Ausbau in der Tiefe
SKF Blohm + Voss Industries wagte erstmalig den Ausbau eines Flossenstabilisators an einem im Hafen liegenden Schiff.
Fakten
MS Prinsendam
Reederei: Holland America Line
Passagierkapazität: 916
Besatzung: 470
Bruttoregistertonnen: 39,051 BRT
Länge: 172 Meter
Breite: 29 Meter
HOLLAND AMERICA LINE
Sitz: Seattle, Washington, USA.
Tätigkeit: Die Kreuzfahrtlinie mit insgesamt 15 Schiffen bietet jährlich über 500 Kreuzfahrten an, bei denen 415 Häfen in 98 Ländern und Regionen angelaufen werden.
Unternehmensstruktur: Die Holland America Line gehört zur Holland America Group, eine Gesellschaft der Carnival Corporation & plc.
Anzahl der jährlich beförderten Passagiere: über 800.000.
www.hollandamerica.com
Links
Ansprechpartner Verkauf
Dieter Winkler, Dieter.Winkler@bv-industries.com
Kreuzfahrtschiffe schwanken auch bei rauer See erstaunlich wenig. Der Grund dafür sind Stabilisatoren, relativ kleine bewegliche Flossen, die am Rumpf unterhalb der Wasserlinie angebracht sind. Sie haben enorme Auswirkung auf die Schiffsleistung und können das Rollen um über 85 Prozent reduzieren. Die wie Flugzeugtragflächen geformten Flossen werden zu beiden Seiten des Rumpfes eingesetzt und können ihren Anstellwinkel verändern, um die Welleneinwirkung auf das Schiff auszugleichen.
SKF Blohm + Voss Industries (SKF BVI), ein Unternehmen der SKF Gruppe, hat über 60 Jahre Erfahrung mit der Entwicklung und Herstellung von einziehbaren Flossenstabilisatoren und weltweit mehr als 600 Schiffe damit ausgerüstet. Zum Tätigkeitsfeld gehören auch Instandhaltung und Reparaturen der Produkte. Als der steuerbordseitige Stabilisator der MS Prinsendam mitten in der Hochsaison durch eine Kollision beschädigt wurde, beauftragte die Kreuzfahrtlinie Holland America Line SKF BVI mit der Reparatur.
Normalerweise muss ein Schiff für solche Arbeiten ins Trockendock, wo Stabilisator und Verbindungsgestänge auf einfache Weise demontiert werden können. Kreuzfahrtschiffe planen ihre Zeiten im Trockendock jedoch mehrere Jahre im Voraus. In Anbetracht des laufenden Kreuzfahrtprogramms suchte die Schifffahrtslinie verzweifelt nach einer anderen Lösung. Bestand die Möglichkeit, den Stabilisator der Prinsendam während einer Kreuzfahrt bei einem Hafenaufenthalt schnell zu entfernen?
An einen Ausbau unter Wasser hatte sich bisher noch niemand gewagt. Bei Kreuzfahrtschiffen kommt hinzu, dass „relativ kleine“ Komponenten immer noch riesig groß sind. In diesem Fall wog die Stabilisator-Baugruppe circa 25 Tonnen.
Holland America Line bat den Spezialisten für Unterwasserreparaturen, Subsea Global Solutions, um die Entwicklung einer Lösung. Unter der Federführung des technischen Beraters Jens Miesner von SKF BVI machten sich die beiden Unternehmen gemeinsam an die Arbeit.
Zur Befestigung der Hebeanordnung während des Stabilisatorausbaus mussten Metallringe, so genannte Augplatten, auf dem Schiffsrumpf angebracht werden. Sie wurden zuvor bei verschiedenen Hafenaufenthalten von Tauchern aufgeschweißt. „Das war extrem schwierig“, kommentiert Miesner. „Die Augplatten im Flossenkasten waren nicht verschweißt, wie es normalerweise erforderlich ist. Ein weiteres Problem war der beengte Raum, den wir für die Handhabung der 25-Tonnen-Einheit zur Verfügung hatten.“
Für das Projekt wurden Schweißer/Taucher eingesetzt, die für Nassschweißverfahren der Klasse A von Subsea Global Solutions zugelassen waren. Mit innovativen Lösungen wie ein- und ausklappbaren Augplatten, die wie Scharniere funktionierten, wurde verhindert, dass diese gegen den Flossenkasten schlagen würden. Die Taucher entfernten in den Häfen auch Schrauben aus dem Stabilisator, um den Ausbau bei Ankunft der Prinsendam in Amsterdam so weit wie möglich vorzubereiten. Zwar sollte der Ausbau eigentlich schon bei einem früheren Stopp in Warnemünde vorgenommen werden, doch ließ sich dieses Vorhaben aus betrieblichen Gründen nicht realisieren.
Die Demontage eines Rumpfbauteils wirft natürlich ein Problem auf: Wie verhindert man, dass Wasser in das Schiff eindringt? Auf der Innenseite des Rumpfes wurden die Passflächen des Stabilisatorgestänges mit einem eigens dafür konstruierten Kofferdamm verschlossen. Für die beiden Öffnungen auf der Außenseite hatte Subsea Global Solutions Abdeckungen mit Spezialdichtungen vorbereitet, die unter Ausnutzung des enormen Wasserdrucks von 7,8 Tonnen den Rumpf abdichten sollten.
„Wenn man ein Loch in einen Schiffsrumpf macht, muss man eine Lösung finden, damit kein Wasser eindringt und kein Öl austritt“, sagt Rick Shilling von Subsea Global Solutions. „Dabei geht es auch um den Druckausgleich in den Systemen und das Ableiten von Flüssigkeiten. Für jede Restflüssigkeit, die nicht aus dem Schiff gepumpt werden kann, haben wir Systeme, die diese Flüssigkeiten unter Wasser einkapseln und an die Oberfläche befördern.“
Bei Ankunft der Prinsendam in Amsterdam waren weitere Tauchteams zur Stelle, die den eigentlichen Ausbau durchführten. „Unsere größte Sorge war, was wir beim Lösen des Verbindungsgestänges im Inneren entdecken würden“, erzählt Shilling. „Wie bei allen Schäden dieser Art gibt es immer einige unbekannte Faktoren. Der Stabilisator war nach der Kollision eingehend untersucht worden, aber man sieht eben nicht alles. Wir waren auf alles eingestellt, und wenn es hart auf hart gekommen wäre, hätten wir die Schrauben einfach wieder eindrehen und es zu einem späteren Zeitpunkt erneut versuchen können.“
Glücklicherweise waren die Wetter- und Seebedingungen günstig, so dass der Ausbau vonstattengehen konnte. Die sorgfältige Vorbereitung zahlte sich aus: Die Taucher brachten die Hebeanordnung am Stabilisator an und zogen ihn mit Hilfe schwerer Ketten zu einem Schwimmponton. Sie entfernten die restlichen Schrauben und manövrierten die Baugruppe unter Anwendung besonderer Hebetechniken und Auftriebselemente vorsichtig zu einem Platz, wo ein Kran ihn aus dem Wasser heben konnte. Der Ausbau im Hafen dauerte insgesamt 55 Stunden.
„Viele Schifffahrtsunternehmen beobachteten den Vorgang, weil dadurch eine Menge Zeit eingespart werden kann“, schließt Miesner.
Der Stabilisator wurde bei SKF BVI repariert und einige Monate später wieder in die Prinsendam eingebaut.
So wurde der Stabilisator entfernt
1. Mehrere Tage vor Ankunft des Schiffes in Amsterdam, dem „Ausbau-Hafen“, nahm ein Team bestehend aus Experten von SKF BVI und SubSea Global Solutions an Bord Vorbereitungen an der Innenseite des Rumpfes vor. Ein eigens zu diesem Zweck konstruierter Kofferdamm dichtete die Anschlussflächen zwischen Stabilisator und Rumpf gegen den Schiffsinnenraum ab.
2. Gleichzeitig folgte ein anderes Team dem Schiff und führte in verschiedenen Häfen vorbereitende Arbeiten an der Außen- und Innenseite des Rumpfes durch. Taucher schweißten neuartige ein- und ausklappbare Augplatten zur Befestigung der Hebeanordnung am Rumpf auf und entfernten so viele Schrauben an Stabilisator und Verbindungsgestänge wie möglich, um beim eigentlichen Ausbau Zeit zu sparen.
3. Im Hafen von Amsterdam waren weitere Tauchteams zur Stelle, die den Ausbau durchführten. Mit schweren Ketten zogen sie die Stabilisatorflosse zu einem Schwimmponton.
4. Taucher entfernten die restlichen Schrauben, und das Team hob die Konstruktion mit Hilfe spezieller an die Stabilisatoreinheit angepasster Hebevorrichtungen und Auftriebselemente an die Oberfläche.
5. Stabilisator und Verbindungsgestänge wurden zu einem Platz im Hafen gebracht, von dem aus ein Kran die Baugruppe aus dem Wasser heben konnte.