Die Zukunft der Lagerausfallanalyse ist jetzt
Computergestütztes Visualisieren ist eine effektive Ergänzung für das menschliche Auge. SKF hat ein KI-Tool zur automatischen Auswertung von Lagerschäden entwickelt, das Kunden bei der Diagnose von Problemen helfen und die Lebensdauer kritischer Komponenten verlängern wird.
Um den Zustand ihrer Anlagen zu überwachen, verlassen sich industrielle Anwender zunehmend auf moderne digitale Technologien. Die heutigen Zustandsüberwachungssysteme nutzen hochentwickelte Analysetechniken, um frühe Anzeichen von Verschleiß oder Schäden an Lagern und anderen kritischen Teilen festzustellen. Sobald ein Problem erkannt ist, sind jedoch die Augen eines erfahrenen Fachmanns schon immer das beste Diagnoseinstrument gewesen.
Anhand der typischen Spuren auf den Kontaktflächen können die SKF Spezialisten den Schweregrad eines Problems beurteilen und häufig die wahrscheinlichste Ursache ermitteln. Diese Informationen sind für die Endanwender von großem Wert. Eine Sichtprüfung macht es ihnen beispielsweise möglich, Betriebs- oder Wartungsabläufe zu ändern, um zu verhindern, dass Probleme wiederholt auftreten. So kann auch bei Großlagern, die u. a. in Papierfabriken, in der Stahlproduktion oder in Windkraftanlagen zum Einsatz kommen, festgestellt werden, ob sich ein beschädigtes Lager für eine Wiederaufbereitung und Wiederverwendung eignet.
Es ist jedoch nicht immer einfach, einen kompetenten Lagerexperten zu finden. Es kann Jahre dauern, bis SKF Spezialisten durch ihre tägliche Arbeit mit Wälzlagern das nötige Wissen und die erforderliche Erfahrung gesammelt haben. Befindet sich die betroffene Anlage an einem abgelegenen Ort, kann es schwierig sein, einen solchen Spezialisten vor Ort zu bekommen – ein Problem, das sich in den letzten Monaten durch die Reise- und Zugangsbeschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie noch verschärft hat.
Außerdem wollen die Kunden vor dem Rücksenden von gebrauchten Lagern an SKF zur Wiederaufbereitung gerne wissen, ob sich das jeweilige Lager auch in einem für das Recycling geeigneten Zustand befindet. Falls dies nämlich nicht der Fall ist, wäre es vermutlich kostengünstiger und umweltfreundlicher, das Lager vor Ort zu recyceln.
KI-System zur Beurteilung von Lagern
Zur Lösung dieser Probleme arbeitet ein Team bei SKF an einem neuen Ansatz. Es hat ein automatisches, auf computergestütztes Sehen basiertes System entwickelt, das Lagerschäden anhand von digitalen Bildern beurteilen kann. Dieses System nutzt künstliche Intelligenz in Form eines neuronalen Netzwerks zur Bilderkennung, das mit Tausenden von Bildern beschädigter Lager aus den SKF Archiven trainiert wurde.
Das System kann die Oberflächenmerkmale eines Lagers auch dann noch erkennen, wenn das Bild aus einem ungünstigen Winkel aufgenommen wurde oder der Hintergrund unübersichtlich ist.
Im Gegensatz zu älteren Ansätzen der maschinellen Bildverarbeitung wurde das KI-Vision-System so konzipiert, dass es unter realen Bedingungen eingesetzt werden kann, das heißt, wenn die Bilder in der Fabrikhalle oder im Feld aufgenommen werden und die Lichtverhältnisse und der Bildaufbau nicht genau kontrolliert werden können. Das System kann die Oberflächenmerkmale eines Lagers auch dann noch erkennen, wenn das Bild aus einem ungünstigen Winkel aufgenommen wurde oder der Hintergrund unübersichtlich ist.
Sobald der entsprechende Bereich ermittelt ist, nimmt das KI-Tool eine Einstufung der Art und des Schweregrads des Schadens an der Lageroberfläche vor. Bei Lagern können viele verschiedene Ausfallarten auftreten. Beispielsweise sind in der ISO 15243:2017, der relevanten internationalen Norm, mehr als ein Dutzend aufgeführt. Das SKF Team hat entschieden, sich vorerst auf einige ausgewählte Ausfallarten zu konzentrieren, die für etwa 80 Prozent der Betriebsausfälle ursächlich sind.
Trainieren des Algorithmus
Das Trainieren und Optimieren des Algorithmus war ein Gemeinschaftsprojekt zwischen einem Forscherteam des SKF Research and Technology Development (RTD) Centers und einer Gruppe sehr erfahrener Lageranalyse-Spezialisten. Zunächst zeigte das Team dem System Tausende von Bildern, die jeweils mit der entsprechenden Ausfallart gekennzeichnet waren, um ihm die Merkmale der einzelnen Ausfallarten zu vermitteln. Anschließend ließen sie den Algorithmus testweise neue Bilder einordnen und verglichen die Ergebnisse mit den Beurteilungen der menschlichen Experten, wobei das Modell zur Verbesserung seiner Genauigkeit optimiert wurde.
Nutzung und kontinuierliches Lernen
Nach den guten Ergebnissen mit dem KI-Vision-System in der Testphase hat man nun damit begonnen, es unternehmensweit einzusetzen, um den Kunden-Support-Teams bei der Einstufung von Problemen und den Mitarbeitern in der Wiederaufbereitung bei der schnelleren Beurteilung eingehender Lager zu helfen. In Zusammenarbeit mit erfahrenen Fachleuten lernt der Bildverarbeitungsalgorithmus ständig dazu und steigert kontinuierlich seine Genauigkeit.
In der nächsten Projektphase soll das System den Kunden zur Verfügung gestellt werden. Das Forscherteam plant dies in Form einer cloudbasierten Software umzusetzen, mit der das Wartungspersonal Aufnahmen von Lagern machen kann, die dann zur Analyse in die Cloud hochgeladen werden. Das erste Ziel ist eine nahtlose KI-gestützte Lösung, die dem Benutzer eine schnelle Entscheidungshilfe bietet, ob sich ein Lager für die Wiederaufbereitung eignet oder nicht.
Im weiteren Verlauf prüft SKF dann, inwieweit sich der neue Forschungsansatz mit anderen Analyseprogrammen aus ihrem Portfolio kombinieren lässt. Zu wissen, wie ein Lager ausgefallen ist, sagt beispielsweise noch nichts darüber aus, warum es ausgefallen ist, da ein und dasselbe Problem mehrere Ursachen haben kann. Durch die Verknüpfung von KI-Vision mit Daten, die von Zustandsüberwachungs- und Maschinensteuerungssystemen erfasst werden, beabsichtigt das Projektteam allerdings, die Lösungsfindung bei den Hauptursachen von Lagerausfällen zu automatisieren und zu beschleunigen und dadurch die Zuverlässigkeit zu steigern.