Ferraris Erfolgsgeheimnis

    „Das Verfahren ist altbewährt“, sagt Hughes.

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Ferraris Formel-1-Rennwagen F2002 gilt als das „wohl beste technische Konzept
seit zehn Jahren“. Evolution versucht, einige der Geheimnisse dieses Superautos
zu enthüllen.
Die Heimlichtuerei in der Formel 1 gehört einfach zu diesem gigantischen
Sportspektakel dazu. Deshalb überrascht es nicht, dass Ferraris technischer
Direktor, Ross Brawn, nur ironisch lächelt, wenn er nach den technischen Details
des F2002-Rennwagens befragt wird.

    Unter Druck gesetzt enthüllt Brawn, dass seiner Ansicht nach
die bedeutendste Neuentwicklung im F2002 verglichen mit dem Vorjahresmodell
F2001 das Getriebe sei, an dem zwei Jahre lang gearbeitet wurde. Dieser
Einschätzung stimmen zahlreiche Beobachter zu.

    „Es ist kürzer, schmaler und leichter geworden“, sagt er.
„Der Getriebekasten ist zunächst einmal aus Titan. Wir haben den Schwerpunkt
tiefer gelegt, die Aerodynamik verbessert [um fünf Prozent] und das
Trägheitsmoment verringert. Die Masse der äußersten Chassisteile des Wagens
bewirkt einen Pendeleffekt, das heißt, indem man das Gewicht dieser Teile
reduziert, erzielt man eine bessere Reaktionsfähigkeit.“

    Der Wagen unterscheidet sich in sieben wesentlichen Bereichen
von seinem Vorgänger: Motor, Chassis, Aerodynamik, Getriebe, Aufhängung,
Steuerung und Elektronik.

    Formel-1-Teams versuchen zwangsläufig, Informationen
weitgehend geheim zu halten. Die starke Konkurrenz innerhalb dieser Branche
sorgt jedoch dafür, dass man trotzdem an Informationen „herankommt“, dass Dinge
„irgendwie“ an die Öffentlichkeit gelangen. Die Hersteller von Rennwagen sind
ständig auf der Jagd nach geheimen Daten, die ihnen dabei helfen könnten,
eventuelle Leistungsunterschiede zu konkurrierenden Fahrzeugmodellen
auszugleichen oder sogar einen Vorsprung zu erzielen.

    Einer derjenigen, der an Informationen herankommt, ist der
führende Formel-1-Kommentator Mark Hughes in Großbritannien. Er hält den F2002
für „den mit Abstand schnellsten auf der Rennbahn – ohne Zweifel eine eindeutige
Verbesserung im Vergleich zum Vorjahresmodell“.

    „Was ist das Geheimnis des F2002?“ fragt er. „Ich würde
sagen, Verbesserungen gibt es vor allem in zweierlei Hinsicht. Zum einen die
bedeutenden aerodynamischen Vorteile, die hauptsächlich auf das neue Getriebe
zurückzuführen sind. Zum anderen der erhebliche Fortschritt bei der
Geschwindigkeit in Geradeausfahrt, die beim F2001 gegenüber Williams zu wünschen
übrig ließ.“

    Der F2002 erzeugt bis zu 850 PS, eine Verbesserung um 15 PS
im Vergleich zum Modell der vergangenen Saison. Die Motorstärke liegt damit
ungefähr auf demselben Niveau wie der Williams-BMW, dessen Leistung auf 845 bis
850 PS geschätzt wird. „Es scheint, als ob Ferrari nach der letzten Saison
ausgezogen sei, um die Geheimnisse von BMW zu erforschen. Kein anderer kann hier
konkurrieren. Diese beiden Rennwagen sind in Bezug auf ihre Leistung anderen
Modellen um 50 bis 60 PS voraus“, meint Hughes.

    Obwohl die Eigenschaften eines Motors zu den bestgehüteten
Geheimnissen der Formel 1 gehören, wissen die Hersteller, wie sie die Leistung
ihrer Konkurrenten ausfindig machen können.

    Und so funktioniert es. Auf der Rennstrecke wird am Ende
einer Geraden ein Aufzeichnungsgerät aufgestellt, das die Geschwindigkeit eines
bestimmten Wagens sowie (mit Hilfe der so genannten Schallmessung) dessen
Motorgeräusch misst, um so die Drehzahl des Motors bei einer gewissen
Geschwindigkeit zu berechnen. Ausgerüstet mit diesen Zahlen und dem
Luftwiderstandsbeiwert des Wagens, der allgemein bekannt ist, lässt sich die
PS-Leistung eines Motors ausrechnen.

    „Das Verfahren ist altbewährt“, sagt Hughes.

    In Übereinstimmung mit Brawn ist auch Hughes der Meinung,
dass die aerodynamischen Vorzüge des F2002 auf das kürzere, superleichte
Getriebe zurückzuführen sind. „Ferrari nähert sich einem vorderen Anpressdruck
von 300 Kilogramm. Der Anpressdruck in diesem Bereich ist ein schwieriges
Problem und bei Fahrzeugen dieser Generation der ausschlaggebende Faktor für
hohe Geschwindigkeiten. Hier ist Ferrari den anderen um etwa zehn Prozent
überlegen.“

    Der für Grand Prix-Rennen zuständige Redakteur des
einflussreichen Rennsportmagazins Autosport, Jonathan Noble, nennt den F2002 das
„wohl beste Formel-1-Konzept seit zehn Jahren“, das heißt seit 1992, als sich
Nigel Mansells Williams einer vielleicht noch größeren technischen Überlegenheit
rühmen konnte.

    Nach Aussage von Brawn repräsentiert der Wagen Ferraris
Philosophie – Fortschritt durch Stabilität. „Für mich ist es wichtig, eine
möglichst stabile technische Gruppe zu haben, was bedeutet, dass die Leute
bereits an ihrem vierten oder fünften Ferrari arbeiten und somit wissen, worum
es geht.“

    Er beschreibt die Entwicklung eines jeden Rennwagens – die im
übrigen während der gesamten Saison weitergeht – als einen Evolutions- oder
Verfeinerungsprozess. „Um es deutlich zu machen, ich sagte zu meinen Leuten,
‚wir werden erst dann einen neuen Wagen bauen, wenn Ihr mir beweisen könnt, dass
wir eine halbe Sekunde pro Runde schneller werden‘. Wir reden zurzeit von
Hundertstel Sekunden pro Runde. Schon ein Zehntel ist kaum zu schaffen. Zwei
oder drei PS mehr bedeuten einige Hundertstel. Das gleiche gilt für zwei bis
drei Kilo mehr Anpressdruck.“

    Technischer Fortschritt in der Werkstatt ist eine Sache, er
muss sich jedoch auch auf der Rennstrecke bewähren und unter Beweis stellen,
dass damit echte Ergebnisse zu erzielen sind. Aus diesem Grund legt ein
Rennwagen jedes Jahr 40.000 bis 50.000 Kilometer an Testfahrten zurück. Das
Ferrari-Team untersucht jährlich etwa 100 Rennmotoren, um die Testergebnisse zu
untermauern.

    Der F2002 setzt die bemerkenswerte Reihe von Modellen fort,
die Ferrari in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Das Team gewann seit 1999
in jedem Jahr den Konstrukteurstitel und kann sich inzwischen auch über drei
Fahrertitel – 2000, 2001 und 2002 – freuen.

    Wie Brawn betont, geht es bei der Heimlichtuerei im
Zusammenhang mit den technischen Details dieses Wagens hauptsächlich darum,
sauer verdiente Konkurrenzvorteile zu bewahren. „Wir arbeiten enorm hart, um
etwas zu erreichen. Da sind wir natürlich nicht bereit, Einzelheiten
preiszugeben.“

    So wird denn auch Sicherheit in der Ferrari-Fabrik in
Maranello großgeschrieben.

    Das größte Sicherheitsrisiko, meint Brawn, bestehe jedoch
darin, dass wichtige Leute des Ferrari-Teams von der Konkurrenz abgeworben
werden könnten und geheime Daten mitnehmen. In Formel-1-Kreisen werden hohe
Prämien für Leute mit derartigen Insider-Kenntnissen gezahlt.

    Die ganze Heimlichtuerei trägt natürlich zur Dramatik der
Formel 1 bei.

    „Die Gladiatoren ziehen am Sonntag Nachmittag aus, um zu
kämpfen, und ihre Streitwagen sind die Gefährte, die wir konstruieren“, erklärt
Brawn. „Wenn ein Streitwagen ein Rad verliert, kommt er nicht weiter. Niemand
wird Ihnen verraten, wie die Wagen zusammengebaut sind, denn dadurch würde man
seinen Vorsprung einbüßen.“

    „Zum Formel-1-Zirkus gehört, dass die Leute von der Technik,
und vor allem vom Mythos im Zusammenhang mit der Technik fasziniert sind. Sie
erleben das bisschen Spionage und Gewieftheit, das die Welt der Formel 1 umgibt,
als etwas Spannendes. Und ich gebe zu, dass es mir genauso geht.“

David Passey  

Journalist bei Appelberg und Redakteur von Evolution  

Fotos Antonia Nusca und Ferrari

 

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