Winzig kleine Teilchen
Die neue Neutronenquelle des bekannten Oak Ridge National Laboratory wird ein Anziehungspunkt für Wissenschaftler aus ganz Amerika werden. Hier wollen sie Materie in ihrer kleinsten Erscheinungs-form untersuchen
Die neue Neutronenquelle des bekannten Oak Ridge National Laboratory wird ein Anziehungspunkt für Wissenschaftler aus ganz Amerika werden. Hier wollen sie Materie in ihrer kleinsten Erscheinungs-form untersuchen
Zwischen densanften Hügeln und breiten Flüssen im Osten von Tennessee liegt eines der berühmtesten Forschungslabors der USA, das Oak Ridge National Laboratory (ORNL), abgeschieden in ländlicher Idylle, umgeben von Kleinstädten. Die ehemalige geheime Atomwaffenanlage aus dem Zweiten Weltkrieg ist heute ein gewaltiger Komplex, der die leistungsstärkste Neutronenquelle der Welt beherbergt. Die damit verbundene öffentliche Forschungseinrichtung wird mit Sicherheit in den kommenden Jahren eine nie dagewesene Flut von wissenschaftlichen Erkenntnissen hervorbringen. Das SNS-Labor (SNS = Spallationsneutronenquelle) ist ein Gemeinschaftsprojekt von sechs Institutionen des amerikanischen Energieministeriums, darunter die staatlichen Labors Argonne, Brookhaven, Jefferson, Lawrence Berkeley, Los Alamos und Oak Ridge.
Jedes Labor wird eigene Forschung in der Anlage betreiben. Durch die Untersuchung von Neutronen erhalten die Wissenschaftler neue Erkenntnisse über Atome und Materie, die zu Materialverbesserungen in vielen verschiedenen Bereichen von Kunststoffen bis zu Windschutzscheiben, Flugzeugteilen und schuss-sicheren Westen und auch zu medizinischen Durchbrüchen wie etwa die Erzeugung von Radioisotopen geführt haben. Neutronen werden seit den 1940er Jahren mit Hilfe eines Reaktors erzeugt. In Zukunft wird man dafür jedoch einen Beschleuniger verwenden. Das Verfahren nennt sich Spallation.
„Seit 1960 hat es keinen echten Fortschritt mehr in der Reaktortechnologie als Neutronenquelle gegeben“, meint der Wissenschaftler John Ankner. „Reaktoren werden so heiß. Die Hitze setzt die Grenze für die Anzahl der Neutronen, die sie produzieren können. Die Spallation ist zehn bis fünfzehn Mal effizienter. Die nächste Generation wird in der Lage sein, einen um das Zehn- bis Hundertfache höheren Neutronenfluss zu erzeugen. Wir hoffen, dass wir mit dieser Art von Kapazität noch schneller zu neuen Erkenntnissen gelangen und neue Dinge entdecken werden, die wir bisher für undenkbar hielten.“
Die neue SNS-Anlage erhebt sich hoch oben auf einem Hügel, der Kastanienhügel (Chestnut Ridge) genannt wird. Das halbrunde fünfstöckige Bürogebäude aus Glas, Stahl und Beton im Anschluss an die Targetstation soll im April 2006 fertiggestellt sein. Wissenschaftler und Verwaltungspersonal sind bereits vor einem Jahr in den CLO(Central Laboratory and Office)-Komplex eingezogen.
Eine Brücke verbindet den CLO-Komplex mit der Targetstation, in der Neutronen durch Protonenbeschuss freigesetzt und für verschiedene Forschungsprojekte aufgefangen werden. Ein 500 Meter langer Linearbeschleuniger (LINAC) erstreckt sich von einem Gebäude links bis zu vier kleinen Kühltürmen. Der Stromverbrauch, um die Protonen von der „Front End“-Station mit nahezu Lichtgeschwindigkeit durch den LINAC zu treiben, wird so hoch sein, dass die Anlage ein eigenes Kraftwerk benötigt. Die Protonen strömen in einen Speicherring und werden dann in Richtung Targetmaterial, hier flüssiges Quecksilber, geschleudert. Die so freigesetzten Neutronen werden in 18 Strahllinien gestreut, die wie Sonnenstrahlen vom Target ausgehen.
Die Strahlliniensind unterschiedlich lang und jeweils so konzipiert, dass sie maßgeschneiderte Neutronenstrahlen erzeugen, die einzigartige Forschungsmöglichkeiten schaffen. Die Strahllinien sind mit optimierten Disk-, Fermi- und T-Zero-Choppern ausgestattet, das heißt mit mechanischen Vorrichtungen, die es Neutronen mit der passenden Geschwindigkeit ermöglichen, an ihren Zielpunkt zu gelangen, den Detektor, an dem die Wissenschaftler die von ihren Proben gestreuten Neutronen auffangen.
Ein entscheidendes Element, das diese Spallationsneutronenquelle zuverlässiger und produktiver macht als andere vergleichbare Anlagen sind die Chopper-Lösungen von SKF, die auf Magnetlagerung basieren und die rotierenden Scheiben in der Schwebe halten. Die Chopper von SKF sind praktisch wartungsfrei und eliminieren somit die zeitraubende, unter Umständen sogar gefährliche Wartung, die ansonsten alle zwei Jahre an derartigen Anlagen durchgeführt werden muss. „Andere Chopper mit Standardlagern, das heißt ohne magnetische Lagerung, muss ich alle zwei Jahre ausbauen und überholen“, sagt Bill McHargue, Chopper Lead in der Abteilung für Experimentiereinrichtungen.
Die Strahllinien sind von einer massiven Abschirmung aus Beton, Stahl und anderen undurchdringlichen Materialien umgeben. Die Abschirmung nimmt sehr viel Platz ein und erschwert den Zugang zu den Choppern. In der SNS-Anlage löst man das Problem, indem die Segmente der Abschirmung mit einem 30-Tonnen-Kran angehoben werden. Zehn bis 14 Tage lang muss die Anlage abgeschaltet bleiben. Erst dann ist die Strahlung auf ein Niveau gesunken, dass die Techniker an den Choppern arbeiten können. Ein hohes Maß an Zuverlässigkeit ist deshalb von ent-scheidender Bedeutung.
„Ja, die Technologie ist wirklich allen anderen Lösungen überlegen. Die Tatsache, dass Magnetlager im Grunde nicht verschleißen, verlängert die Nutzungsdauer. Das ist der eigentliche Clou“, meint Ankner. „Wartungsmaßnahmen müssen mit Vorsicht durchgeführt werden, damit niemand irgendwelcher Strahlung ausgesetzt wird. Wenn man die Abschirmung nicht anhebt, kann auch keiner eine Strahlendosis abbekommen.“
Die Chopper sind je nach Applikation auf die Spezifikationen der Wissenschaftler zugeschnitten. Die Größe der Schlitze und Fenster, durch die die Neutronen gelangen, kann in jedem Chopper modifiziert werden. Außerdem lassen sich die Chopper mit verschiedenen Werkstoffen beschichten, um die Absorption und Filtration von Neutronen zu steuern. Die meisten Strahllinien haben zwei bis vier Chopper, die synchronisiert sind, damit die ausgewählten Neutronen die rotierenden Scheiben passieren können.
Strahllinie sechs,ein kleinwinkliger Neutronenscanner, untersucht Atom- und Molekülaggregate wie Polymere, magnetische Domänen und alle Arten von Strukturen im Nanometerbereich. „Bioaggregate wie DNA-Proteinkomplexe, Muskelfasern und in Zellmembranen eingebettete Proteine sind besonders interessante Forschungsgebiete“, erklärt Ankner. „Die Strukturen dieser Objekte unter verschiedenen chemischen Bedingungen und Temperaturen zu messen, hilft uns, die Bakterien- und Virenfunktion, metabolische Prozesse und die Aktivität von pharmazeutischen Verbindungen zu verstehen.“
Das Rückstreu-Spektrometer der Strahllinie zwei misst die Anregung von Materie. „Teilweise hängt die Funktionsweise von Strukturen davon ab, wie sie zusammengesetzt sind. Gleichermaßen wichtig ist jedoch, wie sie intern reagieren“, so Ankner. „Wir werden in der Lage sein, in Materie hineinzuschauen und die mit Chemie und Katalyse verknüpften Atombewegungen zu beobachten. Auf diese Weise können wir sehen, wie natürliche und künstlich erzeugte Materie – Gase, Toxine, Kunststoffe, ja einfach alles – im Inneren funktioniert.“
Laut Ankner istdie Untersuchung von Neutronen besonders nutzbringend bei magnetischen Stoffen und Wasserstoffverbindungen, da diese für technische Applikationen wie etwa Computer sowie für die Entwicklung von Impfstoffen und Arzneimitteln oder die Konzipierung neuer Kunststoffe von besonderem Interesse sind.
„Nach 40 Jahren, in denen wir nie genügend Neutronen hatten, erhalten wir nun die phantastische Gelegenheit, technisch optimierte Instrumente mit einer erheblich produktiveren Neutronenquelle zu kombinieren“, sagt er. „Wir werden mehr brauchbare Neutronen zur Verfügung haben als je zuvor und damit in der Lage sein, Dinge zu erkennen, die wir bisher nicht sehen konnten. Wir sind eine wissensgenerierende Einrichtung.“
Alles unter Kontrolle
Chopper von SKF haben eine äußerst präzise Phasensteuerung, so dass der Anwender exakt weiß, wo sich die Nutzlasten oder Scheiben in Rotation befinden. Geschwindigkeit und Drehung der Welle können überwacht und bei Bedarf reguliert werden. Ein weiterer Vorzug der SKF Chopper ist ihr extrem kompaktes Steuerungsgerät vom Typ MB350 PC/R. Es ist 9 Zentimeter hoch und 48 Zentimeter lang und enthält die Steuerung der Magnetlager, sowie die Leistungselektronik und den Frequenzausrichter für Motorantrieb. Chopper und Motor lassen sich dank benutzerfreundlicher Echtzeitkommunikation vom Bediener problemlos steuern. Die SNS-Anlage von Oak Ridge wird zwischen 50 und 60 Chopper von SKF benötigen, wenn die Strahllinien fertiggestellt sind. „SKF bietet eine sehr attraktive Option“, sagt Bill McHargue, Chopper Lead in der Abteilung für Experimentiereinrichtungen. Drei SKF Choppersind für das SNAP, ein Hochdruck-Diffraktometer, vorgesehen, das für die Untersuchung von geologischen Phänomenen verwendet wird. Es simuliert hohe Drücke, wie sie im Zentrum der Erdkugel vorkommen, und ermöglicht so Prognosen über das Verhalten von Mineralien unter Druck. Dieses Wissen könnte dabei helfen, beispielsweise die Schwere und den Zeitpunkt von Erdbeben vorauszusagen.