Schleuse für größeren Verkehrsfluss
Ein neues Schleusenprojekt ermöglicht auch größeren Schiffen den Zugang zum Gent-Terneuzen-Kanal. Zu der gigantischen Anlage gehören 1,5 Tonnen schwere Lager von SKF.
Der wuchtige technische Komplex beherrscht das Landschaftsbild: „Was auffällt, sind Hunderttausende von Kubikmetern Beton, aber die kleinen Dinge sieht man nicht“, sagt Tom op ’t Roodt, ein Projektleiter des Bauunternehmens Sassevaart. „Bei diesen Megaprojekten kommt es sehr auf Details und Präzision an.“
Er gehört zu einem Konsortium, das zurzeit in einem Großprojekt eine neue Schleuse am Gent-Terneuzen-Kanal baut. Die Wasserstraße verbindet die Seehäfen von Gent in Belgien und Terneuzen in den Niederlanden miteinander. Nach der Fertigstellung der Schleuse werden mehr und größere Schiffe den Kanal befahren können. Der Schleusenkomplex umfasst den Bau von zwei neuen beweglichen Verkehrsbrücken und vier neuen Schleusentoren. Kunde ist die Flämisch-Niederländische Scheldekommission (Vlaams-Nederlandse Scheldecommissie, VDSC) als Teil der Nordseeschleusen (Noordzeesluizen) in Terneuzen.
„Das ist auch nach internationalem Standard ein echtes Großprojekt“, erläutert op ’t Rood. „Diese Schleuse ist größenmäßig durchaus mit denen am Panamakanal vergleichbar.“
Die Dimension des Projektes stellt eine gewaltige Herausforderung dar. Jede Brücke erstreckt sich über die gesamte Breite der Schleuse. Wenn sich die Brücke öffnet, um ein Schiff durchzulassen, ragt die Konstruktion 69 Meter in die Höhe. Sie hat ein Gewicht von rund 1.250 Tonnen. Das Gegengewicht wiegt 1.050 Tonnen.
„Bei der Montage der Brücke haben wir eine Toleranz von nur wenigen Millimetern“, erklärt op ’t Roodt. „Das Gleiche gilt für die Schleusentore.“
Beide Brücken wurden in China unter Aufsicht der Baufirma gebaut und dann nach Europa gebracht. Gelagert wurden sie zunächst im Bereich des Nordseehafens, bis sie über den Kanal zum Bauplatz in Terneuzen transportiert wurden.
Lagermontage in schwindelnder Höhe
Lager sind für die zuverlässige Funktion des Schleusenkomplexes mit den beiden Brücken und den Schleusentoren von zentraler Bedeutung. Dazu gehören Rollenlager, wartungsfreie Lager und verschiedene kleine Lager.
„Die Lager sind so wichtig, weil sich durch sie alles reibungslos bewegt“, betont op ’t Roodt.
SKF lieferte für das Projekt acht riesige Pendelrollenlager sowie die dazugehörigen Sicherungsmuttern. Die meisten in diesem Projekt verbauten Lager haben eine Gebrauchsdauer von 25 bis 50 Jahren; diese Hauptlager sind jedoch laut op ’t Roodt bei regelmäßiger Wartung für 100 Jahre Gebrauchsdauer ausgelegt. „Das ist logisch, weil ihr Austausch so schwierig ist.“
Trotz ihrer gewaltigen Größe und ihrer kritischen Funktion in dieser Anwendung handelt es sich bei den Lagern um Standardmodelle aus dem SKF Katalog.
Eine besondere Herausforderung bei der Installation der Hauptlager bestand darin, dass die Arbeiten in zwölf Metern Höhe durchgeführt werden mussten, weil die Brückenkonstruktionen am Bauplatz aufgebockt waren. „Wir mussten einen praktikablen Weg finden, die Lager auf die richtige Höhe zu bringen“, erinnert sich op ’t Roodt. „Lager fallen in der Regel in eine bestimmte Richtung, die man nicht kontrollieren kann.“
Die Lager mussten also in der Höhe korrekt ausgerichtet und positioniert werden, wobei die Schiefstellung höchstens zwei Millimeter betragen durfte. Außerdem musste ein Stahlgehäuse ober- und unterhalb jedes Lagers eingebaut werden.
SKF löste das Problem durch die Konstruktion einer speziellen Hebevorrichtung, die das Lager aufnehmen und in die richtige Position bringen konnte. Nach den entsprechenden Vorbereitungen am Boden wurde das Lager angehoben und auf einer Welle montiert.
„Die Initiative ging von SKF aus, weil das Unternehmen damit Erfahrung hat“, lobt op ’t Roodt. „Damit konnten alle Lager einfacher montiert werden.“
Schrumpfpassung
Das Lager auf die Welle zu bringen, war allerdings nur ein Teil der Herausforderung. Als nächstes musste die Welle in die Brückenkonstruktion eingefügt werden, wobei Details und enge Toleranzen eine noch wichtigere Rolle spielten.
„Für eine Brücke und Welle dieser Größenordnung ist das nur schwer zu begreifen“, sagt op ’t Roodt. Die Konsequenz war, zunächst die Brücke ohne Wellen zu bauen. Es war nahezu unmöglich sicherzustellen, dass alle Teile der Schweißkonstruktion und ihre Drehpunkte fluchten würden. Stattdessen konstruierte man die Brückenelemente in der Bauphase mit einer Toleranz.
„Als wir mit dem Bau fertig waren, wurde die gesamte Brücke vermessen; erst dann erfolgte die Bohrung für die Welle“, beschreibt op ’t Roodt die Arbeitsweise. „Nur so konnten wir eine exakte Ausrichtung von Brücke und Welle gewährleisten.“
Der Einbau der Welle in die Brücke war der nervenaufreibendste Teil des Projekts. Dafür musste ein großes kreisrundes Loch in die Brückenkonstruktion gebohrt werden. Anschließend wurde die Welle in das Bohrloch eingesetzt. Für einen festen Sitz wurde die Welle mithilfe von Trockeneis auf circa -40 °C heruntergekühlt, während das Bohrloch erwärmt wurde. Dadurch entstand eine „Schrumpfpassung“. Das heißt, Welle und Brücke sind untrennbar miteinander verbunden.
„Das war ein entscheidender Punkt“, erinnert sich der Projektleiter. „Hätten wir hier einen Fehler gemacht, und die Welle würde nicht mit der Brücke fluchten oder senkrecht zur Brücke ausgerichtet sein, wären wir nicht in der Lage gewesen, daran etwas zu ändern. Es musste direkt beim ersten Versuch gelingen.“
Dafür waren im Vorfeld jede Menge Tests erforderlich, um eventuelle Fehler auszuschließen. In dieser Phase war auch Zeit ein bedeutender Faktor. „Wenn man eine Welle aus der Tiefkühlkammer holt, bleiben für die Montage in das erwärmte Bohrloch höchstens ein oder zwei Stunden“, erklärt op ’t Roodt.
Voll umfänglich geprüft
Das Projekt hat nun seine Endphase erreicht. Die Schleusentore wurden vollumfänglich auf ihre uneingeschränkte Beweglichkeit getestet, und die Brücken sind ebenfalls umfangreichen Prüfungen unterzogen worden.
„Wir haben kurzzeitig getestet, die Brücke ohne den kompletten Antriebsstrang zu öffnen, und dieser Test war erfolgreich“, sagt op ’t Roodt.
Inzwischen hat eine neue, noch umfassendere Testphase für die Brücken begonnen, in der Fragen wie ‘Was wäre, wenn es zu einer Notabschaltung käme‘ geklärt werden sollen.
Beide Brücken werden im heruntergefahrenen Zustand bereits für den Straßenverkehr genutzt. (Schiffe bedienen sich anderer Schleusen, sie passieren diese Strecke derzeit noch nicht.) „Wenn wir einen komplett aktiven Schleusenkomplex haben, werden wir auch die Steuerungslogik brauchen, die dafür sorgt, dass alles perfekt funktioniert“, so op ’t Roodt.
Das ist wiederum ein anderer Teil der Testphase, auf den dann ein Site Integration Test (SIT) folgt, der durchgeführt werden muss, bevor ein Schiff die Schleuse passieren darf. „Im Sommer 2024 sollen alle Tests abgeschlossen sein. Die Eröffnung der Schleusenanlage ist für Ende 2024 geplant“, schließt Projektleiter Tom op ’t Roodt.