlich effizienter war.
Kinnander von Chalmers erzählt von einem großen Lkw-Hersteller, der Ende der achtziger Jahre beschloss, wegen Arbeitskräftemangel eine Achsenfabrik teilweise zu automatisieren. Leider war die Achsmontage für die Roboter eine schwere Aufgabe. Das Produkt war nicht für automatische Montage konstruiert, und nach sieben Jahren kehrte die Fabrik zur manuellen Montage zurück.