Testen für die Zukunft
Windturbinen werden in den USA angesichts der zunehmenden Nachfrage nach Windenergie zu einem gewohnten Anblick. Nun geht es darum, sie möglichst lange in Betrieb zu halten.
Bei seinem jüngsten Trip durch Indien fuhr SKF Ingenieur Dayananda Raju zum Weltkulturerbe nach Hampi. Unterwegs schweifte sein Blick auch über die Windenergieanlagen auf den Gebirgsrücken um Bengaluru (Bangalore). Noch vor zehn Jahren waren sie in Südindien ein äußerst ungewöhnlicher Anblick. Seitdem hat die Windenergiekapazität auf dem Subkontinent ebenso wie in anderen Teilen der Welt erheblich zugenommen.
„Erneuerbare Energie ist einer der beiden größten Sektoren, auf die sich SKF konzentriert“, sagt Dayananda Raju, Leiter Anwendungstechnik, Erneuerbare Energie bei SKF USA in Lansdale im US-Bundesstaat Pennsylvania.
Raju hat eine SKF Partnerschaft mit NREL (Renewable Energy Laboratory) in Colorado initiiert, um das Verhalten der Komponenten in einer Windturbine unter verschiedenen Betriebsbedingungen zu untersuchen. Auf diese Weise will SKF Lagerschäden und -ausfälle analysieren, um die Lageranordnung und das Lager selbst zu optimieren.
Jonathan Keller
Leitender Ingenieur bei NREL
Das Analyseunternehmen IHS Markit prognostizierte im September 2018, dass die Windenergiekapazität in den USA von derzeit 100.000 Megawatt in den kommenden zehn Jahren um 50 Prozent zulegen wird. „In den vergangenen sieben Jahren hat die Windenergieerzeugung in den USA enorm zugenommen, was wirklich erfreulich ist“, meint Jonathan Keller, leitender Ingenieur beim National Wind Technology Center (NWTC) von NREL in Boulder im US-Bundesstaat Colorado.
Allerdings leiden die derzeit bestehenden Anlagen aufgrund ihres Alterungsprozesses unter steigenden Betriebskosten.
Zuverlässigkeit ist meist nur dann ein Thema, wenn man als Eigentümer eines Windkraftwerks auch für dessen Betrieb aufkommen muss.
Jonathan Keller, leitender Ingenieur bei NREL
„In ein paar Jahren wird der Marktwert von Betrieb und Instandhaltung der Windenergieanlagen höher sein als der Marktwert des Neuverkaufs von Turbinen“, blickt Keller in die Zukunft. „Und je mehr Windturbinen installiert werden, desto mehr steigen die Betriebs- und Instandhaltungsausgaben. Rentabel werden diese Anlagen nur, wenn man eine Betriebsdauer von 30 Jahren und länger erreicht. Das ist extrem wichtig. Leider wird die erforderliche Zuverlässigkeit aber oft nur dann zum Thema, wenn man als Eigentümer einer Windenergieanlage auch für deren Betrieb aufkommen muss.“
Obwohl neuere Turbinenkonstruktionen älteren Anlagen oft überlegen sind, ist es meist klüger, die ursprüngliche Investition durch eine Verlängerung der Lebensdauer der Ausrüstung optimal auszuschöpfen, und so den Kosten-, Entwicklungs- und Behördenaufwand einer neuen teuren Anlage hinauszuschieben.
„Getriebe und Hauptlager sind für eine Lebensdauer von mehr als 20 Jahren konzipiert. Darauf basieren die Finanzierungsmodelle der Eigentümer“, erklärt Keller. „Gemeinsam wollen wir die Ursache für die Diskrepanz zwischen konzipierter und tatsächlicher Lebensdauer herausfinden.“
Das NWTC liegt in den Ausläufern der Rocky Mountains. Die Temperaturen dort schwanken zwischen 40 Grad Celsius im Sommer und minus 30 Grad Celsius im Winter. Wegen der heftigen Windböen, die von den hohen Bergen über die Ebenen fegen, ist dies ein strategisch guter Platz, um die Rentabilität der Windenergiegewinnung zu erforschen. Die Windgeschwindigkeit kann plötzlich auf bis zu 160 Kilometer pro Stunde anschwellen. „Dabei sind für die Testanlage nicht unbedingt die Spitzengeschwindigkeiten am interessantesten, sondern das breite Spektrum an Windgeschwindigkeiten innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums“, so Keller.
SKF lieferte ein optimiertes Pendelrollenlager, ein kundenspezifisches Gehäuse und Dichtungen, Hardware und Software zur Zustandsüberwachung und nicht zuletzt ein automatisches Schmiersystem. Im Dezember 2017 wurde die Windturbine von NREL damit ausgestattet. Inzwischen war die Testanlage in der zweiten Windsaison (Oktober 2018 bis April 2019) in Betrieb und lieferte im letzten Jahr des Projekts Daten für eingehende Analysen.
SKF und NREL vergleichen ihre Messergebnisse. „Wir haben dafür ähnliche, aber leicht unterschiedliche Tools, was nützlich ist, weil wir so abwägen können, wie eins gegenüber dem anderen abschneidet“, sagt Keller.
Von den Ergebnissen werden beide Seiten profitieren: NREL kann günstiger Strom produzieren und SKF kann das speziell für Windturbinen-Anwendungen konstruierte Pendelrollenlager validieren.
„Dieses Beispiel zeigt die Bedeutung von SKF Produkten für die Erreichung der übergreifenden Ziele unserer Kunden und unseres Unternehmens“, kommentiert Raju. „Wir arbeiten mit der Branche zusammen, um für die Endverbraucher eine zuverlässige Energieversorgung zu schaffen.“
Keller, der 2011 nach zehnjähriger Tätigkeit als Ingenieur beim amerikanischen Militär zu NREL wechselte, fügt hinzu: „Ich hätte die US-Army nicht verlassen, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass Erneuerbare Energien enorm wichtig sind. Wenn ich nur einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, sie sicher zu etablieren, ist es die Mühe wert.“