Geräusch und Schwingungen in Servolenkungen

Weniger Geräuschentwicklung der Fahrzeugkomponenten ist ein Schwerpunkt in der Entwicklung
leiser Fahrzeuge

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Außergewöhnliche Geräuschemissionen von Bauteilen können auf falsche Schmierbedingungen hindeuten und erhöhten Verschleiß oder Ermüdung zur Folge haben.

Meist entsteht ein Geräusch, wenn Konstruktionselemente in Schwingung geraten. Reibungsinduzierte Schwingungen werden durch instabile Reibung zwischen zwei Bauteilen erzeugt. Dabei hängt die erforderliche Reibungskraft von der relativen Geschwindigkeit zwischen den beiden Teilen ab.

Bei der Untersuchung der Geräuschentstehung in Servolenkungen konzentrierte man sich auf die Ritzeldichtung und suchte nach einem Kriterium, um das Auftreten von Geräusch beim Gleiten von Gummi oder Kunststoff auf einer metallischen Oberfläche vorherzusagen.

Die Untersuchung von geräuschbedingten Problemen ist komplex. Zunächst muss das Geräusch unter Laborbedingungen reproduziert werden. Die Geräuschanregung hat meist mehrere Ursachen und wird vom Körperschall und von Schwingungen aus dem System überdeckt. Es kann sogar zu Überlagerungen und Verstärkungen aus der Baugruppe kommen.

Das Geräusch im Lenkungsgetriebe war nicht leicht zu erfassen. Es trat nur bei wenigen Fahrzeugen auf und dann auch nur zeitweise. Auch die Temperatur des Getriebeöls und die Lenkkraft beeinflussen das Auftreten des Geräuschs.

Bei der Reproduktion eines Geräuschs musste auch sichergestellt sein, dass es genau dem Geräusch unter Betriebsbedingungen entsprach. Daher wurde zunächst das „echte“ Geräusch aufgezeichnet, das Signal bestimmt und die Quelle ermittelt. Dann hat man das Geräusch im Labor reproduziert und die Übereinstimmung mit dem Originalgeräusch geprüft. Schließlich wurden die wichtigsten Faktoren für die Entstehung des Geräuschs identifiziert, das Geräusch diesen Faktoren zugeordnet und Maßnahmen zum Verhindern der Geräuschentstehung erarbeitet.

Beobachtungen im Feldversuch

Das Geräusch des Lenkgetriebes wurde unter Betriebsbedingungen bei unterschiedlicher Belastung aufgezeichnet. Charakteristisch war ein tiefes „ziz“. Das Geräusch trat erst im warmgelaufenen Fahrzeug auf und stieg mit höherer Lenkkraft. Das Geräusch wurde mit dem SKF Zustandsüberwachungssystem Microlog analysiert (Frequenzanalyse siehe Abb. 1). Das Geräuschspektrum ist generell hilfreich bei der Analyse harmonischer Schwingungen, die in der graphischen Darstellung als einzelner Spitzenwert erscheinen. Selbst wenn das Geräusch überlagert wird, so können diese Hintergrundgeräusche durch Vergleiche mit anderen Fällen aus dem Frequenzspektrum ausgefiltert werden. Das „ziz“ war aber keine harmonische Schwingung, so dass eine Frequenzdarstellung keinen Aufschluss geben kann.

Die Art des Geräuschs wird aus Aufzeichnungen im Zeitbereich deutlich. Abb. 2 zeigt Spitzenwerte der Schallintensität über die Zeit. Jede Gruppe steht für das Geräusch bei einer Drehung des Lenkrads. Der Abstand bezeichnet entsprechend den Zeitabstand zwischen zwei Lenkeinschlägen.

Abb. 3 zeigt, dass das „ziz“ auf einen fast periodischen Ablauf einzelner Ereignisse zurückgeht, wie er für den Stick-slip-Effekt charakteristisch ist. Die regelmäßigen rechteckigen Impulse mit einer Periode von 0,0507 Sekunden fallen fast genau mit den einzelnen Spitzenwerten zusammen. Bei Stick-slip beträgt die geschätzte Frequenz 19,7 Hz. Da jedes Ereignis als Spitzenwert über der Zeit erscheint, wird klar, warum im Frequenzbereich keine Analyse möglich war. Denn jeder Effekt mit Spitzenwert zerfällt in eine Vielzahl verschiedener Frequenzen.
Die Frequenzen, die den Eigenfrequenzen des Bauteils entsprechen, werden verstärkt, die anderen werden gedämpft. Daher kann eine Analyse des Geräuschspektrums nur Hinweise auf die Resonanzfrequenzen und andere harmonische Schwingungen geben.

Die Darstellung über die Zeit ergibt eine leicht erkennbare Signatur dieses Geräuschs. Wenn ein Geräusch im Versuch gleiches oder ähnliches Verhalten über die Zeit aufweist, dann kann man davon ausgehen, dass es sich um dasselbe Geräusch handelt wie im Fahrzeug.

Geräuschquelle

Um die Geräuschquelle zu bestimmen, wurden die „lauten“ Lenkgetriebe aus dem Fahrzeug ausgebaut und im Labor untersucht. Die Servolenkungspumpe als eine der wesentlichen Geräuschquellen wurde außerhalb des schalltoten Raums installiert, der Druck der Lenkflüssigkeit über flexible Leitungen übertragen. Das Lenkgetriebe war in einem Prüfstand eingesetzt (Abb. 4), der Versuche in Abhängigkeit von Lenkgeschwindigkeit, Öldruck, Öltemperatur und Zahnstangenbelastung erlaubt. Über Messungen wird die Geräuschquelle identifiziert. Zunächst wurden Ritzeldichtung, Antriebswellendichtung, innere und äußere Zahnstangendichtung sowie Kolbendichtung als Geräuschquelle angenommen. Nach den ersten Tests kamen noch zwei „Verdächtige“ in Frage: die Zahnstangendichtungen und die Ritzeldichtung. In einem Matrix-Experiment (Tabelle 1) blieb nur die Ritzeldichtung übrig. Labortests haben bestätigt, dass das Geräuschsignal dem aus den Feldversuchen ähnelt.

Aufzeichnung der Geräusche

Im Prüfstand für die Geräuschuntersuchungen sind die Dichtungen entweder in einer speziellen Stahlaufnahme oder in den Bauteilen aus dem Lenkgetriebe montiert. In der Stahlaufnahme saßen zwei Ritzeldichtungen, im Lenkgetriebe eine Radial-Wellendichtung und eine Ritzeldichtung. Die Ritzelwelle mit einem Durchmesser von 23,125 mm ist dabei über ein Drehmomentmessgerät und eine flexible Kupplung mit einem drehzahlregelbaren Elektromotor verbunden. Die Übertragung der Schwingungen von Motor und Prüfstand auf den Prüfling konnte so vermieden werden.

Das Öl im Aufnahmegehäuse wurde über ein Thermoaggregat auf konstanter Temperatur gehalten. Die Drehzahl lag zwischen 1 und 30 U/min und damit in dem bei Servolenkungen üblichen Bereich. Der hohe Spitzendruck in der Anwendung wurde durch Beaufschlagung mit komprimiertem Stickstoff erreicht. Für die Untersuchungen wurden Dichtungen aus hydriertem Acrylnitril-Butadien-Kautschuk (HNBR) mit einer Radialkraft von 2,189 N/cm und Dichtungen aus Fluor-Kautschuk (FKM) mit einer Radialkraft von 2,736 N/cm eingesetzt. Koaxialität und Rundlaufabweichung wurden für die Tests auf 0,125 mm eingestellt.

Die Geräusche wurden aufgenommen und die jeweiligen Drehmomente erfasst.
Zuerst konnte das Geräusch nicht reproduziert werden, denn auch an den „lauten“ Dichtungen aus dem Feldversuch traten im Simulator keinerlei Schwingungen auf. Nur mit vor dem Einbau chemisch gereinigten Dichtungen ließ sich das Geräusch reproduzieren. Es trat fast immer bei 71 °C Öltemperatur und 0,54 Mpa Öldruck auf, also unter den bei Servolenkungen üblichen Betriebsbedingungen.

Die auf dem Prüfstand ermittelten Geräuschstrukturen wurden mit denen aus dem Feldversuch verglichen und Übereinstimmung festgestellt. Das gemessene Drehmoment bei zunehmender Lenkwellendrehzahl ist in Abb. 6 dargestellt. Es sind zwei unterschiedliche Kurven zu erkennen. Der Kurve mit den größeren Ausschlägen lassen sich die Zähne des Zahnrades auf der Lenkwelle zuordnen, deren Bewegungen von einem Sensor erfasst wurden. Mit Hilfe dieses Sensors war möglich, die Drehzahl genau zu messen und den jeweiligen Drehwinkel zu erfassen, bei dem das Geräusch einsetzte und wieder verstummte. Das Ergebnis der Drehmomentmessung gibt die zweite Kurve wieder, wobei die Lage dieser Kurve zur Nulllinie die Größe des Drehmoments kennzeichnet. Die Messschriebe der zweiten Kurve liegen so nahe beieinander, dass sie im Diagramm als Band erscheinen.

Das Reibungsmoment an der Lenkwelle ändert ständig seine Größe, da aufgrund der vorgegebenen Einbaubedingungen die auf die Dichtlippe wirkende Radiallast unterschiedlich groß ist. Das dabei auftretende Geräusch konnte durch Aufweitung des genannten Bandes und durch akustische Aufzeichnungen festgestellt werden. Unter Betriebsbedingungen trat das Geräusch bei 4 bis 6 U/min zum ersten Mal auf. Bei 11 Umdrehungen wurde das Geräusch unregelmäßig, und bei 15 U/min hörte es ganz auf. Die nachfolgende Testreihe wurde am Lenkstangensimulator mit Dichtungen aus FKM- und HNBR-Werkstoff bei unterschiedlichen Temperaturen durchgeführt. Die Ergebnisse der Geräuschmessungen sind in Abb. 7 und 8 dargestellt.

Diskussion

Geräusche sind schwer reproduzierbar. In echten Lenkgetrieben setzte das Geräusch bei ca. 6 U/min ein und hörte bei ca. 15 U/min wieder auf. Im Lenkstangensimulator dagegen war es fast über den gesamten Testbereich von 5 bis 30 U/min festzustellen. Unter gleichen Bedingungen wurden mit anderen Dichtungen Ergebnisse festgestellt, die leicht von denen in Abb. 7 und 8 abweichen.
Die Untersuchung des Reibungsmoments an der Lenkwelle (Abb. 9) liefert die Erklärung hierfür. Bei Drehzahlen ab 4 U/min nimmt das Moment mit steigender Drehzahl ab. Dies ist eine notwendige Voraussetzung für die Instabilität eines harmonischen Oszillators bei Reibung, was zu einer periodischen Erregung führt, die als Geräusch wahrgenommen wird. Eine Dichtlippe ist normalerweise kein harmonischer Oszillator, kann aber mathematisch so dargestellt werden. Bei 15 U/min wird die Ableitung des Reibmoments positiv, die Voraussetzung für das Geräusch ist nicht länger gegeben, das Geräusch tritt nicht mehr auf.

Es hatte nicht überrascht, dass die Geräuschentwicklung stets unterschiedlich ausfiel, denn Reibungskräfte sind nur schwer reproduzierbar, und der Bereich mit negativer Ableitung des Reibungsmoments ist bei jeder Dichtung unterschiedlich. Daneben ist die negative Ableitung des Reibungsmoments nur die notwendige, nicht die hinreichende Bedingung für die Instabilität.
Untersuchungen legen nahe, dass bei bestimmten Bedingungen die ursprüngliche Störung selbst bei Instabilität durch die Reibung unterdrückt werden kann. Wenn durch eine Verunreinigung eine willkürliche Veränderung an der Berührungsstelle auftritt, kann auch das Bedingungen schaffen, die das Geräusch unterdrücken. Damit lässt sich erklären, warum das Geräusch bei den nicht gereinigten Dichtungen so schwer reproduzierbar ist.

Die negative Ableitung des Drehmoments als Bedingung für die Instabilität ist nicht die alleinige Voraussetzung für das Auftreten von Geräuschen. In jedem Fall jedoch tritt bei positiver Ableitung kein Geräusch auf. Dies haben Versuche mit Dichtungen gleicher Geometrie aus HNBR- und FKM-Werkstoff ergeben. Bei typischen Anwendungsbedingungen, einer Temperatur von 82 ºC und Drücken von 0,13 bis 0,54 Mpa ergab sich bei den Dichtungen aus HNBR eine positive Ableitung, und es traten keine Geräusche auf. Dieses Kriterium war hilfreich zur Beurteilung der Situationen, in denen Geräusch entsteht. Das Kriterium ergab sich aus der Analyse eines einfachen Oszillators, bei dem die Reibung von der Reibgeschwindigkeit abhängt. Der Autor dieses Artikels hat daraus eine Theorie für die Formulierung des Instabilitätskriteriums für Elastomerwerkstoffe entwickelt. Sie basiert auf der Beschreibung des Kriteriums in Form der folgenden Ungleichung:

Hierin sind > ein vom Werkstoff abhängiger Spannungsphasen-Verschiebewinkel für harmonische Schwingungen, ln(vs ) der natürlichen Logarithmus von vs, der Dichtlippen-Gleitgeschwindigkeit auf der Welle, und F(vs) die von der Oberflächengeschwindigkeit vs abhängigen Reibungskraft.

Unter diesen Bedingungen liegt Instabilität vor und ist die Entstehung von Geräuschen möglich. Wenn die obige Ungleichung nicht erfüllt ist, läuft das System ruhig.

Die für die Ritzeldichtungen errechnete Reibungszahl variiert stark, ist aber immer größer als 0,5. Dies zeigt, dass die Dichtungen im Betrieb trocken oder mit Grenzschmierung laufen. Bei allen Elastomerwerkstoffen hängt die Reibung von der Gleitgeschwindigkeit ab. Die Lage der jeweiligen Spitzenwerte ist vom Werkstoff wie von der Temperatur und der Oberflächenbeschaffenheit der Gleitflächen abhängig. Auch wurde festgestellt, dass die Spitzenwerte und die Temperatur, bei der Elastomerwerkstoff versprödet, in einem gewissen Verhältnis stehen. Im Drehzahlbereich oberhalb des Reibungs-Spitzenwerts ist die Ableitung der Reibung negativ, und es besteht daher die Möglichkeit der Geräuschentwicklung. Um sie zu vermeiden, ist ein Elastomerwerkstoff zu wählen, bei dem die zum Reibungsspitzenwert gehörende Drehzahl ausreichend weit über den Parametern der jeweiligen Anwendung liegt. Der in den Tests verwendete HNBR-Werkstoff wies die erforderlichen Eigenschaften auf und ist daher für solchen Anwendungen besser geeignet als FKM-Kautschuk.

HNBR-Werkstoff hat gegenüber FKM noch andere Vorteile. Unter anderem hat HNBR eine höhere Affinität gegenüber dem Schmierstoff, so dass er den Ölfilm besser halten kann. So lange kein Trockenlauf oder keine Mangelschmierung vorliegen, entsteht kein Geräusch. Somit ist die Verwendung von HNBR für die Abdichtung von Ritzeln in Servolenkungen empfehlenswert.

Schlussfolgerungen

Die „ziz“-Geräusche werden von den Ritzeldichtungen verursacht. Sie wurden unter Laborbedingungen reproduziert und aufgezeichnet. Geräusche traten immer dann auf, wenn die Dichtlippen nicht ausreichend mit Schmierstoff versorgt waren und die Parameter Drehzahl, Öltemperatur und Druck, unter denen bei FKM-Bauteilen Geräusche entstehen, mit den bei Servolenkungen typischen Parametern übereinstimmten.

Die Auswertung der Geräuschuntersuchung ergab, dass sich bessere Betriebsergebnisse mit sorgfältig ausgewählten HNBR-Werkstoffen erzielen lassen. Auch wurde ein neues Kriterium für Schwingungsinstabilität abgeleitet und verifiziert, das für einen breiten Bereich von Betriebsparametern Gültigkeit hat.

Alexander Berdichevsky

Chicago Rawhide, Chicago, Illinois, USA

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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