Kampf dem Verschleiß
Die gigantischen Bagger und Förderbänder in den Braunkohletagebauen von RWE sind heutzutage intelligente Konstruktionen, und je intelligenter die Förderanlagen, desto effizienter der Kohleabbau
Die gigantischen Bagger und Förderbänder in den Braunkohletagebauen von RWE sind heutzutage intelligente Konstruktionen, und je intelligenter die Förderanlagen, desto effizienter der Kohleabbau
Wer die kleine Stadt Morschenich in der Nähe von Köln besuchen will, sollte damit nicht allzu lange warten. In etwa 20 Jahren wird sie verschwunden sein. Und wer in circa 15 Jahren in der Gegend eine Autoreise plant, wird eine neue Straßenkarte brauchen, weil es die Autobahn A4 in diesem Teil des Rheinlands nicht mehr geben wird.
Was wie ein Katastrophenszenario klingt, ist sorgfältig geplant. Die Stadt und die Autobahn liegen innerhalb des Abbaugebietes des Braunkohletagebaus Hambach. Beide müssen weichen. Allerdings werden Morschenich und die Autobahn nicht von der Landkarte verschwinden. RWE Power, der Betreiber des Tagebaus, wird das Dorf an anderer Stelle wieder aufbauen und die Autobahn in südliche Richtung verlegen. Das Tagebaugebiet soll später dann in eine Landschaft mit Seen, Bauernhöfen und Wäldern verwandelt werden.
Die RWE Power AG ist der Stromerzeuger im RWE-Konzern und Betreiber der rheinischen Braunkohletagebaue. Das Unternehmen hat umfangreiche Erfahrungen im Braunkohletagebau und in der Rekultivierung. RWE Power betreibt im Rheinland drei Tagebaue – Hambach, Inden und Garzweiler –, die zusammen 100 Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr für die vier Kraftwerke und die Fabriken des Stromversorgers fördern. Über das 330 Kilometer umfassende RWE-Schienennetz werden die Kraftwerke ständig mit Kohle aus den Tagebauen versorgt. Mit ihrer Kapazität von 10.000 Megawatt liefern sie ein Viertel des gesamten Stroms, der in Nordrhein-Westfalen, Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland, verbraucht wird. RWE hat Abbaurechte, die die Braunkohleförderung für die nächsten 40 Jahre sicherstellen.
Der Tagebau verlangt Technik auf höchstem Niveau. In Hambach erstreckt sich das Abbaugebiet über eine Fläche von sieben mal sechs Kilometern. Die Kohle befindet sich in einer Tiefe von 300 Metern und die Lagerstätte ist etwa 65 Meter dick. Ein riesiger Schaufelradbagger lädt 40 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr auf die Förderbänder, die die Fracht direkt zu den Vorratsbunkern und den Verladebahnhöfen transportieren. Der Abraum über der Lagerstätte wird treppenförmig mit Hilfe von Schaufelradbaggern gewonnen und zu den Abraumkippen hinter der offenen Kohlenlagerstätte befördert. Die Kippen sind in dem Teil des Geländes, in dem die Kohle bereits abgebaut ist. Mit der Rekultivierung des Gebietes wird so schnell wie möglich begonnen, um den Boden zu stabilisieren und die Staubentwicklung zu minimieren. Man soll jedoch nicht glauben, dass hier nur rohe Kräfte walten, meint Bruno van den Heuvel, Leiter des Tech-nikzentrums Tagebaue von RWE Power in Habbelrath bei Köln. „Unsere Maschinen werden immer größer und stärker“, sagt er, „aber auch intelligenter.“ In den letzten 20 Jahren haben Sensoren, Automation, elek-tronische Steuerung, moderne Antriebsverfahren und Maschinendiagnose in diesem Bereich Einzug gehalten und die Effizienz bei gleichzeitiger Kostensenkung deutlich erhöht.
Eine der größtenHerausforderungen, mit denen sich van den Heuvel auseinandersetzen muss, ist die starke Abnutzung. „Dieses Geschäft ist ein ständiger Kampf gegen den Verschleiß“, erklärt er. Besonders betroffen sind die Schaufeln der Schaufelradbagger, die sich in den Sand oder die Kohle graben und das Baggergut auf die Fördergeräte laden. Die Schaufeln sind mit Schneiden ausgestattet, die sich in die Oberfläche fressen. Bis Mitte der 1980er Jahre mussten die Schneiden nach circa 250.000 Kubikmetern Baggergut ausgetauscht werden. Schließlich ermöglichten neue Schweißverfahren, dass die Grabzähne mit einer Chrom-Kohlenstoff-Legierung beschichtet werden konnten. Mitte der 1990er Jahre ging man zur Verwendung von Wolframkarbid über, das die Lebensdauer der Schneiden auf 650.000 Kubikmeter erhöhte.
„Niemand wusste, wie man so große Flächen und so dicke Schichten Wolframkarbid schweißen sollte“, erinnert sich van den Heuvel, „aber wir führten das Plasmaschweißen ein, ein Verfahren, das äußerst präzise Parameter erlaubt.“ Damals wurden 2.400 Grabzähne und Schürfkanten der Schaufeln pro Jahr erneuert. Inzwischen ist diese Zahl auf 800 gesunken. Van den Heuvels Abteilung mit 45 Mitarbeitern hat die Aufgabe, die Effizienz von RWE Power zu verbessern und auf diese Weise Geld für das Unternehmen einzusparen. So konnten allein durch eine veränderte Zusammensetzung des Gummis der Förderbänder die Energiebetriebskosten der Bandanlagen von RWE Power um sechs Prozent gesenkt werden. Durch Zustandsüberwachung und zerstörungsfreie Prüfung wird dafür gesorgt, dass Wartungsmaßnahmen durchgeführt werden, wenn sie erforderlich sind – nicht zu früh und nicht zu spät. Im Rahmen der Forschungs- und Entwicklungsbemühungen der Abteilung nimmt das 500 Kilometer umfassende Netz der 2,8 Meter breiten Förderbänder eine besondere Stellung ein, denn sie bilden das Rückgrat des Fördersystems. Ein weiterer zentraler Bereich ist die Brunnenbautechnik zur Regelung des Grundwasserspiegels.
Von den Bohrlöchern einmal abgesehen, hat nahezu alles, mit dem sich van den Heuvels Team befasst, bewegliche Teile und somit in der Regel auch ein Wälzlager. Lager sind also ein ganz wichtiges Thema. Mit Verfahren wie Schwingungs- und Temperaturüberwachung versucht man, Probleme zu identifizieren, bevor sie ernsthafte Ausmaße annehmen. Das Tagebaupersonal kontrolliert regelmäßig Fördergeräte und Bandanlagen auf abweichende Zustände oder ungewöhnliche Geräusche. Lagereinheiten von Eisenbahnachsen werden zu Prüfzwecken ausgebaut, sie müssen jedoch nicht zerlegt werden, da sich ein beschädigtes Lager durch Untersuchung der Lagerfrequenzen im Rahmen der Zustandsüberwachung identifizieren lässt, erklärt van den Heuvel.
RWE Power hatbei mehreren Projekten zur Verbesserung von Leistungsparametern mit SKF zusammengearbeitet, aber, so van den Heuvel, „die meisten Lagerausfälle sind nicht auf die Lager zurückzuführen, sondern auf Störfaktoren in deren Umfeld.“ So haben sich zum Beispiel SKF und RWE gemeinsam darum bemüht, die 600.000 Tragrollen der Gurtförderanlagen in den Tagebauen zu verbessern. Die Forschung auf diesem Gebiet führte zu einer veränderten Dichtungs- und Innenkonstruktion der Tragrollen, während die Lager unverändert blieben. Das Ergebnis war eine deutlich verlängerte Lebensdauer und unter anderem ein geräuschärmerer Betrieb der Tragrollen. Lärm ist einer der zentralen Umgebungsfaktoren in einem Tagebau, an deren Verbesserung RWE Power ständig arbeitet. Bei einem ähnlichen Projekt hilft SKF dem Unternehmen, durch den Einsatz des SKF Magic Roller Systems mit seiner Möglichkeit der Belastungsmessung die Effizienz zu steigern (siehe Kasten nebenan „Im Inneren des Lagers“).
Im Inneren des Lagers
Das SKF Magic Roller System ermöglicht einen Einblick in das Innere eines Lagers. Es ist eine nützliche Hilfe zur Optimierung der Umgebungsbedingungen für ein Lager. SKF installierte bei RWE Power Magic Roller in den beiden Pendelrollenlagern, die die Antriebstrommel und die angeflanschten großen Antriebseinheiten mit jeweils 2 MW Antriebsleistung eines Förderbands tragen. Das System ist mit einem Sensor zur Belastungsmessung ausgerüstet und ersetzt eine Standardrolle pro Wälzkörperreihe. Während die Rollen im Lager umlaufen, übertragen sie die Kraftwerte per Funksignale, die auf einem Laptop erfasst werden. SKF wertet die Daten aus und legt RWE Power den Bericht vor.
SKF nahm auch Finite-Elemente-Berechnungen an den Lagern und deren Gehäusen vor, um festzustellen, ob die Leistungsparameter durch Modifikationen verbessert werden könnten. Mit den von SKF Magic Roller erfassten Werten ließen sich die Parameter des Rechnermodells definieren und die Prognosen des Modells weiter präzisieren. Laut Bruno van den Heuvel, Leiter der Versuchsabteilung des Technikzentrums Tagebaue von RWE Power in Habbelrath, soll auf diese Weise unter anderem die Frage geklärt werden, ob die Lagergehäuse wirklich so massiv sein müssen.
Van den Heuvel lobt die Zusammenarbeit mit SKF: „SKF ist daran interessiert, uns bei unserer technischen Weiterentwicklung zu helfen, auch wenn es letztendlich dazu führt, dass wir weniger Lager oder preiswertere Varianten kaufen.“