Glücksrad

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Unter dem Titel „Millennium Link“ werden zurzeit historische Wasserstraßen zwischen Glasgow und Edinburgh reaktiviert. Kernstück des gigantischen Projekts ist das Falkirk WheelSchottland war Ende des 18. Jahrhunderts als Teil eines Inselreichs völlig abhängig vom Wasser. Die Meere dienten als Schutz vor kriegerischen Eindringlingen und als scheinbar unerschöpfliche Nahrungsquelle. Die Flüsse im Landesinneren mit ihrer starken Strömung hielten die Maschinerie der Eisenwerke und Textilfabriken in Gang, die im Zuge der Industriellen Revolution entstanden waren.
   Es dürfte also kaum überraschen, dass Wasser auch in einem anderen Zusammenhang eine wesentliche Rolle spielte, nämlich in dem Netzwerk von Kanälen, deren Ursprung auf das 18. Jahrhundert zurückgeht. Diese Kanäle schufen völlig neue Möglichkeiten für den Waren- und Personentransport.
   Zu Beginn der Industriellen Revolution hatten die meisten Schotten, die im Landesinneren wohnten, die umliegenden Meere noch nie zu Gesicht bekommen, geschweige denn, je eines der großen Seeschiffe bestiegen. Für diese Leute bedeuteten Reisen durch das Land stunden- oder sogar tagelange Strapazen auf holprigen lehmigen Feldwegen. Welche enormen Verbesserungen der Forth and Clyde Kanal gegen Ende des 18. Jahrhunderts darstellte, wird unter diesem Aspekt deutlich. Schließlich war es der erste Kanal der Welt, der zwei Meere miteinander verband.
Wiedergeburt
Die glorreichen Tage der künstlichen Wasserwege von Zentralschottland sind längst vorbei. Nun aber wurden die beiden Hauptkanäle der Region, der Forth and Clyde und der Union Kanal, 40 Jahre nach Einstellung des Schiffsverkehrs reaktiviert. Mit einem Kostenaufwand von 78 Millionen Britischen Pfund (rund 127 Millionen Euro) wurden sie im Rahmen einer Kampagne mit dem großartigen Titel „Millennium Link“ vor dem Verfall und Ruin gerettet.
   Damit nicht genug, sollen die beiden Wasserstraßen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die früher einmal über elf Schleusen miteinander verbunden waren, schon bald wieder zusammengefügt werden, und zwar mittels einer einzigartigen technischen Lösung des 21. Jahrhundert, einer Riesenradkonstruktion für Schiffe, genannt Falkirk Wheel.
   Das Falkirk Wheel ist die Hauptattraktion der „Millennium Link“-Kampagne von British Waterways. Das Konzept war überaus ambitiös. Ein gigantischer rotierender Bootlift, in seiner Art einzig in der Welt, nimmt in seinen Gondeln bis zu vier Boote gleichzeitig auf und hebt sie über den 35 Meter großen Höhenunterschied zwischen dem Becken des einen Kanals und dem gewaltigen Aquädukt des anderen. Das ganze findet statt am Falkirk Wheel Interchange, ein 17 Millionen Pfund teures Bauprojekt. Der einzigartige Charakter des Vorhabens erstreckt sich auch auf den Ort, der für das Falkirk Wheel gewählt wurde.
   Die elf Schleusen, die die beiden Kanäle früher einmal miteinander verbanden, fielen schon vor über 70 Jahren der Expansion der Städte zum Opfer. Deshalb musste sich British Waterways für eine neue Verbindungsstelle zwischen den Kanälen entscheiden, die zudem anders aussehen sollte als die frühere Lösung. Der Union Kanal wurde um 1,3 Kilometer in westliche Richtung verlängert und dann mittels zwei herkömmlicher Schleusen abgesenkt. Von dort aus sollte er unterirdisch verlaufen, nicht nur unterhalb eines Wohngebiets, einer stark befahrenen Straße und der Haupteisenbahnverbindung zwischen Edinburgh und Glasgow, sondern auch unterhalb des historisch wertvollen Antoniuswalls aus der Römerzeit.
   Der Kanal taucht oben an einem Hang wieder auf und wird über ein 30 Meter hohes Aquädukt über die Talsohle geführt. Dieser im Entstehen begriffene architektonische Meilenstein wird bald wie ein gigantisches Dock aus einem künstlichen 100 Meter breiten Wasserbecken herausragen, das zurzeit am Forth and Clyde Kanal gebaut wird. Zu der Anlage gehört auch ein ganzjährig geöffnetes futuristisches Besucherzentrum, von dem aus das Falkirk Wheel in Aktion zu sehen ist.
Kooperationsprojekt
Das Projekt ist nicht nur das Ergebnis von beeindruckender Genialität und Entschlossenheit, sondern auch einer nie dagewesenen Zusammenarbeit von unterschiedlichen lokalen und nationalen Organisationen. Nicht weniger als 15 Finanzierungsinstitutionen beteiligten sich an dem gewaltigen Etat und eine Vielzahl von Experten trieben das Projekt voran. Unter der Leitung von British Waterways wurden die Bauarbeiten von dem Gemeinschaftsunternehmen Morrison-Bachy-Soletanche mit Unterstützung der Beratungsfirmen Ove Arup Consultants und Butterley Engineering aus Derbyshire (England) durchgeführt. Das vorgefertigte Rad wurde in 20 Teilen nach Falkirk transportiert und vor Ort unter Verwendung von über 20.000 Schrauben zusammengebaut. SKF hatte nach den Wünschen des Kunden Lager mit einem Durchmesser von vier Metern konstruiert, die den speziellen Anforderungen des gewaltigen Rades Rechnung tragen (siehe Kasten nebenan). Das bauliche Konzept stammt von dem schottischen Architekturbüro RMJM, wobei die ursprünglichen Entwürfe von Nicoll Russell Studios sowie von dem Ingenieurbüro Binnie, Black & Veatch geliefert wurden.
   „Das Ergebnis dieser umfangreichen Zusammenarbeit ist vielversprechend und erheblich mehr wert als die Summe der einzelnen Bestandteile“, sagt Marischal Ellis, der bei British Waterways als Hauptprojektverantwortlicher für Falkirk Interchange zuständig ist. Und das war schließlich auch das Ziel des ganzen Reaktivierungsvorhabens.
   „Die Reaktivierung der Kanäle soll zur wirtschaftlichen Belebung der gesamten Region und ihrer Gemeinden beitragen, indem ausgedientes Land in friedvoller Umgebung wieder zu neuem Leben erweckt wird“, so Ellis. „Die Kanäle werden eine große Attraktion, die nicht nur einheimische, sondern auch internationale Touristen anziehen wird.“
Touristenattraktion
Die einzigartige Konstruktion besteht aus zwei Caissons – 22 Meter lange Tröge, die die Funktion eines Kanalabschnitts übernehmen. Jeder Trog ist für eine maximale Nutzlast von 300 Tonnen auslegt, die sich aus dem Gewicht von 250.000 Litern Wasser und bis zu vier Booten zusammensetzt. Gehalten werden die Caissons von riesigen 500 Tonnen schweren Trägern, deren Form an die keltische Doppelaxt oder an ein Claymore-Schwert erinnert. Die Träger rotieren in regelmäßigen Abständen um jeweils 180 Grad.
   Die Royal Fine Art Comission von Schottland beurteilt das Falkirk Wheel wie folgt: „Es wurde eindeutig der Versuch unternommen, mit dem Falkirk Wheel eine Konstruktion für das 21. Jahrhundert zu schaffen, die eine Art modernes Kunstwerk darstellt…, in der Tat eine spannende Lösung.“
   Früher dauerte der Übergang von einem Kanal zum anderen mehrere Stunden, wobei elf Schleusen zu überwinden waren. Ab Anfang 2002 werden die Boote in der Lage sein, innerhalb von 15 Minuten vom Forth and Clyde Kanal im Tal bis zum Aquädukt des Union Kanals -beziehungsweise umgekehrt – zu gelangen.
   Schottlands bekanntestes Exporterzeugnis ist Whisky, oft als „Wasser des Lebens“ bezeichnet. Zumindest in einem Teil des Landes gibt es nun jedoch ein neues „Wasser des Lebens“, nämlich die reaktivierten und über das Falkirk Wheel verbundenen Kanäle.
Ron McMillan
  
Technikjournalist in Schottland
  
Fotos Ron McMillan
  

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