Hoch hinaus MISTRALS Supermotor
MISTRAL Engines hat einen neuen flüssigkeitsgekühlten, elektronisch gesteuerten Hybrid-Kreiskolbenmotor entwickelt, der auf die Anforderungen der Allgemeinen Luftfahrt im 21. Jahrhundert zugeschnitten ist
MISTRAL Engines hat einen neuen flüssigkeitsgekühlten, elektronisch gesteuerten Hybrid-Kreiskolbenmotor entwickelt, der auf die Anforderungen der Allgemeinen Luftfahrt im 21. Jahrhundert zugeschnitten ist
Als Demonstration von schwingungsfreiem Betrieb war es beeindruckend. Yann Olivier stellte ein Glas Wein auf den Motor und öffnete die Drosselklappe. Die Drehzahl stieg rasant – auf 3.000, 4.000, 5.000 und mehr min-1. Der Abgaskrümmer glühte zunächst rot, dann weiß, aber das Glas stand immer noch sicher auf seinem Platz. Die Oberfläche des Weines bewegte sich kaum. „Versuchen Sie das einmal mit einem Hubkolbenmotor – das Glas wird sofort herunterfallen“, lacht Olivier.
Olivier ist Systemleiter für den Bereich Triebwerke bei MISTRAL Engines SA, einem Schweizer Unternehmen mit Sitz in Genf, das einen innovativen Kreiskolbenmotor für die Allgemeine Luftfahrt (General Aviation – GA) mit zahlreichen Vorteilen gegenüber Hubkolbenmotoren entwickelt hat.
Der Deutsche Felix Wankel entwickelte in den 1950er Jahren den Kreiskolbenmotor. Der erste erfolgreiche Prototyp kam 1957. In einem Wankelmotor rotiert ein Läufer mit drei Kanten und leicht nach außen gewölbten Flanken in einem fast ovalen Gehäuse (Epitrochoide ist die korrekte Bezeichnung für diese Form). Die Verbrennung erfolgt in dem Raum zwischen Läufer und Gehäuse. Da hier, anders als beim Hubkolbenmotor, keine Teile besonders hohen Beanspruchungen ausgesetzt sind, ist der Kreiskolbenmotor zuverlässiger, langlebiger und wartungsärmer. Er ist zudem kompakt, hat ein günstiges spezifisches Leistungsgewicht und kann mit verschiedenen Kraftstoffarten verwendet werden.
Kreiskolbenmotoren treiben die unterschiedlichsten Fahrzeuge und Geräte an, darunter Autos, unbemannte Flugzeuge, Go-Karts, Jet-Skis, Kettensägen und Hilfstriebwerke. Als Kfz-Antrieb wird er vor allem von dem japanischen Autohersteller Mazda eingesetzt. 1991 gewann ein Mazda mit Wankelmotor das Ausdauer erfordernde 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Ein Jahr später durfte der Wagen aufgrund einer Regeländerung nicht mehr am Rennen teilnehmen.
„Der Wankelmotor ist eine bewährte Technik“, erklärt MISTRALs Geschäftsführer Philippe Durr. „Bisher war sein größter Nachteil der hohe Treibstoffverbrauch. Unser hochmodernes digitales Motormanagementsystem hat jedoch den Verbrauch auf ein Niveau reduziert, das mit herkömmlichen Flugzeugmotoren vergleichbar ist. Unsere amerikanische Tochter MISTRAL Engines USA Inc. bemüht sich zurzeit um einen Musterzulassungsschein von der US-Luftfahrtbehörde (FAA). Den bekommt man nur, wenn man nachweisen kann, dass der Motor eine Vielzahl von Sicherheitsbedingungen und technischen Anforderungen erfüllt. Das ist das größte Hindernis für den Eintritt in den GA-Markt.“
Auf dem GA-Markt (General Aviation = Allgemeine Luftfahrt) sind drei Arten von Kunden zu finden: Do-it-Yourself-Konstrukteure, die ihr eigenes Flugzeug, auch Experimentalflugzeug genannt, nach Planzeichnungen bauen, Erstausstatter wie Cessna und Piper, die in ihre eigenen Flugzeugkonstruktionen offiziell zugelassene Triebwerke einbauen, und der Ersatzteilmarkt. „Die Erstausstatter machen den Löwenanteil aus, aber der Ersatzteilmarkt ist ebenfalls sehr wichtig“, erklärt Durr. „Die durchschnittliche Lebensdauer eines Flugzeugs beträgt 35 Jahre und die eines Triebwerks zwölf. Das heißt, ein Flugzeug verbraucht im Laufe seines Lebens drei Triebwerke. Bei 300.000 GA-Flugzeugen weltweit werden eine Menge Austauschmotoren gebraucht.“
MISTRALs Sortimentumfasst herkömmliche Zwei- und Dreischeiben-Motoren für Flugzeuge und Hubschrauber mit einer Startleistung im Bereich von 148 kW (200 PS) bis 220 kW (300 PS). An Turboladerversionen mit einer Leistung von 170 kW (230 PS) beziehungsweise 265 kW (360 PS) wird zurzeit gearbeitet. Diese Motoren funktionieren mit fast allen Arten von verbleiten und unverbleiten Fahrzeugkraftstoffen und Flugzeugtreibstoffen sowie mit Kraftstoffgemischen, die bis zu 15 Prozent Ethanol enthalten. Für die Zukunft plant MISTRAL eine neue Reihe von Motoren, die mit Düsentreibstoff (JET-A1) betrieben werden können.
MISTRALs Motoren verdanken ihre Zuverlässigkeit und lange Lebensdauer zwei Konstruktionsmerkmalen. Zum einen sind sie extrem simpel aufgebaut. Eine 75-kW-Triebwerkseinheit (100 PS) besteht aus drei Teilen: einem Gehäuse, einem Läufer und einer Welle. Eine 37-kW-Triebwerkseinheit (50 PS) in einem Hubkolbenmotor hat dagegen über 30 Teile. Zum anderen rotieren die Motorteile nur und werden dadurch deutlich weniger beansprucht als die Kolben und sonstigen Komponenten eines Hubkolbenmotors. Die Folge ist ein erheblich geringerer und weniger kostspieliger Wartungsaufwand. Die Piloten sprechen vom TBO (Time Between Overhauls), dem Zeitintervall zwischen den vorgeschriebenen Überholungen der Flugzeugtriebwerke. MISTRAL strebt einen TBO von 3.000 Betriebsstunden an. Vergleichbare herkömmliche Motoren haben dagegen einen TBO von circa 2.000 Betriebsstunden.
Die einfache Konstruktion macht den Motor zudem leichter und kompakter. Ein MISTRAL-Motor hat ein geringes Gewicht (das 148-kW-Modell wiegt 132 Kilogramm und das 220-kW-Modell 177 Kilogramm). Dadurch erhöht sich die Transportkapazität des Flugzeugs. Der im Vergleich zum Hubkolbenmotor kleinere Frontbereich verbessert außerdem die Aerodynamik an der Triebwerksummantelung.
Obgleich MISTRALs Motoren bei relativ hohen Drehzahlen arbeiten – über 6.000 min-1 – reduziert ein eingebautes Untersetzungsgetriebe (Verhältnis 2,8 zu 1) die Propellerdrehzahl auf 2.100 bis 2.200 min-1. In Kombination mit dem ohnehin schon ruhigen Lauf des Motors, wird dadurch der Geräuschpegel um circa 10 dB sowohl in der Kabine als auch außerhalb des Flugzeugs gesenkt.
Die Sicherheit ist ebenfallsein wichtiger Punkt. Während ein mechanischer Defekt in einem Hubkolbenmotor in der Regel katastrophale Folgen hat, tritt ein Leistungsabfall in einem Kreiskolbenmotor – sollte dies je der Fall sein – schrittweise ein. Für Flugzeuge und insbesondere für Hubschrauber ist das ein ganz wesentlicher Faktor.
Auf die Frage, wie viel ein MISTRAL-Motor kostet, antwortet Durr: „Ein direkter Kostenvergleich zwischen einem MISTRAL und einem herkömmlichen Hubkolbenmotor gleicher Leistung ist irreführend. Der Anschaffungspreis ist zwar etwas höher, aber der MISTRAL schneidet in punkto Zuverlässigkeit, Lebensdauer, Wartungskosten und Kraftstoffflexibilität wesentlich besser ab als ein Hubkolbenmotor. Das bedeutet, dass die Lebenszykluskosten insgesamt niedriger ausfallen.“
Und wie sieht die Zukunft für das Unternehmen aus? „Wer sich Zugang zu diesem Markt verschaffen will, muss hohe Hindernisse überwinden. Man muss schon von seinem Produkt wirklich überzeugt sein“, kommentiert Durr. „MISTRAL ist ein Privatunternehmen und wir sind auf einen langen Weg vorbereitet. Obgleich wir schon einige Motoren für Experimentalflugzeuge und -hubschrauber verkauft haben, wird das Geschäft erst richtig in Gang kommen, wenn wir den Zulassungsschein der FAA haben. Die SKF Lager an der Hauptwelle sind natürlich Konstruktionsbauteile von entscheidender Bedeutung. Wir müssen bei der Wahl unserer Lieferanten sehr sorgfältig vorgehen. Einwandfreie Qualität ist eine unverzichtbare Notwendigkeit. Zudem muss die Herkunft eines jeden Artikels lückenlos nachvollziehbar sein. Wichtig ist auch, dass wir langfristig auf unsere Zulieferer zählen können. Wenn wir zum Beispiel unseren Lagerlieferanten wechseln würden, müssten wir den gesamten Prozess zur Erlangung des FAA-Zertifikats noch einmal durchlaufen. Deshalb haben wir uns für SKF entschieden.“
SKF beliefert MISTRAL Engines mit Gelenkwellenlagern und anderen Motorkomponenten, darunter mit Vierpunktlagern, Rillenkugellagern sowie hitze- und ölbeständigen Fluorpolymerdichtungen. Die Lager werden von der SKF Tochter Somecat SpA in Pianezza nahe der norditalienischen Stadt Turin produziert. Das Werk fertigt spezielle Kugel- und Zylinderrollenlager für die Luftfahrtindustrie und andere Hochleistungssektoren. Jedes Lager für die Luftfahrtindustrie wird nur aus hochwertigsten Werkstoffen hergestellt. Es erhält einen eigenen Code und wird nummeriert, um eine lückenlose Rückverfolgung sicherzustellen.