Optimierte Lager für Lokomotiv-Antriebe
Flexibilität durch modularen Aufbau. SKF hat die Lager für das integrale Antriebssystem Octeon von Adtranz optimiert
Elektrolokomotiven sind die Arbeitspferde im Eisenbahntransport. Die spezifischen Betriebsbedingungen der Transporte und die Infrastruktur sind für den Kunden die Faktoren zur Auswahl einer Lokomotive. Die Entscheidung ist dann das Ergebnis von Vergleichen mehrerer Lösungen und deren technischer Erfahrungen mit den spezifischen Kundenwünschen.
Eine der jüngsten Entwicklungen der Adtranz wurde 1998 auf der Adtranz Railway Conference in Oslo vorgestellt. Das Elektrolok-Konzept Octeon ist ein modulares System, das anhand von Standardbauteilen, -baugruppen und –schnittstellen alle Anwendungen abdeckt. Der Kundennutzen sind geringer Wartungsaufwand und große Flexibilität dank modernster Technik und bewährter Konstruktionen.
So gibt es jetzt leistungsfähige Elektroloks, die Züge grenzüberschreitend auf Schienensystemen mit unterschiedlicher Stromversorgung und Signalsystemen ziehen.
Diese Entwicklung ist für den europaweiten Schienenverkehr von grundlegender Bedeutung. Infrastruktur und Transportanforderungen der verschiedenen Eisenbahngesellschaften bestimmen die Konstruktion der Lokomotiven. Entscheidend sind Fahrdrahtspannung, Spurweite, Signal- und Sicherungssysteme, Ausrüstung des Führerstands, Eisenbahnkupplungen, Spurkräfte, Fahrleitungsgeometrie. Daneben sind die Zugarten (Personen-, Güter- und Hochgeschwindigkeitszüge) und die Betriebsbedingungen (wie etwa Geländebeschaffenheit, Klima, Staubbelastung) zu berücksichtigen.
Adtranz stellt anhand eines einheitlichen Grundkonzepts und einer großen Zahl bewährter Bauteile und Baugruppen die Elektrolok mit den gewünschten technischen Eigenschaften zusammen. Geringer Wartungsaufwand und niedrige Kosten über die gesamte Lebensdauer sind längst nicht alle Vorteile. Geprüfte Baugruppen haben nur wenige, vereinheitlichte Schnittstellen, was den Zeitaufwand für Montage und Inbetriebnahme erheblich verringert. So werden Reparaturen und späteres Aufrüsten oder Austausch von Baugruppen erleichtert. Der Nutzen für die Eisenbahngesellschaften: geringere Kosten, große Flexibilität und die Möglichkeit, jede Lokomotive während ihrer Lebensdauer für wechselnde Anforderungen umzurüsten.
Die italienische E-Lok E 464
Aus dem Octeon-Programm kommt beispielsweise die Elektrolok E 464 der italienischen Staatsbahn Ferrovie dello Stato (FS). Nach einer internationalen Ausschreibung hat die FS 50 Lokomotiven mit einer Option auf weitere 50 Stück bestellt. Entscheidend für die Auftragsvergabe an Adtranz war das modulare Konzept mit den wesentlich geringeren Fertigungs- und Wartungskosten. Außerdem bedeutet das geringere Lokgewicht weniger Energieverbrauch und Schienenverschleiß.
Die High-Tech-Lokomotiven werden im Adtranz-Werk in Vado Ligure (Savona) in Italien gebaut und sind für regionale Personenzüge vorgesehen. Hochentwickelte technische Lösungen wie die wassergekühlten Wechselrichter-Antriebssysteme ermöglichen geringere Betriebskosten, Energieeinsparung und weniger Schienenverschleiß. Die Lokomotive kann ihr Gesamtgewicht von 72 Tonnen im Reibungsbetrieb aufbringen und bringt im Dauerbetrieb 3.000 kW auf die Räder bei bis zu 160 km/h. Die Lokomotive hat zwei Drehgestelle mit je zwei Radsätzen. Jeder Radsatz wird von einem Drehstrom-Asynchronmotor angetrieben. Die Doppelstern-geschalteten Motoren werden von GTO („gate turn off“)-Wechselrichtern namens Camilla mit variabler Frequenz und Spannung versorgt.
Das integrale Antriebskonzept
Moderne Hochleistungsantriebe müssen leistungsfähig, kompakt, wartungsarm, kostengünstig und langlebig sein. Zum Recycling ist jedes Bauteil mit der Werkstoffspezifikation zu kennzeichnen. Im integralen Antriebskonzept von Adtranz bilden Fahrmotor und Getriebe eine kompakte Einheit. Die Vorteile:
- Das Getriebe kann ungeteilt ausgeführt werden und weist daher eine hohe Steifigkeit auf.
- Alle statischen Dichtungen im Getriebe sind mit O-Ringen abgedichtet.
- Das Ritzellager sitzt im Getriebe, die Abdichtung zwischen Getriebe und Fahrmotor kann optimal ausgelegt werden.
- Durch diese Anordnung wirkt auf das Lager eine um 12 bis 25 % geringere Radialkraft.
- Die Kardanhohlwelle kann eine oder zwei Scheibenbremsen aufnehmen.
- Eine neuartige Labyrinthdichtung mit Entlüftung verhindert das Austreten von Öl aus dem Getriebe und ist sehr umweltfreundlich.
Das Antriebssystem der E 464 ist vollständig gefedert. Geringere dynamische Kräfte zwischen Rad und Schiene treten auf, die Gebrauchsdauer von Rädern, Schienen und allen Bauteilen des Antriebs wird verlängert. Getriebegehäuse und Gelenkwelle bestehen aus Gußeisen mit Kugelgraphit Sorte GGG40. Das Antriebskonzept ist ganz auf geringen Wartungsaufwand ausgelegt; so ist ein Ölwechsel nach rund 1 Million Kilometern, ein Austausch der Lager nach etwa 2 Millionen Kilometern vorgesehen.
Das integrale Antriebskonzept bedeutet weniger Bauteile, geringeres Gewicht und weniger Platzbedarf. Durch die Öl-Minimalschmierung bleibt die Betriebstemperatur im Getriebegehäuse niedrig. Dies bedeutet geringe Reibung aller umlaufenden Bauteile und einen hohen Wirkungsgrad. Bei Berücksichtigung aller Teile des Antriebssystems wie Ölspritzschmierung, Entlüftung, Lagerreibung und Zahneingriff erreicht dieses zweistufige Getriebe einen Wirkungsgrad von über 98 %. Das integrale Getriebe wurde bei Adtranz in Wiener Neudorf (Österreich) konstruiert und ist jetzt in Auslieferung.
Fahrmotor und Antriebswelle
Der Drehstrom-Fahrmotor ist direkt am Getriebegehäuse angeschraubt. Auf der Nicht-Antriebsseite nimmt ein Rillenkugellager mit Messingmassivkäfig Radial- und Axialkräfte auf und führt axial die Fahrmotorwelle. Dieses Lager ist als einziges im gesamten Antriebssystem fettgeschmiert. Die maximale Drehzahl des Fahrmotors beträgt 4 200 min-1. Auf der Fahrmotorwelle ist das Ritzel mit einem Kegelpreßsitz aufgeschrumpft. Im Getriebe sitzt antriebsseitig ein Zylinderrollenlager der Bauform NU. Es ist ölgeschmiert und nimmt nur Radiallasten auf. Durch eine spezielle Konstruktion liegt die Wellendurchbiegung an dieser Lagerstelle im Betrieb bei weniger als 3 Winkelminuten.
Vorgelegewelle
Um eine Kardanhohlwelle mit Bremsscheiben einsetzen zu können, wird der benötigte Abstand zwischen Fahrmotor- und Radsatzwelle durch ein zweistufiges Getriebe erreicht. Die Vorgelegewelle wird beidseitig von Zylinderrollenlagern mit außenbordgeführten, einteiligen Messingmassivkäfigen gelagert. Das Lager der Bauform NUP nimmt radiale wie axiale Lasten auf, während das NJ-Lager wegen eines eingearbeiteten schmalen Spalts zwischen Innen- und Außenring nur Radiallasten aufnehmen kann. Auch diese Lager sind ölgeschmiert.
Kardanhohlwelle
Die Zylinderrollen-Dünnringlager der Bauform NU und NUP laufen ebenfalls mit einem einteiligen Messingmassivkäfig, der auf den Außenringborden geführt wird. Zum einfacheren Einbau sitzen beide Außenringe in einem Zwischenring. Die zweistufige Labyrinthdichtung mit Entlüftungsbohrung verhindert weitgehend Ölaustritt aus dem Lager.
Für das voll abgefederte Antriebskonzept ist eine Kardanhohlwelle mit beidseitigen, elastischen Lenkerkupplungen erforderlich. Als elastische Verbindungsstücke werden sphärische Gummielemente eingesetzt.
Neue Messingmassivkäfige für Zylinderrollenlager
Radsatzlager sind hohen Betriebstemperaturen ausgesetzt. Polymerkäfige können von den speziellen Schmierölen angegriffen werden, so daß Messing als Käfigwerkstoff vorzuziehen ist.
Während des Betriebs wirken zusätzliche dynamische Kräfte. Optimale Zuverlässigkeit bieten einteilige Käfige, die ohne Nietverbindungen auskommen. Auch die Führung der Käfige auf dem Außenringbord macht die Lager leistungsfähiger.
SKF hat nun die Käfigkonstruktion optimiert. Die neuen formgedrehten ML-Messingmassivkäfige weisen gegenüber den herkömmlichen Käfigen mit geräumten Taschen mehrere Vorteile auf:
- Bessere Schmierfilmbildung durch Berührungsfläche zwischen Käfigsteg und Rolle.
- Geringeres Gewicht dank optimierter Geometrie. Insbesondere bei höherem Schwingungsniveau und radialer Beschleunigung, wie sie in der Kraftübertragung in Schienenfahrzeugen auftreten, ergeben sich besseres Betriebsverhalten und größere Zuverlässigkeit der Lager.
- Besserer Ölfluß durch das Lager und geringere Reibung auch bei Mangelschmierung.
- Die optimierte Rollenrückhaltung erleichtert Ein- und Ausbau der Zylinderrollenlager.
Die SKF Zylinderrollenlager mit den neuen ML-Käfigen werden in dieser Anwendung auf der Antriebs- und Vorgelegewelle eingesetzt.
Optimierte Lager-Betriebstemperatur
Das erste Getriebe wurde 200 Stunden lang einer Typprüfung in beiden Richtungen unterzogen. Mit Hilfe verschiedener Ölflußvarianten durch die Lager wurde die Betriebstemperatur der Lager optimiert und größere Radialluft für die Zylinderrollenlager verwendet.
Markteinführung
Das integrale Antriebskonzept der Adtranz hat sich in verschiedenen Lokomotiven und Elektro-Triebzügen gut bewährt. Insgesamt sind rund 1600 integrale Antriebe unterschiedlicher Typen und Größen in Brasilien, Deutschland, Griechenland, Italien, Österreich, Polen und der Schweiz im Einsatz.
Karl Gukenbiehl,
Adtranz, Wiener Neudorf, Österreich,
und Gottfried Kure,
SKF Österreich AG, Steyr